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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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bei dem dortigen Konsistorium dahin, daß dasselbe sich bei den strengen
Kollegen in Lübeck für die Zulassung der Ehe verwendete; und ihr Sach¬
walter, Dr, Joachim Gregory, der wohl wußte, daß die geistlichen Beisitzer
des Lübeckischen Konsistoriums die hartnäckigsten waren in der Verweigerung,
wandte sich um dieselbe Zeit in einer besonderen ausführlichen Bittschrift an
das Lübeckische Ministerium und bat dasselbe um eine freundliche Vermittelung
in der mißlichen Sache, indem er es zugleich zu überzeugen suchte, daß der
Zulassung einer Dispensation etwas Gesetzliches durchaus nicht im Wege stehe.
Auf die Verwendung der Rostocker Konsistorialen antworteten die Lübecker in
bester Form jener Zeit, umständlich und höflich, aber -- abschläglich. Ebenso
wenig richtete Gregory beim Ministerium aus; die Erwiderung, die er empfing,
enthielt eine gar unsanfte Zurechtweisung, daß er sich anmaße, besser als ein
hochwürdiges Konsistorium wissen zu wollen, was in Ehesachen zulässig sei,
und was nicht. Daß das Ministerium sich so scharf äußerte, das hatte vor¬
nehmlich einer der berühmtesten Theologen jener Zeit, der Superintendent zu
Braunschweig und Schüler Melanchthon's, Martin Chemnitz, zu verantworten,
der um seine Meinung befragt, entschieden gegen die Ertheilung einer Dispen¬
sation sich ausgesprochen hatte.

So standen die Sachen, als das Jahr 1578 herannahte, und im Gefolge
desselben ein Ereigniß, welches in der Heimthsgeschichte der Frau Bürger¬
meisterin Epoche machend wurde. Sie war nämlich auf den 21. Februar des
genannten Jahres zum Gevatterstehen bei einer in der Se. Petri-Kirche abzu¬
haltenden Taufe gebeten worden und hatte sich zu derselben auch in aller
Ordnung eingefunden. Indeß der Prediger Michael Rhau, dem das Geschäft
dieser Taufe oblag, glaubte die durch unchristliches Widerstreben seit längerer
Zeit mit der Kirche zerfallene und deshalb auch bereits vom Abendmahle
zurückgewiesene Frau nicht ohne Weiteres zum Gevatterstehen zulassen zu
dürfen. "Deshalb," so schreibt er selbst in seinem Tagebuche, "begehrte er
zuvor mit ihr ein besonderes Gespräch in der Kirche zu halten, guter Hoffnung,
sie würde ihre Fehler erkennen und sich nochmals nach aller Gebühr zu ver¬
halten angeloben, alsdann wollte er sie zur Gevatterschaft gestattet haben." In
diesem besonderen Gespräche machte der Prediger Rhau die Frau Lüdinghnsen
auf folgende drei Punkte aufmerksam, die zu bereuen und zu verbessern sie vor
dem Beginn der kirchlichen Handlung versprechen möchte, nämlich erstens, daß
sie, und zwar ohne rechtmäßigen Grund, ihren bisherigen Beichtvater, den
Pastor Schröder, verlassen und einen andern sich erwählt habe; zweitens, daß
sie fortwährend hartnäckig dem Ausspruche eines hochwürdigen Konsistoriums
sich entgegensetze, der doch der Ausspruch auch der heiligen Schrift und zugleich
der Gesetze des Landes sei; und endlich drittens, daß sie wider besseres Wissen


bei dem dortigen Konsistorium dahin, daß dasselbe sich bei den strengen
Kollegen in Lübeck für die Zulassung der Ehe verwendete; und ihr Sach¬
walter, Dr, Joachim Gregory, der wohl wußte, daß die geistlichen Beisitzer
des Lübeckischen Konsistoriums die hartnäckigsten waren in der Verweigerung,
wandte sich um dieselbe Zeit in einer besonderen ausführlichen Bittschrift an
das Lübeckische Ministerium und bat dasselbe um eine freundliche Vermittelung
in der mißlichen Sache, indem er es zugleich zu überzeugen suchte, daß der
Zulassung einer Dispensation etwas Gesetzliches durchaus nicht im Wege stehe.
Auf die Verwendung der Rostocker Konsistorialen antworteten die Lübecker in
bester Form jener Zeit, umständlich und höflich, aber — abschläglich. Ebenso
wenig richtete Gregory beim Ministerium aus; die Erwiderung, die er empfing,
enthielt eine gar unsanfte Zurechtweisung, daß er sich anmaße, besser als ein
hochwürdiges Konsistorium wissen zu wollen, was in Ehesachen zulässig sei,
und was nicht. Daß das Ministerium sich so scharf äußerte, das hatte vor¬
nehmlich einer der berühmtesten Theologen jener Zeit, der Superintendent zu
Braunschweig und Schüler Melanchthon's, Martin Chemnitz, zu verantworten,
der um seine Meinung befragt, entschieden gegen die Ertheilung einer Dispen¬
sation sich ausgesprochen hatte.

So standen die Sachen, als das Jahr 1578 herannahte, und im Gefolge
desselben ein Ereigniß, welches in der Heimthsgeschichte der Frau Bürger¬
meisterin Epoche machend wurde. Sie war nämlich auf den 21. Februar des
genannten Jahres zum Gevatterstehen bei einer in der Se. Petri-Kirche abzu¬
haltenden Taufe gebeten worden und hatte sich zu derselben auch in aller
Ordnung eingefunden. Indeß der Prediger Michael Rhau, dem das Geschäft
dieser Taufe oblag, glaubte die durch unchristliches Widerstreben seit längerer
Zeit mit der Kirche zerfallene und deshalb auch bereits vom Abendmahle
zurückgewiesene Frau nicht ohne Weiteres zum Gevatterstehen zulassen zu
dürfen. „Deshalb," so schreibt er selbst in seinem Tagebuche, „begehrte er
zuvor mit ihr ein besonderes Gespräch in der Kirche zu halten, guter Hoffnung,
sie würde ihre Fehler erkennen und sich nochmals nach aller Gebühr zu ver¬
halten angeloben, alsdann wollte er sie zur Gevatterschaft gestattet haben." In
diesem besonderen Gespräche machte der Prediger Rhau die Frau Lüdinghnsen
auf folgende drei Punkte aufmerksam, die zu bereuen und zu verbessern sie vor
dem Beginn der kirchlichen Handlung versprechen möchte, nämlich erstens, daß
sie, und zwar ohne rechtmäßigen Grund, ihren bisherigen Beichtvater, den
Pastor Schröder, verlassen und einen andern sich erwählt habe; zweitens, daß
sie fortwährend hartnäckig dem Ausspruche eines hochwürdigen Konsistoriums
sich entgegensetze, der doch der Ausspruch auch der heiligen Schrift und zugleich
der Gesetze des Landes sei; und endlich drittens, daß sie wider besseres Wissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/106>, abgerufen am 28.09.2024.