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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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der Außenseite des Westflügels enthielt ein Nebengebäude die Küchen und das
Bad für die Kaserne. An der einen Seite zog sich an allen vier Flügeln in
beiden Stockwerken eine offene Galerie hin, auf welche die Thüren der Stuben
und -- der Aborte hinausgingen, schmaler Gemächer mit sieben trichterförmigen
Löchern im Fußboden, unter dem große Kanäle die Unreinigkeiten abführen
sollten, aber verstopft waren. Ueber dem Hauptthore in der Mitte des südli¬
chen Flügels befanden sich die Paradezimmer des Wessirs und in jeder Ecke
des Gebäudes Stuben für die Stabsoffiziere, während die übrigen Offiziere
zwischen den Stuben der Gemeinen ihre Zimmer gehabt hatten. Die Fu߬
boden waren von Backsteinen. An den Wänden liefen 6 Zoll hohe Pritschen
von Bretern hin, auf welche die russischen Kranken gebettet wurden. In den
kleineren Zimmern lagen von diesen 20, in den größeren 40--60, in den
größten 100 Kranke. Da es an Stroh und Heu mangelte, so mußten zer¬
schnittene Türkenzelte als Matratzen, Tornister als Kopfkissen und Mäntel als
Decken dienen. In den Küchen fand man Springbrunnen, auch das Bad hatte
seine eigene Wasserleitung, es war mit Marmor bekleidet, sehr hübsch und
kunstreich gebaut und bekam sein Wasser und seinen heißen Dampf durch
Röhren unter den Platten des Fußbodens.

"Wir hätten uns glücklich schätzen können", sagt unser Tagebuch, "ein so
bequemes Gebäude zur Aufnahme unserer Kranken zu finden, da das Land so
wenig Dörfer hat. Aber die Zimmer starrten von Schmutz, und die' Abtritte
verpesteten die Luft. In mehr als drei Viertheilen der Kaserne fehlten die
Fensterscheiben, ja selbst die Rahmen, und die Thüren warm so schlecht, daß
man die Hand zwischen die Fugen stecken konnte. Während des Sonnners
dachte man nicht daran, die nöthigen Reparaturen vorzunehmen, da niemand
ahnte, daß uns hier der Herbst oder gar der Winter noch vorfinden würde.
Als es aber entschieden war, daß die Kranken hier überwintern sollten, war
es unmöglich, das Versäumte nachzuholen. Am unverbesserlichsten war die
Einrichtung der türkischen Abtritte, die nicht gereinigt werden konnten. Täglich
depvnirten hier fünftausend Menschen, von denen die Hülste an der Ruhr litt,
ihre Unreinigkeiten. Fünfzig Arbeiter reichten nicht hin, um die Besudeluugen
der schwachen Kranken wegzuschaffen, und so kam es, daß das ganze Gebäude
in kurzer Zeit vom abscheulichsten Gestanke verpestet war. Hierzu kamen im
Herbst und Winter noch die von Feuchtigkeit triefenden Wände und Decken,
die zum Morast aufgeweichte Unterlage des Erdgeschosses, die Kälte, welche
durch Fenster und Thüren in die unheizbaren Stuben drang -- genug und
übergenug, um die unter solchen Umständen lebenden Kranken für das kleinste
Atom von Pesteontaginm empfänglich zu machen. Aber bis dahin vergingen
noch drei volle Monate. Durchfälle, Ruhr, Wechsel- und Synvchalfieber,


der Außenseite des Westflügels enthielt ein Nebengebäude die Küchen und das
Bad für die Kaserne. An der einen Seite zog sich an allen vier Flügeln in
beiden Stockwerken eine offene Galerie hin, auf welche die Thüren der Stuben
und — der Aborte hinausgingen, schmaler Gemächer mit sieben trichterförmigen
Löchern im Fußboden, unter dem große Kanäle die Unreinigkeiten abführen
sollten, aber verstopft waren. Ueber dem Hauptthore in der Mitte des südli¬
chen Flügels befanden sich die Paradezimmer des Wessirs und in jeder Ecke
des Gebäudes Stuben für die Stabsoffiziere, während die übrigen Offiziere
zwischen den Stuben der Gemeinen ihre Zimmer gehabt hatten. Die Fu߬
boden waren von Backsteinen. An den Wänden liefen 6 Zoll hohe Pritschen
von Bretern hin, auf welche die russischen Kranken gebettet wurden. In den
kleineren Zimmern lagen von diesen 20, in den größeren 40—60, in den
größten 100 Kranke. Da es an Stroh und Heu mangelte, so mußten zer¬
schnittene Türkenzelte als Matratzen, Tornister als Kopfkissen und Mäntel als
Decken dienen. In den Küchen fand man Springbrunnen, auch das Bad hatte
seine eigene Wasserleitung, es war mit Marmor bekleidet, sehr hübsch und
kunstreich gebaut und bekam sein Wasser und seinen heißen Dampf durch
Röhren unter den Platten des Fußbodens.

