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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ganze Stadt regieren will. Ein loser unnützer Mensch ist er, der ans der
Kanzel nicht Gottes Wort predigt, sondern hohlhippclt und ehrliche Leute
schandflecket, welchen der Teufel besessen und aus dem Munde spricht. Ein
schändlicher Gabenfresser ist er, der sich auch von meinem Bruder, dem losen
Schelme, welcher seiner Betrügerei halber die Stadt von Außen ansehen
müssen, hat bestechen und mit Gelde dazu erkaufen lassen, daß er mir zuwider
sei. Dieses Alles, was ich geredet habe, Beides vom Pastoren und Superin¬
tendenten, das bitt' ich, Herr Michael Rhau, wollet Ihr ihnen anzeigen aus
meinem Munde; denn es ist wahr, ich will es geständig sein und gilt thun. --
Nun die losen Schelme nicht weiter können, weisen sie mich vom Abendmahle
und von der Taufe ab, vermeinend, mich damit zu zwingen, daß ich soll von
meiner christlichen Freie abstehen; aber es soll ihnen nicht gelingen. Haben
sie so gute Sache und ist meine Sache so böse, warum unterdrücken sie die
Judicia, die desfalls von Leipzig, Rostock und Wittenberg hierher geschrieben
sind? Warum tragen sie Scheu, dieselben Einem Ehrbaren Rathe einzu¬
reichen? Wer eine gute Sache hat, der kommt an das Licht; sie scheuen das
Licht. Li-M! -- Doch es soll ihnen Alles nicht helfen. Ich habe gestern ein
Judicium aus der Universität von Rostock bekommen, welches ich Euch senden
will, daraus Ihr werdet zu ermessen haben, wie ich' mit Gewalt von den
losen, schelmischen Bösewichtern in meiner guten Sache verfolgt und unterdrückt
werde. Denn sie, die meine Richter sein sollen, sind auch meine Kläger!
Möchte sie Alle der Teufel holen!"

Mit diesen Worten rannte die 'ans das Aeußerste erregte Frau zur Kirche
hinaus und, wie Rhau erzählt, schnurstracks in das Haus, da das Kind¬
betten"-Gelag gehalten wurde, wo sie aufs Neue ihre Galle über deu
Superintendenten Pauheuins und den Pastor Schröder mit großer Bitterkeit
ausgoß.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in wenigen Stunden das Gerücht von
diesem Ereigniß dnrch die ganze Stadt, und während vieler Wochen wurde in
allen Häusern von nichts Anderem als von der grenzenlosen Verwegenheit
der Bürgermeisterin Lüdinghusen gesprochen. Um so weniger konnten die
beiden beleidigten Geistlichen zu dein Vorgefallenen schweigen; ja, das ganze
Ministerium, das sich gekränkt fühlte, vereinigte sich mit ihnen zu einer heftigen
Anklage bei Einem Hochedlen Rathe, bei welcher Gelegenheit die geistlichen
Herren denn anch nicht eben sehr säuberlich mit der Frau Bürgermeisterin
Verführer, wenn sie dieselbe geradezu "ein gottloses Lästermaul" und ein "un¬
nützes Stück Fleisch" nannten. Der Rath hielt es für das Zweckmäßigste,
zum Behuf der Beilegung dieser Zwistigkeit eine besondere Kommission zu
ernennen. Die Zusammensetzung dieser Kommission beweist, wie wichtig der-


ganze Stadt regieren will. Ein loser unnützer Mensch ist er, der ans der
Kanzel nicht Gottes Wort predigt, sondern hohlhippclt und ehrliche Leute
schandflecket, welchen der Teufel besessen und aus dem Munde spricht. Ein
schändlicher Gabenfresser ist er, der sich auch von meinem Bruder, dem losen
Schelme, welcher seiner Betrügerei halber die Stadt von Außen ansehen
müssen, hat bestechen und mit Gelde dazu erkaufen lassen, daß er mir zuwider
sei. Dieses Alles, was ich geredet habe, Beides vom Pastoren und Superin¬
tendenten, das bitt' ich, Herr Michael Rhau, wollet Ihr ihnen anzeigen aus
meinem Munde; denn es ist wahr, ich will es geständig sein und gilt thun. —
Nun die losen Schelme nicht weiter können, weisen sie mich vom Abendmahle
und von der Taufe ab, vermeinend, mich damit zu zwingen, daß ich soll von
meiner christlichen Freie abstehen; aber es soll ihnen nicht gelingen. Haben
sie so gute Sache und ist meine Sache so böse, warum unterdrücken sie die
Judicia, die desfalls von Leipzig, Rostock und Wittenberg hierher geschrieben
sind? Warum tragen sie Scheu, dieselben Einem Ehrbaren Rathe einzu¬
reichen? Wer eine gute Sache hat, der kommt an das Licht; sie scheuen das
Licht. Li-M! — Doch es soll ihnen Alles nicht helfen. Ich habe gestern ein
Judicium aus der Universität von Rostock bekommen, welches ich Euch senden
will, daraus Ihr werdet zu ermessen haben, wie ich' mit Gewalt von den
losen, schelmischen Bösewichtern in meiner guten Sache verfolgt und unterdrückt
werde. Denn sie, die meine Richter sein sollen, sind auch meine Kläger!
Möchte sie Alle der Teufel holen!"

