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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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und Gewissen sich sogar mit Hermann Buning, den sie doch niemals ehelichen
dürfe, verlobt habe." Der Prediger Rhan sagte ihr das Alles, wie er fest
versichert, mit der größten Freundlichkeit, in der gewissen Erwartung, sie werde
ihm mit Freundlichkeit und gutem Bescheide begegnen; aber es kam anders, er
mußte - uach seiner eigenen Aeußerung -- "eitel Unbescheidenheit, Schelt-
und Lüsterworte, ohn' alles Aufhören, öffentlich von ihr in Gegenwart der
anderen Frauen anhören; ja so laut fuhr sie mit ehrenrühriger Worten
heraus, daß nicht allein die Frauen, so bei der Taufe standen, sondern Jeder-
männiglich, so durch die Kirche ging, gar helle hören konnte, was sie sagte."
Und was sie in ihrem heillosen Eifer durch die Kirche schrie, das war dies:
"Ich bin zu Gevatter hierher gebeten, und hier will ich auch stehen und mich
keineswegs davon abweisen lassen. Ich gebe Euch, lieber Herr Rhau, deshalb
keine Schuld; denn ich weiß wohl, daß Ihr solches jetziger Zeit nicht von
Euch selber, sondern auf Befehl des Superintendenten Pauhenius thut. Aber
ums frage ich nach ihm! Wisset zum Ersten, daß ich billig meinen Beicht¬
vater, deu Pastor Schröder, verlassen und einen anderen erwählt habe; denn
der Pastor Schröder ist ein loser Lügner und hat mir schändlich vorgelogen
in dem, daß er sagte, ich wäre mit meinem Bräutigam im dritten Grade ver¬
wandt, welches nicht wahr ist. Denn ich habe Dr. Luther's Bücher auch und
kann dieselben ebenso wohl lesen und verstehe sie auch so gut, wie er. Der¬
weil ich ihn aber in dieser Sache lügenhaft finde, kann ich ihm Hernachmals
nicht mehr trauen. Zudem, selbst wenn die Kraclns allhier zwischen mir und
meinem Bräutigam noch so wären, so kann er doch solches nicht hindern; denn
ich will beweisen, daß Pastor Schröder zuvor ihrer Zween getraut hat, die
viel näher verwandt waren. Jonas N. hat seines Vaters Bruder-Weib ge¬
freit, und unser Pastor Schröder hat sie getraut; dafür hat er genommen
einen Nosenobel und still geschwiegen. Daraus ist zu sehen, daß er ein
leichtfertiger Mensch ist, der mit Geld sich bestechen läßt, darnach ich ihm
nicht vertraue. -- Zum Andern , belangent den Superintendenten, der ist ein
loser Schelm, bei dein keine Ehre zu suchen, viel weniger zu finden ist; ein
Mörder, denn er hat zu Braunschweig, wo er Rektor war, einen Knaben in
der Schule zu Tode gestrichen; ein Dieb, der mir meine Ehre abstehlen, ja
mich um Leib und Gut bringen will; ein Landläufer, welcher, da er nirgends
bleiben konnte, kam er hierher; ein Geizhals, der nicht der Kirchen Bestes,
alles nicht der Leute Seligkeit, sondern seinen eigenen Vortheil sucht; denn
wenn er nicht jährlich an die 1500 Mark hätte wissen zu bekommen, wäre er
nimmer hierher gekommen. Er ist Einer, der sich in fremde Händel mischt,
der nicht allein die Kirche und deu Predigtstuhl, sondern auch die Schule, das
Rathhaus, den Markt, den Fleischschrangen, die Büttelei und in Summa die


und Gewissen sich sogar mit Hermann Buning, den sie doch niemals ehelichen
dürfe, verlobt habe." Der Prediger Rhan sagte ihr das Alles, wie er fest
versichert, mit der größten Freundlichkeit, in der gewissen Erwartung, sie werde
ihm mit Freundlichkeit und gutem Bescheide begegnen; aber es kam anders, er
mußte - uach seiner eigenen Aeußerung — „eitel Unbescheidenheit, Schelt-
und Lüsterworte, ohn' alles Aufhören, öffentlich von ihr in Gegenwart der
anderen Frauen anhören; ja so laut fuhr sie mit ehrenrühriger Worten
heraus, daß nicht allein die Frauen, so bei der Taufe standen, sondern Jeder-
männiglich, so durch die Kirche ging, gar helle hören konnte, was sie sagte."
Und was sie in ihrem heillosen Eifer durch die Kirche schrie, das war dies:
„Ich bin zu Gevatter hierher gebeten, und hier will ich auch stehen und mich
keineswegs davon abweisen lassen. Ich gebe Euch, lieber Herr Rhau, deshalb
keine Schuld; denn ich weiß wohl, daß Ihr solches jetziger Zeit nicht von
Euch selber, sondern auf Befehl des Superintendenten Pauhenius thut. Aber
ums frage ich nach ihm! Wisset zum Ersten, daß ich billig meinen Beicht¬
vater, deu Pastor Schröder, verlassen und einen anderen erwählt habe; denn
der Pastor Schröder ist ein loser Lügner und hat mir schändlich vorgelogen
in dem, daß er sagte, ich wäre mit meinem Bräutigam im dritten Grade ver¬
wandt, welches nicht wahr ist. Denn ich habe Dr. Luther's Bücher auch und
kann dieselben ebenso wohl lesen und verstehe sie auch so gut, wie er. Der¬
weil ich ihn aber in dieser Sache lügenhaft finde, kann ich ihm Hernachmals
nicht mehr trauen. Zudem, selbst wenn die Kraclns allhier zwischen mir und
meinem Bräutigam noch so wären, so kann er doch solches nicht hindern; denn
ich will beweisen, daß Pastor Schröder zuvor ihrer Zween getraut hat, die
viel näher verwandt waren. Jonas N. hat seines Vaters Bruder-Weib ge¬
freit, und unser Pastor Schröder hat sie getraut; dafür hat er genommen
einen Nosenobel und still geschwiegen. Daraus ist zu sehen, daß er ein
leichtfertiger Mensch ist, der mit Geld sich bestechen läßt, darnach ich ihm
nicht vertraue. — Zum Andern , belangent den Superintendenten, der ist ein
loser Schelm, bei dein keine Ehre zu suchen, viel weniger zu finden ist; ein
Mörder, denn er hat zu Braunschweig, wo er Rektor war, einen Knaben in
der Schule zu Tode gestrichen; ein Dieb, der mir meine Ehre abstehlen, ja
mich um Leib und Gut bringen will; ein Landläufer, welcher, da er nirgends
bleiben konnte, kam er hierher; ein Geizhals, der nicht der Kirchen Bestes,
alles nicht der Leute Seligkeit, sondern seinen eigenen Vortheil sucht; denn
wenn er nicht jährlich an die 1500 Mark hätte wissen zu bekommen, wäre er
nimmer hierher gekommen. Er ist Einer, der sich in fremde Händel mischt,
der nicht allein die Kirche und deu Predigtstuhl, sondern auch die Schule, das
Rathhaus, den Markt, den Fleischschrangen, die Büttelei und in Summa die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/107>, abgerufen am 28.09.2024.