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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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war fast ausschließlich die Universalgeschichte. Dem Bedürfnisse der Gegen¬
wart dienten nur die politischen Zeitungen, die seit der Mitte des Jahrhunderts
zwei Mal wöchentlich, Sonntags und Donnerstags, erschienen. Das geogra¬
phische Gebiet wurde wenig bearbeitet, nur einige Reisebeschreibungen, wie sie
der Mediziner Caspar Stein und der churfürstliche Rath, frühere Kourektor an
der lateinischen Schule in Jnsterburg, Simon Jegers, verfaßte, gaben einen
gewissen Ersatz.

Mit großem Eifer wandte man sich dagegen dem Studium der alten
Sprachen zu. Ein hoher Grad in der Beherrschung der hebräischen Sprache
wurde erreicht; Reden und Disputationen in derselben waren nichts seltenes.
Ebenso wurde auf sichere Aneignung der griechischen Sprache großer Werth
gelegt, in den Schulen wurden griechische Ausarbeitungen, in gebundener und
ungebundener Rede, von den Schülern gefordert. Griechische Disputationen
wurden auf der Universität gehalten, wissenschaftliche Werke in griechischer
Sprache verfaßt. Die griechische Aussprache erregte einen heftigen Streit im
Lehrer-Kollegium des Altstädtischen Gymnasiums; der Lehrer Johannes
Peregrinus wich von der durch Reuchlin zur Geltung gebrachten Regel*) ab
und weigerte sich, derselben im Unterricht zu folgen. Vergeblich suchten Rektor
und Korrektor ihn auf die alte Bahn zurück zu führen. Auch die Vermittlungs¬
versuche des akademischen Senats und des altstüdtischen Raths blieben erfolg¬
los. Peregrinus legte sein Amt nieder, verließ Königsberg und ging nach
Stettin. Mit nicht geringem Fleiß wurde die lateinische Sprache gepflegt, die
Sprache der wissenschaftlichen Bildung, die Sprache, die in allen akademischen
Vorlesungen angewandt wurde. Ausschließlich für ihr Studium war, allerdings
nur auf kurze Zeit, ein akademischer Lehrstuhl errichtet worden. Dem Geist
der Zeit entsprechend, stellte man sich in Bezug auf das klassische Alterthum
nicht sowohl die Aufgabe, in den Geist desselben einzudringen, als vielmehr
Gewandtheit und Fertigkeit in dem Gebrauch seiner Sprachen zu erlangen.
Als Vorbild höchster Vollkommenheit in lateinischer Stylistik galt der Holländer
Justus Lipsius. So können wir uns auch nicht wundern, daß für kritische
Ausgaben der Klassiker und^ für ihre Erläuterung wenig geschah. Daß es an
Handschriften in den Bibliotheken fehlte, daß es bei der großen Entfernung von
den Bertriebsorten schwer hielt, einen Verleger zu finden, kam als Hinderniß
hinzu. Um so höher sind die freilich nicht zahlreichen Männer zu schätzen,
welche diese Schwierigkeiten überwanden. -- Auch das Studium der Beredt-
samkeit wurde mit großem Eifer betrieben. Erfreuliche Resultate wurden



"Sie besteht darin, daß unter den Vokalen der J-Laut durchaus vorherrscht und
daß das in den Divhtvngen vorkommende -> konsonantisch lautet." L, Geiger Johann
Reuchlin. Leipzig 1871. S. 101.

war fast ausschließlich die Universalgeschichte. Dem Bedürfnisse der Gegen¬
wart dienten nur die politischen Zeitungen, die seit der Mitte des Jahrhunderts
zwei Mal wöchentlich, Sonntags und Donnerstags, erschienen. Das geogra¬
phische Gebiet wurde wenig bearbeitet, nur einige Reisebeschreibungen, wie sie
der Mediziner Caspar Stein und der churfürstliche Rath, frühere Kourektor an
der lateinischen Schule in Jnsterburg, Simon Jegers, verfaßte, gaben einen
gewissen Ersatz.

