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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Werth gelten lassen. Bei dem jetzigen Stande unseres Wissens läßt sich nicht
entscheiden, ob der wahre Werth dem Maximum oder dein Minimum näher
liegt, nach den in der Physik allgemein giltigen Grundsätzen haben wir daher
den Mittelwerth zwischen beiden gelten zu lassen, und das gäbe sür die mittlere
Dauer einer Formation oder Hanptperiode der Erdgeschichte 1,100,000 Jahre,
was selbstverständlich nicht ausschließt, daß die eine drei oder vier Mal länger
gewesen ist als die andere.

Dieses Ergebniß läßt sich nun wieder durch Heranziehen geologischer That¬
sachen prüfen. Nach dein, was der Verfasser im neunzehnten Kapitel seines
Werkes sagt, konnte es scheinen, als ob wir in der Bildung der sedimentären
Gesteine kein Mittel zur Zeitbestimmung besäßen, da jene sich alle nach und
nach auf dem Meeresgrunde abgesetzt haben, und wir bis jetzt die Zunahme
dieser Ablagerungen auf dem heutigen Boden der See nicht verfolgen konnten.
Aber vermögen wir auf direktem Wege die Zeit, welche die Bildung einer
Schicht erforderte, nicht zu bestimmen, so läßt sich dieselbe doch auf indirekten
annähernd ermitteln. Die Thätigkeit des fließenden Wassers schafft die Stoffe
herbei, aus welchen sich im Meere die Schichten aufbauen, und das Herbei¬
schaffen und Bauen muß gleichen Schritt halten; denn wie ein Haus nicht
eher fertig werden kann, als bis die letzten Steine, Balken und Ziegel dazu
angefahren find, fo kann sich auch die letzte Schicht Gestein in einer Formation
nicht früher absetzen, als bis der kohlensaure Kalk dazu von den Flüssen
herangeschwemmt ist. Die Zeitdauer dieses Herauschaffens können wir nnn
aus der uns ihrem Betrage nach ziemlich genau bekannten Thätigkeit der
fließenden Gewässer berechnen. Der Mississippi liefert jährlich 7468,7
Millionen, der Ganges 6368 Millionen Kubikfuß Mineralsubstanz in das
Meer. Die Zuschwemmung des ersteren würde demnach hinreichen, um in
einem Jahre eine Fläche von fünftausend Quadratmeilen V?s8 Fuß hoch zu
bedecken. Das gäbe in 338 Jahren einen Fuß und in 1,014,000 Jahren
3000 Fuß, Das eigentliche Alpengebirge hat einen Flächeninhalt von 3659
Quadratmeilen. Die Massen, welche jene beiden Ströme ius Meer fördern,
würden vereinigt in der oben gefundenen mittleren Zeitdauer einer Formation
(1,100,000 Jahren) auf demselben Areal ein Tafelland von 7,100 Fuß mitt¬
lerer Höhe erzeugen, welches um etwa tausend Fuß höher sein würde, als
das, welches von der Masse der Alpen jetzt gebildet werden könnte. Halten
wir uns an das Volumen sekundärer Formationen, so fehen wir gleichfalls,
daß wir die Mittelzahlen für eine Formation nicht höher als die gefundene
annehmen dürfen, wenn wir den Thatsachen nicht widersprechen und uns in
bloßen Hypothesen gefallen wollen. Unsre deutsche Juraformation z. B. be¬
deckt von Lichtenfels am obern Main bis Schaffhausen 320 Quadratmeilen


Werth gelten lassen. Bei dem jetzigen Stande unseres Wissens läßt sich nicht
entscheiden, ob der wahre Werth dem Maximum oder dein Minimum näher
liegt, nach den in der Physik allgemein giltigen Grundsätzen haben wir daher
den Mittelwerth zwischen beiden gelten zu lassen, und das gäbe sür die mittlere
Dauer einer Formation oder Hanptperiode der Erdgeschichte 1,100,000 Jahre,
was selbstverständlich nicht ausschließt, daß die eine drei oder vier Mal länger
gewesen ist als die andere.

Dieses Ergebniß läßt sich nun wieder durch Heranziehen geologischer That¬
sachen prüfen. Nach dein, was der Verfasser im neunzehnten Kapitel seines
Werkes sagt, konnte es scheinen, als ob wir in der Bildung der sedimentären
Gesteine kein Mittel zur Zeitbestimmung besäßen, da jene sich alle nach und
nach auf dem Meeresgrunde abgesetzt haben, und wir bis jetzt die Zunahme
dieser Ablagerungen auf dem heutigen Boden der See nicht verfolgen konnten.
Aber vermögen wir auf direktem Wege die Zeit, welche die Bildung einer
Schicht erforderte, nicht zu bestimmen, so läßt sich dieselbe doch auf indirekten
annähernd ermitteln. Die Thätigkeit des fließenden Wassers schafft die Stoffe
herbei, aus welchen sich im Meere die Schichten aufbauen, und das Herbei¬
schaffen und Bauen muß gleichen Schritt halten; denn wie ein Haus nicht
eher fertig werden kann, als bis die letzten Steine, Balken und Ziegel dazu
angefahren find, fo kann sich auch die letzte Schicht Gestein in einer Formation
nicht früher absetzen, als bis der kohlensaure Kalk dazu von den Flüssen
herangeschwemmt ist. Die Zeitdauer dieses Herauschaffens können wir nnn
aus der uns ihrem Betrage nach ziemlich genau bekannten Thätigkeit der
fließenden Gewässer berechnen. Der Mississippi liefert jährlich 7468,7
Millionen, der Ganges 6368 Millionen Kubikfuß Mineralsubstanz in das
Meer. Die Zuschwemmung des ersteren würde demnach hinreichen, um in
einem Jahre eine Fläche von fünftausend Quadratmeilen V?s8 Fuß hoch zu
bedecken. Das gäbe in 338 Jahren einen Fuß und in 1,014,000 Jahren
3000 Fuß, Das eigentliche Alpengebirge hat einen Flächeninhalt von 3659
Quadratmeilen. Die Massen, welche jene beiden Ströme ius Meer fördern,
würden vereinigt in der oben gefundenen mittleren Zeitdauer einer Formation
(1,100,000 Jahren) auf demselben Areal ein Tafelland von 7,100 Fuß mitt¬
lerer Höhe erzeugen, welches um etwa tausend Fuß höher sein würde, als
das, welches von der Masse der Alpen jetzt gebildet werden könnte. Halten
wir uns an das Volumen sekundärer Formationen, so fehen wir gleichfalls,
daß wir die Mittelzahlen für eine Formation nicht höher als die gefundene
annehmen dürfen, wenn wir den Thatsachen nicht widersprechen und uns in
bloßen Hypothesen gefallen wollen. Unsre deutsche Juraformation z. B. be¬
deckt von Lichtenfels am obern Main bis Schaffhausen 320 Quadratmeilen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/13>, abgerufen am 28.09.2024.