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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Erst möge sie das in dieser Hinsicht Geschehene rückgängig machen, dann und
nur dann könne sie den Zweck erreichen, um dessen willen sie in das
Gotteshaus gekommen sei." Und so mußte die Frau Bürgermeisterin -- man
denke sich den Lärm, den solch ein Ereigniß in der Stadt hervorrufen
mußte -- ohne gebeichtet zu beiden und absolvirt zu sein, die Kirche
wieder verlassen.

Nach so bitteren Erfahrungen glaubte die Lndinghnsen ihre Sache nicht
mehr wie bisher allein führen zu können; sie zog deshalb den Lübeckischen
Rechtsgelehrten I)r. Joachim Gregory in ihr Interesse und berieth sich mit
ihm über die Wege, welche möglicher Weise zur Erfüllung ihrer Wünsche führen
könnten. Sein Rath war: an die theologischen Falkultäteu einiger der bedeutendsten
Universitäten Deutschlands sich schriftlich zu wenden und um deren Ansicht
über das vorliegende Eheprojekt zu bitten. Er hoffte, es werde, wenn diese
Ansicht günstig ausfalle, auch das Lübeckische Konsistorium sich leichter zur
Nachsicht bewegen lassen. So wurden, im Anfange des Jahres 1577, drei
gleichlautende Schreiben an die theologischen Fakultäten der Universitäten zu
Leipzig, Wittenberg und Rostock abgesandt, und zugleich auch das Konsistorium
zu Rostock um noch einmalige ernste Prüfung der Sache dringend ersucht.
Der Erfolg dieses Schrittes war für die Betheiligten über alle Erwartung
erfreulich. Zwar stimmten die drei Falkultäten darin mit dem Urtheile der
Lübecker überein, daß die Ehe mit einem im dritten Gliede der Schwiegerschaft
ungleicher Linie Verwandten sowohl den göttlichen als anch den kaiserlichen
Gesetzen zuwiderlaufe; allem sie hielten doch dafür, daß in solchem Falle von
Seiten der betreffenden Obrigkeit eine Dispensation recht füglich dürfe ertheilt
werden. Eben dahin ging jetzt, im Widerspruche mit der Schärfe des
früheren Gutachtens, auch die Meinung des Konsistoriums zu Rostock.
Man will behaupten, daß die Lüdinghnsen daselbst gute Freunde gehabt
habe, die, sich mit aller Macht ihres Einflusses für sie verwendend, eine
Milderung des ersten Urtheils bewirkt hätten. Eiligst wurden nnn diese aus
der Fremde eingeholtem, günstigen Ausspruche dein Lübeckischen Konsistorium
überreicht, mit der ergebensten Bitte, danach jenes harte Dekret vom 1. Februar
des vorigen Jahres rückgängig machen und die betreffende vielgewünschte Ehe
freundlichst gestatten zu wollen. Ein hochwürdiges Konsistorium der Stadt
Lübeck aber that, was seitdem zum Oeftern ihm nachgethan worden ist, es legte die
eingereichte Bittschrift mit allen ihren Anlagen von ^ bis v s-et", und
antwortete gar nicht. Das war zwar für Frau Adelheid im höchsten Grade
betrübend, aber verzagen ließ es sie nicht! Sie wußte Mittel und Wege, die
stumm gewordenen Herren wieder zum Reden zu bringen. Auf ihre Bitte
wirkten nämlich ihre guten Freunde in Rostock, im August des Jahres 1577,


Grenzboten III. 1877. 13

Erst möge sie das in dieser Hinsicht Geschehene rückgängig machen, dann und
nur dann könne sie den Zweck erreichen, um dessen willen sie in das
Gotteshaus gekommen sei." Und so mußte die Frau Bürgermeisterin — man
denke sich den Lärm, den solch ein Ereigniß in der Stadt hervorrufen
mußte — ohne gebeichtet zu beiden und absolvirt zu sein, die Kirche
wieder verlassen.

Nach so bitteren Erfahrungen glaubte die Lndinghnsen ihre Sache nicht
mehr wie bisher allein führen zu können; sie zog deshalb den Lübeckischen
Rechtsgelehrten I)r. Joachim Gregory in ihr Interesse und berieth sich mit
ihm über die Wege, welche möglicher Weise zur Erfüllung ihrer Wünsche führen
könnten. Sein Rath war: an die theologischen Falkultäteu einiger der bedeutendsten
Universitäten Deutschlands sich schriftlich zu wenden und um deren Ansicht
über das vorliegende Eheprojekt zu bitten. Er hoffte, es werde, wenn diese
Ansicht günstig ausfalle, auch das Lübeckische Konsistorium sich leichter zur
Nachsicht bewegen lassen. So wurden, im Anfange des Jahres 1577, drei
gleichlautende Schreiben an die theologischen Fakultäten der Universitäten zu
Leipzig, Wittenberg und Rostock abgesandt, und zugleich auch das Konsistorium
zu Rostock um noch einmalige ernste Prüfung der Sache dringend ersucht.
Der Erfolg dieses Schrittes war für die Betheiligten über alle Erwartung
erfreulich. Zwar stimmten die drei Falkultäten darin mit dem Urtheile der
Lübecker überein, daß die Ehe mit einem im dritten Gliede der Schwiegerschaft
ungleicher Linie Verwandten sowohl den göttlichen als anch den kaiserlichen
Gesetzen zuwiderlaufe; allem sie hielten doch dafür, daß in solchem Falle von
Seiten der betreffenden Obrigkeit eine Dispensation recht füglich dürfe ertheilt
werden. Eben dahin ging jetzt, im Widerspruche mit der Schärfe des
früheren Gutachtens, auch die Meinung des Konsistoriums zu Rostock.
Man will behaupten, daß die Lüdinghnsen daselbst gute Freunde gehabt
habe, die, sich mit aller Macht ihres Einflusses für sie verwendend, eine
Milderung des ersten Urtheils bewirkt hätten. Eiligst wurden nnn diese aus
der Fremde eingeholtem, günstigen Ausspruche dein Lübeckischen Konsistorium
überreicht, mit der ergebensten Bitte, danach jenes harte Dekret vom 1. Februar
des vorigen Jahres rückgängig machen und die betreffende vielgewünschte Ehe
freundlichst gestatten zu wollen. Ein hochwürdiges Konsistorium der Stadt
Lübeck aber that, was seitdem zum Oeftern ihm nachgethan worden ist, es legte die
eingereichte Bittschrift mit allen ihren Anlagen von ^ bis v s-et», und
antwortete gar nicht. Das war zwar für Frau Adelheid im höchsten Grade
betrübend, aber verzagen ließ es sie nicht! Sie wußte Mittel und Wege, die
stumm gewordenen Herren wieder zum Reden zu bringen. Auf ihre Bitte
wirkten nämlich ihre guten Freunde in Rostock, im August des Jahres 1577,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/105>, abgerufen am 28.09.2024.