Mit großem Eifer wandte man sich dagegen dem Studium der alten
Sprachen zu. Ein hoher Grad in der Beherrschung der hebräischen Sprache
wurde erreicht; Reden und Disputationen in derselben waren nichts seltenes.
Ebenso wurde auf sichere Aneignung der griechischen Sprache großer Werth
gelegt, in den Schulen wurden griechische Ausarbeitungen, in gebundener und
ungebundener Rede, von den Schülern gefordert. Griechische Disputationen
wurden auf der Universität gehalten, wissenschaftliche Werke in griechischer
Sprache verfaßt. Die griechische Aussprache erregte einen heftigen Streit im
Lehrer-Kollegium des Altstädtischen Gymnasiums; der Lehrer Johannes
Peregrinus wich von der durch Reuchlin zur Geltung gebrachten Regel*) ab
und weigerte sich, derselben im Unterricht zu folgen. Vergeblich suchten Rektor
und Korrektor ihn auf die alte Bahn zurück zu führen. Auch die Vermittlungs¬
versuche des akademischen Senats und des altstüdtischen Raths blieben erfolg¬
los. Peregrinus legte sein Amt nieder, verließ Königsberg und ging nach
Stettin. Mit nicht geringem Fleiß wurde die lateinische Sprache gepflegt, die
Sprache der wissenschaftlichen Bildung, die Sprache, die in allen akademischen
Vorlesungen angewandt wurde. Ausschließlich für ihr Studium war, allerdings
nur auf kurze Zeit, ein akademischer Lehrstuhl errichtet worden. Dem Geist
der Zeit entsprechend, stellte man sich in Bezug auf das klassische Alterthum
nicht sowohl die Aufgabe, in den Geist desselben einzudringen, als vielmehr
Gewandtheit und Fertigkeit in dem Gebrauch seiner Sprachen zu erlangen.
Als Vorbild höchster Vollkommenheit in lateinischer Stylistik galt der Holländer
Justus Lipsius. So können wir uns auch nicht wundern, daß für kritische
Ausgaben der Klassiker und^ für ihre Erläuterung wenig geschah. Daß es an
Handschriften in den Bibliotheken fehlte, daß es bei der großen Entfernung von
den Bertriebsorten schwer hielt, einen Verleger zu finden, kam als Hinderniß
hinzu. Um so höher sind die freilich nicht zahlreichen Männer zu schätzen,
welche diese Schwierigkeiten überwanden. — Auch das Studium der Beredt-
samkeit wurde mit großem Eifer betrieben. Erfreuliche Resultate wurden



„Sie besteht darin, daß unter den Vokalen der J-Laut durchaus vorherrscht und
daß das in den Divhtvngen vorkommende -> konsonantisch lautet." L, Geiger Johann
Reuchlin. Leipzig 1871. S. 101.
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[0136] war fast ausschließlich die Universalgeschichte. Dem Bedürfnisse der Gegen¬ wart dienten nur die politischen Zeitungen, die seit der Mitte des Jahrhunderts zwei Mal wöchentlich, Sonntags und Donnerstags, erschienen. Das geogra¬ phische Gebiet wurde wenig bearbeitet, nur einige Reisebeschreibungen, wie sie der Mediziner Caspar Stein und der churfürstliche Rath, frühere Kourektor an der lateinischen Schule in Jnsterburg, Simon Jegers, verfaßte, gaben einen gewissen Ersatz. Mit großem Eifer wandte man sich dagegen dem Studium der alten Sprachen zu. Ein hoher Grad in der Beherrschung der hebräischen Sprache wurde erreicht; Reden und Disputationen in derselben waren nichts seltenes. Ebenso wurde auf sichere Aneignung der griechischen Sprache großer Werth gelegt, in den Schulen wurden griechische Ausarbeitungen, in gebundener und ungebundener Rede, von den Schülern gefordert. Griechische Disputationen wurden auf der Universität gehalten, wissenschaftliche Werke in griechischer Sprache verfaßt. Die griechische Aussprache erregte einen heftigen Streit im Lehrer-Kollegium des Altstädtischen Gymnasiums; der Lehrer Johannes Peregrinus wich von der durch Reuchlin zur Geltung gebrachten Regel*) ab und weigerte sich, derselben im Unterricht zu folgen. Vergeblich suchten Rektor und Korrektor ihn auf die alte Bahn zurück zu führen. Auch die Vermittlungs¬ versuche des akademischen Senats und des altstüdtischen Raths blieben erfolg¬ los. Peregrinus legte sein Amt nieder, verließ Königsberg und ging nach Stettin. Mit nicht geringem Fleiß wurde die lateinische Sprache gepflegt, die Sprache der wissenschaftlichen Bildung, die Sprache, die in allen akademischen Vorlesungen angewandt wurde. Ausschließlich für ihr Studium war, allerdings nur auf kurze Zeit, ein akademischer Lehrstuhl errichtet worden. Dem Geist der Zeit entsprechend, stellte man sich in Bezug auf das klassische Alterthum nicht sowohl die Aufgabe, in den Geist desselben einzudringen, als vielmehr Gewandtheit und Fertigkeit in dem Gebrauch seiner Sprachen zu erlangen. Als Vorbild höchster Vollkommenheit in lateinischer Stylistik galt der Holländer Justus Lipsius. So können wir uns auch nicht wundern, daß für kritische Ausgaben der Klassiker und^ für ihre Erläuterung wenig geschah. Daß es an Handschriften in den Bibliotheken fehlte, daß es bei der großen Entfernung von den Bertriebsorten schwer hielt, einen Verleger zu finden, kam als Hinderniß hinzu. Um so höher sind die freilich nicht zahlreichen Männer zu schätzen, welche diese Schwierigkeiten überwanden. — Auch das Studium der Beredt- samkeit wurde mit großem Eifer betrieben. Erfreuliche Resultate wurden „Sie besteht darin, daß unter den Vokalen der J-Laut durchaus vorherrscht und daß das in den Divhtvngen vorkommende -> konsonantisch lautet." L, Geiger Johann Reuchlin. Leipzig 1871. S. 101.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/136>, abgerufen am 28.09.2024.