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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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die er in sich trug, deutlich erkennen und ihn doch als eine befreiende That
begrüßen. Es war ein Ruf nach mehr Licht und nach mehr Luft, der aus
dem engen und durch Vorhanden verdunkelten Hause der lutherischen Theologie
drang. Man fing an Thüren und Fenster zu öffnen. Und Calixts Ideen
schlugen an vielen Orten Deutschlands ein, sie wurden zeitgemäß. Das freilich
schließlich erfolglose Thorner Neligionsgespräch von 1645 war ein Versuch,
ihnen praktischen Nachdruck zu geben. -- Auch in Königsberg faßten Calixts
Ideen Wurzel. Die jüngeren akademischen Theologen, die drei außerordentlichen
Professoren, Dr. Levinus Pouchenius, Dr. Michael Behm, Dr. Christian Dreier
waren ihre Vertreter. Offenbar begünstigte sie der Churfürst. Sie, und nicht der
ursprünglich dazu designirte Myslenta wurden zum Thorner Collegium depntirt.
Ein neuer Gesinnungsgenosse wurde ihnen in Latermaun gegeben, der ebenfalls
außerordentlicher Professor der Theologie war, zugleich Kaplan in der Altstadt,
später am Schloß, durch verwandschaftliche Beziehungen mit Behm verknüpft.*)
Je mehr der Calixtinismus hier Wurzel zu fassen suchte, desto heftiger erhob sich anch
gegen ihn die Opposition, geführt von Myslenta. Von den theologischen
Fakultäten Deutschlands wurden Gutachten erbeten und ertheilt, Disputationen
folgten auf Disputationen, das schwarze Brett der Albertina wurde eine Muster-
karte injnriöser Anschläge. Vor allem war es Latermcmn, der am energischsten
die Ideen Calixts vertheidigte, für und wider welchen der Streit entbrannte.
Sein Name wurde von den Kanzeln gerühmt oder beschimpft, die Bürger
nahmen Partei bald für, bald gegen ihn, die Stände protestirten gegen ihn
und seine Lehre. Vergeblich suchten die staatlichen Behörden zu vermitteln
und zu beruhigen. Immer heftiger lohte die Flamme des Streits auf. Myslenta
verlor im Laufe des Kampfes die Stellung an der Universität, weil er sich
andauernd weigerte, seinem Nachfolger im Dekanat, Michael Behm, die Fakul-
tätssiegel zu übergeben; auch das Amt im Konsistorium wurde ihm genommen.
Myslenta ergoß seinen Zorn über das ihm widerfahrene Unrecht in leiden¬
schaftlichen Predigten, in denen er klagte, "daß sich der Satan der Werkstatt
des heiligen Geistes in der Kirche und Akademie bemächtigt, dieselbe eingenommen
und sie zu des Satans Werkstatt und des Satans Schul gemacht." Noch
eine andre Gelegenheit bot sich ihm, seinen Zorn zu kühlen. Am 3leer August
1650 starb Michael Behm. Im Dom, der Begrübnißstätte der Professoren
sollte seine Leiche beigesetzt werden. Dreier war beauftragt, die Leichenrede zu
halten. Aber dieser Entweihung widersetzte sich Myslenta mit aller Energie.
Dreier versagte er die Kanzel, der Leiche Behuf die kirchlichen Ceremonien,
denn beide seien "Mamelucken und Verräther der lutherischen Religion." Und



Er war mit Behm's Schwester verheircithct.

die er in sich trug, deutlich erkennen und ihn doch als eine befreiende That
begrüßen. Es war ein Ruf nach mehr Licht und nach mehr Luft, der aus
dem engen und durch Vorhanden verdunkelten Hause der lutherischen Theologie
drang. Man fing an Thüren und Fenster zu öffnen. Und Calixts Ideen
schlugen an vielen Orten Deutschlands ein, sie wurden zeitgemäß. Das freilich
schließlich erfolglose Thorner Neligionsgespräch von 1645 war ein Versuch,
ihnen praktischen Nachdruck zu geben. — Auch in Königsberg faßten Calixts
Ideen Wurzel. Die jüngeren akademischen Theologen, die drei außerordentlichen
Professoren, Dr. Levinus Pouchenius, Dr. Michael Behm, Dr. Christian Dreier
waren ihre Vertreter. Offenbar begünstigte sie der Churfürst. Sie, und nicht der
ursprünglich dazu designirte Myslenta wurden zum Thorner Collegium depntirt.
Ein neuer Gesinnungsgenosse wurde ihnen in Latermaun gegeben, der ebenfalls
außerordentlicher Professor der Theologie war, zugleich Kaplan in der Altstadt,
später am Schloß, durch verwandschaftliche Beziehungen mit Behm verknüpft.*)
Je mehr der Calixtinismus hier Wurzel zu fassen suchte, desto heftiger erhob sich anch
gegen ihn die Opposition, geführt von Myslenta. Von den theologischen
Fakultäten Deutschlands wurden Gutachten erbeten und ertheilt, Disputationen
folgten auf Disputationen, das schwarze Brett der Albertina wurde eine Muster-
karte injnriöser Anschläge. Vor allem war es Latermcmn, der am energischsten
die Ideen Calixts vertheidigte, für und wider welchen der Streit entbrannte.
Sein Name wurde von den Kanzeln gerühmt oder beschimpft, die Bürger
nahmen Partei bald für, bald gegen ihn, die Stände protestirten gegen ihn
und seine Lehre. Vergeblich suchten die staatlichen Behörden zu vermitteln
und zu beruhigen. Immer heftiger lohte die Flamme des Streits auf. Myslenta
verlor im Laufe des Kampfes die Stellung an der Universität, weil er sich
andauernd weigerte, seinem Nachfolger im Dekanat, Michael Behm, die Fakul-
tätssiegel zu übergeben; auch das Amt im Konsistorium wurde ihm genommen.
Myslenta ergoß seinen Zorn über das ihm widerfahrene Unrecht in leiden¬
schaftlichen Predigten, in denen er klagte, „daß sich der Satan der Werkstatt
des heiligen Geistes in der Kirche und Akademie bemächtigt, dieselbe eingenommen
und sie zu des Satans Werkstatt und des Satans Schul gemacht." Noch
eine andre Gelegenheit bot sich ihm, seinen Zorn zu kühlen. Am 3leer August
1650 starb Michael Behm. Im Dom, der Begrübnißstätte der Professoren
sollte seine Leiche beigesetzt werden. Dreier war beauftragt, die Leichenrede zu
halten. Aber dieser Entweihung widersetzte sich Myslenta mit aller Energie.
Dreier versagte er die Kanzel, der Leiche Behuf die kirchlichen Ceremonien,
denn beide seien „Mamelucken und Verräther der lutherischen Religion." Und



Er war mit Behm's Schwester verheircithct.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/133>, abgerufen am 21.10.2024.