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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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sie sich dieselbe denken, vereinbar scheint: und so kann es denn nichts schaden,
wenn man versucht, den alten Haß wieder ein wenig anzublasen durch Er¬
innerung an die strenge Behandlung, welche Frankfurt im Jahre 186L er¬
fahren hat. Um jene Zeit "in einem leidlich günstigen oder gar erhebenden
Lichte zu sehen," bedürfe es gar sehr der "politischen Schönfärberei" und der
"tendenziösen Geschichtschreibung/' meint Herr K., und er erweist dem Verfasser
dieses Artikels die Ehre, seine "Geschichte der neueste" Zeit" als ein "besonders
hervorleuchtendes Beispiel solcher tendenziösen Geschichtschreibung" in der Vor¬
rede zu nennen, und insbesondere die kurze Darstellung der frankfurter Vor¬
gänge im II. Bande jenes Werkes S. 141 ff. mit allen möglichen Beiwörtern
als abschreckendes Muster dieser abscheulichen Manier zu bezeichnen.

Es geschieht nicht dieser Epitheta wegen, daß wir die Aufmerksamkeit des
Lesers ans jene Kritik uuserer Darstellung lenken mochten. Diese Beiwörter
lassen uns sehr kalt; denn wer jemals das Schicksal gehabt hat, die Aufmerk¬
samkeit der ultramontanen Presse auf sich zu ziehen, der ist in einem Feuer
gehärtet, mit dem verglichen selbst die Gluth Partikularistischen Zornes angenehme
Temperatur zu nennen ist. Jene Kritik aber ist ein Beitrag zur Naturge¬
schichte des Partikularismus, und darum glauben wir den Widerwillen über¬
winden zu sollen, den uns eine Polemik einflößt, bei der man nicht auf die
Wahrheitsliebe des Gegners zählen kann. Es ist das erste Mal, daß wir
gegen diese Sorte von "Kritik" reagiren, soll auch das letzte Mal sein.

Der betreffende Passus in unserm Buche lautet:

"Der Weg uach Frankfurt lag offen. Dort hatte der Senat, als die Ge¬
fahr näher rückte, dem Rest des Bundestags selbst den Stuhl vor die Thür
gesetzt, und dieser war, bereits ein Rumpf und bald nur ein Name, nach Augsburg
geflüchtet, wo er nach einiger Zeit im Gasthof zu den drei Mohren vollends
verendete. Am 16. Abends zogen die Preußen, Vogel von Falkenstein, Goben,
Wrangel in Frankfurt ein. Die Bevölkerung empfing sie schweigend, sie hatte
kein gutes Gewissen Es mag dahingestellt bleiben, ob sich einzelne Nieder¬
trächtige dort in der That an preußischen Verwundeten vergriffen haben.
Thatsache aber war, daß seit lange die frankfurter Bevölkerung in besonders
ausgesprochener Weise Feindschaft gegen den preußischen Theil der Besatzung,
Offiziere wie Gemeine, an den Tag gelegt, und daß in der Aeußerung dieses
feigen Hasses hoher und niedriger Pöbel eine große Virtuosität und besonderes
Raffinement gezeigt hatten. Es war daher begreiflich genug, daß Offiziere und
Soldaten mit aller Genugthuung die strengen Maßregeln ausführten, welche
über die Stadt verhängt wurden, und es lag auch in der Absicht der Führer,
die Stadt die ganze Strenge soldatischen Regiments fühlen zu lassen; zu be
dauern bleibt, daß preußische Offiziere die Rolle brutaler Eroberer besser als


sie sich dieselbe denken, vereinbar scheint: und so kann es denn nichts schaden,
wenn man versucht, den alten Haß wieder ein wenig anzublasen durch Er¬
innerung an die strenge Behandlung, welche Frankfurt im Jahre 186L er¬
fahren hat. Um jene Zeit „in einem leidlich günstigen oder gar erhebenden
Lichte zu sehen," bedürfe es gar sehr der „politischen Schönfärberei" und der
„tendenziösen Geschichtschreibung/' meint Herr K., und er erweist dem Verfasser
dieses Artikels die Ehre, seine „Geschichte der neueste» Zeit" als ein „besonders
hervorleuchtendes Beispiel solcher tendenziösen Geschichtschreibung" in der Vor¬
rede zu nennen, und insbesondere die kurze Darstellung der frankfurter Vor¬
gänge im II. Bande jenes Werkes S. 141 ff. mit allen möglichen Beiwörtern
als abschreckendes Muster dieser abscheulichen Manier zu bezeichnen.

Es geschieht nicht dieser Epitheta wegen, daß wir die Aufmerksamkeit des
Lesers ans jene Kritik uuserer Darstellung lenken mochten. Diese Beiwörter
lassen uns sehr kalt; denn wer jemals das Schicksal gehabt hat, die Aufmerk¬
samkeit der ultramontanen Presse auf sich zu ziehen, der ist in einem Feuer
gehärtet, mit dem verglichen selbst die Gluth Partikularistischen Zornes angenehme
Temperatur zu nennen ist. Jene Kritik aber ist ein Beitrag zur Naturge¬
schichte des Partikularismus, und darum glauben wir den Widerwillen über¬
winden zu sollen, den uns eine Polemik einflößt, bei der man nicht auf die
Wahrheitsliebe des Gegners zählen kann. Es ist das erste Mal, daß wir
gegen diese Sorte von „Kritik" reagiren, soll auch das letzte Mal sein.

Der betreffende Passus in unserm Buche lautet:

„Der Weg uach Frankfurt lag offen. Dort hatte der Senat, als die Ge¬
fahr näher rückte, dem Rest des Bundestags selbst den Stuhl vor die Thür
gesetzt, und dieser war, bereits ein Rumpf und bald nur ein Name, nach Augsburg
geflüchtet, wo er nach einiger Zeit im Gasthof zu den drei Mohren vollends
verendete. Am 16. Abends zogen die Preußen, Vogel von Falkenstein, Goben,
Wrangel in Frankfurt ein. Die Bevölkerung empfing sie schweigend, sie hatte
kein gutes Gewissen Es mag dahingestellt bleiben, ob sich einzelne Nieder¬
trächtige dort in der That an preußischen Verwundeten vergriffen haben.
Thatsache aber war, daß seit lange die frankfurter Bevölkerung in besonders
ausgesprochener Weise Feindschaft gegen den preußischen Theil der Besatzung,
Offiziere wie Gemeine, an den Tag gelegt, und daß in der Aeußerung dieses
feigen Hasses hoher und niedriger Pöbel eine große Virtuosität und besonderes
Raffinement gezeigt hatten. Es war daher begreiflich genug, daß Offiziere und
Soldaten mit aller Genugthuung die strengen Maßregeln ausführten, welche
über die Stadt verhängt wurden, und es lag auch in der Absicht der Führer,
die Stadt die ganze Strenge soldatischen Regiments fühlen zu lassen; zu be
dauern bleibt, daß preußische Offiziere die Rolle brutaler Eroberer besser als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/119>, abgerufen am 28.09.2024.