Mit diesen Worten rannte die 'ans das Aeußerste erregte Frau zur Kirche
hinaus und, wie Rhau erzählt, schnurstracks in das Haus, da das Kind¬
betten»-Gelag gehalten wurde, wo sie aufs Neue ihre Galle über deu
Superintendenten Pauheuins und den Pastor Schröder mit großer Bitterkeit
ausgoß.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in wenigen Stunden das Gerücht von
diesem Ereigniß dnrch die ganze Stadt, und während vieler Wochen wurde in
allen Häusern von nichts Anderem als von der grenzenlosen Verwegenheit
der Bürgermeisterin Lüdinghusen gesprochen. Um so weniger konnten die
beiden beleidigten Geistlichen zu dein Vorgefallenen schweigen; ja, das ganze
Ministerium, das sich gekränkt fühlte, vereinigte sich mit ihnen zu einer heftigen
Anklage bei Einem Hochedlen Rathe, bei welcher Gelegenheit die geistlichen
Herren denn anch nicht eben sehr säuberlich mit der Frau Bürgermeisterin
Verführer, wenn sie dieselbe geradezu „ein gottloses Lästermaul" und ein „un¬
nützes Stück Fleisch" nannten. Der Rath hielt es für das Zweckmäßigste,
zum Behuf der Beilegung dieser Zwistigkeit eine besondere Kommission zu
ernennen. Die Zusammensetzung dieser Kommission beweist, wie wichtig der-


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[0108] ganze Stadt regieren will. Ein loser unnützer Mensch ist er, der ans der Kanzel nicht Gottes Wort predigt, sondern hohlhippclt und ehrliche Leute schandflecket, welchen der Teufel besessen und aus dem Munde spricht. Ein schändlicher Gabenfresser ist er, der sich auch von meinem Bruder, dem losen Schelme, welcher seiner Betrügerei halber die Stadt von Außen ansehen müssen, hat bestechen und mit Gelde dazu erkaufen lassen, daß er mir zuwider sei. Dieses Alles, was ich geredet habe, Beides vom Pastoren und Superin¬ tendenten, das bitt' ich, Herr Michael Rhau, wollet Ihr ihnen anzeigen aus meinem Munde; denn es ist wahr, ich will es geständig sein und gilt thun. — Nun die losen Schelme nicht weiter können, weisen sie mich vom Abendmahle und von der Taufe ab, vermeinend, mich damit zu zwingen, daß ich soll von meiner christlichen Freie abstehen; aber es soll ihnen nicht gelingen. Haben sie so gute Sache und ist meine Sache so böse, warum unterdrücken sie die Judicia, die desfalls von Leipzig, Rostock und Wittenberg hierher geschrieben sind? Warum tragen sie Scheu, dieselben Einem Ehrbaren Rathe einzu¬ reichen? Wer eine gute Sache hat, der kommt an das Licht; sie scheuen das Licht. Li-M! — Doch es soll ihnen Alles nicht helfen. Ich habe gestern ein Judicium aus der Universität von Rostock bekommen, welches ich Euch senden will, daraus Ihr werdet zu ermessen haben, wie ich' mit Gewalt von den losen, schelmischen Bösewichtern in meiner guten Sache verfolgt und unterdrückt werde. Denn sie, die meine Richter sein sollen, sind auch meine Kläger! Möchte sie Alle der Teufel holen!" Mit diesen Worten rannte die 'ans das Aeußerste erregte Frau zur Kirche hinaus und, wie Rhau erzählt, schnurstracks in das Haus, da das Kind¬ betten»-Gelag gehalten wurde, wo sie aufs Neue ihre Galle über deu Superintendenten Pauheuins und den Pastor Schröder mit großer Bitterkeit ausgoß. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in wenigen Stunden das Gerücht von diesem Ereigniß dnrch die ganze Stadt, und während vieler Wochen wurde in allen Häusern von nichts Anderem als von der grenzenlosen Verwegenheit der Bürgermeisterin Lüdinghusen gesprochen. Um so weniger konnten die beiden beleidigten Geistlichen zu dein Vorgefallenen schweigen; ja, das ganze Ministerium, das sich gekränkt fühlte, vereinigte sich mit ihnen zu einer heftigen Anklage bei Einem Hochedlen Rathe, bei welcher Gelegenheit die geistlichen Herren denn anch nicht eben sehr säuberlich mit der Frau Bürgermeisterin Verführer, wenn sie dieselbe geradezu „ein gottloses Lästermaul" und ein „un¬ nützes Stück Fleisch" nannten. Der Rath hielt es für das Zweckmäßigste, zum Behuf der Beilegung dieser Zwistigkeit eine besondere Kommission zu ernennen. Die Zusammensetzung dieser Kommission beweist, wie wichtig der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/108>, abgerufen am 28.09.2024.