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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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geberdet sich eine contagiöse Krankheit, wenn sie, von örtlichen Verhältnissen
begünstigt, über ein in Bulgarien und Rumelien operirendes Heer herfällt.




Die neueste literarische That °des MrtiKularismus.

In diesen Tagen ist ein Buch erschienen, welches den Titel führt "Ge¬
schichte der Eroberung der freien Stadt Frankfurt durch Preußen im Jahre
1866, von Otto Kanngießer", und das auf 472 Seiten jene Vorgänge
erzählt, ohne daß wir an irgend einer Stelle eine Spur davou hätten
entdecken können, daß zwischen dem Buch und seinem Gegenstand das große
Versöhnungsjahr 1870/71 liegt. Der Verfasser schließt diese Erzählung mit
dem Wunsche nicht allein, sondern mit der sehr zuversichtlichen Weissagung, daß
die Zeit kommen werde, wo das deutsche Parlament nicht mehr in Berlin, auch
nicht in Leipzig oder einer norddeutschen Stadt, sondern in Frankfurt a. M.
tagen werde. Es soll uns gar nicht wundern, wenn diese neue Idee in nächster
Zeit eine Art von Feldgeschrei für die am meisten rückwärts geschritteneu
Elemente im Partikularistischen Lager bilden wird. Zunächst fordert der Ver¬
fasser diejenigen Bürger Frankfurts auf, "welche 1866 am Grabe der durch
Waffengewalt untergegangenen freistädtischen Institutionen standen," bis jener
Zeitpunkt eintrete, der, wie er versichert, gewiß einst kommen werde, "deu
Glauben an die Zukunft Frankfurts in der Kinder und Enkel Herzen zu
nähren und zu befestigen", und um zu diesem Zwecke ein Scherflein beizutragen,
hat er das gewiß sehr zeitgemäße Werk unternommen, die Leiden Frankfurts
in jenen üblen Tagen des Juli 1866 ausführlich und mit vielen -- allerdings mit
der ganzen Sorgfalt eines Advokaten ausgewählten -- Dokumenten zu schildern.
Herr Kanngießer geberdet sich, wie man es in einer guten Parteischrift machen
soll, sehr objektiv: Material zur Geschichte Frankfurts will er sammeln, ehe
dasselbe sich verflüchtigt: er ist aber doch in der Vorrede sehr ungehalten über
diejenigen, welche "anno 1866 nicht nur hochmögende Herrn, sondern anch
leidenschaftliche Gegner des Herrn v. Bismarck waren und heute -- ihren
Frieden mit diesem Staatsmann geschlossen haben". Es scheint, daß diese
Neigung "seinen Frieden mit diesem Staatsmann zu machen" allmählich in
dem Frankfurt, das uach dem Ende dessen, was er s, von lueenäo die frei¬
städtischen Institutionen nennt, aufblühe, sich weiter verbreitet, als Herr
Kanngießer und seine Gesinnungsgenossen mit der "Zukunft Frankfurts" wie


geberdet sich eine contagiöse Krankheit, wenn sie, von örtlichen Verhältnissen
begünstigt, über ein in Bulgarien und Rumelien operirendes Heer herfällt.




Die neueste literarische That °des MrtiKularismus.

In diesen Tagen ist ein Buch erschienen, welches den Titel führt „Ge¬
schichte der Eroberung der freien Stadt Frankfurt durch Preußen im Jahre
1866, von Otto Kanngießer", und das auf 472 Seiten jene Vorgänge
erzählt, ohne daß wir an irgend einer Stelle eine Spur davou hätten
entdecken können, daß zwischen dem Buch und seinem Gegenstand das große
Versöhnungsjahr 1870/71 liegt. Der Verfasser schließt diese Erzählung mit
dem Wunsche nicht allein, sondern mit der sehr zuversichtlichen Weissagung, daß
die Zeit kommen werde, wo das deutsche Parlament nicht mehr in Berlin, auch
nicht in Leipzig oder einer norddeutschen Stadt, sondern in Frankfurt a. M.
tagen werde. Es soll uns gar nicht wundern, wenn diese neue Idee in nächster
Zeit eine Art von Feldgeschrei für die am meisten rückwärts geschritteneu
Elemente im Partikularistischen Lager bilden wird. Zunächst fordert der Ver¬
fasser diejenigen Bürger Frankfurts auf, „welche 1866 am Grabe der durch
Waffengewalt untergegangenen freistädtischen Institutionen standen," bis jener
Zeitpunkt eintrete, der, wie er versichert, gewiß einst kommen werde, „deu
Glauben an die Zukunft Frankfurts in der Kinder und Enkel Herzen zu
nähren und zu befestigen", und um zu diesem Zwecke ein Scherflein beizutragen,
hat er das gewiß sehr zeitgemäße Werk unternommen, die Leiden Frankfurts
in jenen üblen Tagen des Juli 1866 ausführlich und mit vielen — allerdings mit
der ganzen Sorgfalt eines Advokaten ausgewählten — Dokumenten zu schildern.
Herr Kanngießer geberdet sich, wie man es in einer guten Parteischrift machen
soll, sehr objektiv: Material zur Geschichte Frankfurts will er sammeln, ehe
dasselbe sich verflüchtigt: er ist aber doch in der Vorrede sehr ungehalten über
diejenigen, welche „anno 1866 nicht nur hochmögende Herrn, sondern anch
leidenschaftliche Gegner des Herrn v. Bismarck waren und heute — ihren
Frieden mit diesem Staatsmann geschlossen haben". Es scheint, daß diese
Neigung „seinen Frieden mit diesem Staatsmann zu machen" allmählich in
dem Frankfurt, das uach dem Ende dessen, was er s, von lueenäo die frei¬
städtischen Institutionen nennt, aufblühe, sich weiter verbreitet, als Herr
Kanngießer und seine Gesinnungsgenossen mit der „Zukunft Frankfurts" wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/118>, abgerufen am 28.09.2024.