„Wir hätten uns glücklich schätzen können", sagt unser Tagebuch, „ein so
bequemes Gebäude zur Aufnahme unserer Kranken zu finden, da das Land so
wenig Dörfer hat. Aber die Zimmer starrten von Schmutz, und die' Abtritte
verpesteten die Luft. In mehr als drei Viertheilen der Kaserne fehlten die
Fensterscheiben, ja selbst die Rahmen, und die Thüren warm so schlecht, daß
man die Hand zwischen die Fugen stecken konnte. Während des Sonnners
dachte man nicht daran, die nöthigen Reparaturen vorzunehmen, da niemand
ahnte, daß uns hier der Herbst oder gar der Winter noch vorfinden würde.
Als es aber entschieden war, daß die Kranken hier überwintern sollten, war
es unmöglich, das Versäumte nachzuholen. Am unverbesserlichsten war die
Einrichtung der türkischen Abtritte, die nicht gereinigt werden konnten. Täglich
depvnirten hier fünftausend Menschen, von denen die Hülste an der Ruhr litt,
ihre Unreinigkeiten. Fünfzig Arbeiter reichten nicht hin, um die Besudeluugen
der schwachen Kranken wegzuschaffen, und so kam es, daß das ganze Gebäude
in kurzer Zeit vom abscheulichsten Gestanke verpestet war. Hierzu kamen im
Herbst und Winter noch die von Feuchtigkeit triefenden Wände und Decken,
die zum Morast aufgeweichte Unterlage des Erdgeschosses, die Kälte, welche
durch Fenster und Thüren in die unheizbaren Stuben drang — genug und
übergenug, um die unter solchen Umständen lebenden Kranken für das kleinste
Atom von Pesteontaginm empfänglich zu machen. Aber bis dahin vergingen
noch drei volle Monate. Durchfälle, Ruhr, Wechsel- und Synvchalfieber,


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[0115] der Außenseite des Westflügels enthielt ein Nebengebäude die Küchen und das Bad für die Kaserne. An der einen Seite zog sich an allen vier Flügeln in beiden Stockwerken eine offene Galerie hin, auf welche die Thüren der Stuben und — der Aborte hinausgingen, schmaler Gemächer mit sieben trichterförmigen Löchern im Fußboden, unter dem große Kanäle die Unreinigkeiten abführen sollten, aber verstopft waren. Ueber dem Hauptthore in der Mitte des südli¬ chen Flügels befanden sich die Paradezimmer des Wessirs und in jeder Ecke des Gebäudes Stuben für die Stabsoffiziere, während die übrigen Offiziere zwischen den Stuben der Gemeinen ihre Zimmer gehabt hatten. Die Fu߬ boden waren von Backsteinen. An den Wänden liefen 6 Zoll hohe Pritschen von Bretern hin, auf welche die russischen Kranken gebettet wurden. In den kleineren Zimmern lagen von diesen 20, in den größeren 40—60, in den größten 100 Kranke. Da es an Stroh und Heu mangelte, so mußten zer¬ schnittene Türkenzelte als Matratzen, Tornister als Kopfkissen und Mäntel als Decken dienen. In den Küchen fand man Springbrunnen, auch das Bad hatte seine eigene Wasserleitung, es war mit Marmor bekleidet, sehr hübsch und kunstreich gebaut und bekam sein Wasser und seinen heißen Dampf durch Röhren unter den Platten des Fußbodens. „Wir hätten uns glücklich schätzen können", sagt unser Tagebuch, „ein so bequemes Gebäude zur Aufnahme unserer Kranken zu finden, da das Land so wenig Dörfer hat. Aber die Zimmer starrten von Schmutz, und die' Abtritte verpesteten die Luft. In mehr als drei Viertheilen der Kaserne fehlten die Fensterscheiben, ja selbst die Rahmen, und die Thüren warm so schlecht, daß man die Hand zwischen die Fugen stecken konnte. Während des Sonnners dachte man nicht daran, die nöthigen Reparaturen vorzunehmen, da niemand ahnte, daß uns hier der Herbst oder gar der Winter noch vorfinden würde. Als es aber entschieden war, daß die Kranken hier überwintern sollten, war es unmöglich, das Versäumte nachzuholen. Am unverbesserlichsten war die Einrichtung der türkischen Abtritte, die nicht gereinigt werden konnten. Täglich depvnirten hier fünftausend Menschen, von denen die Hülste an der Ruhr litt, ihre Unreinigkeiten. Fünfzig Arbeiter reichten nicht hin, um die Besudeluugen der schwachen Kranken wegzuschaffen, und so kam es, daß das ganze Gebäude in kurzer Zeit vom abscheulichsten Gestanke verpestet war. Hierzu kamen im Herbst und Winter noch die von Feuchtigkeit triefenden Wände und Decken, die zum Morast aufgeweichte Unterlage des Erdgeschosses, die Kälte, welche durch Fenster und Thüren in die unheizbaren Stuben drang — genug und übergenug, um die unter solchen Umständen lebenden Kranken für das kleinste Atom von Pesteontaginm empfänglich zu machen. Aber bis dahin vergingen noch drei volle Monate. Durchfälle, Ruhr, Wechsel- und Synvchalfieber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/115>, abgerufen am 28.09.2024.