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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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zugegen weigerlich verhalten würden, mit der Strafe, welche in beschriebenen
kaiserlichen Rechten namhaft und ausdrücklich auf diesen Fall verordnet wäre,
unnachlässig und ernstlich verfahren werde."

Hatte die Lüdinghusen in solcher Weise durch ihre Bitte die Erfüllung
ihres Wunsches nicht erreichen können, so versuchte sie nun durch einen Gewalt¬
schritt ihrem Ziele näher zu kommen. Sie verlobte sich nämlich mit ihrem
Bräutigam heimlich, ohne Vorwissen ihres Bruders, ihrer Schwester, ihres Stief¬
sohnes und ihrer übrigen entfernteren Verwandten, in der Meinung, daß,
wenn sie uur mit ihrem Erwählten, was sie bisher nicht war, erst förmlich
verlobt sei, und dadurch ihr entschiedener Vorsatz, bei ihrem einmal gefaßten
Entschlüsse beharren zu wollen, immer sichtbarer werde, alsdann auch die
obrigkeitliche Erlaubniß zur kirchlichen Trauung früher oder später nicht aus¬
bleiben werde. Ja, ihre Hoffnung steigerte sich von Tage zu Tage, als um
von Seiten der Obrigkeit gegen diese ihre Verlobung durchaus keine Einrede
geschah. Der Rath und das Konsistorium hatten mit Absicht diesen Schritt
der Lüdinghnsen gänzlich ignorirt; sie wollten, da ein Kläger nicht auftrat,
auf ein bloßes Gerücht hin, an dessen Wahrheit sie freilich keinen Zweifel hegten,
nicht gegen sie verfahren.

Anders dachte in diesem Punkte Herr Theodor Vaßmer, zweiter Prediger
an der Se. Petri-Kirche zu Lübeck, ob in Uebereinstimmung und nach Besprechung
mit dem gesammten Ministerium, oder einzig der eigenen Ansicht folgend, das
ist nicht klar. Denn er strafte sie für ihren Eigenwillen scharf, als die Gelegen¬
heit ihm dazu wurde, und diese Gelegenheit gab die Lüdinghnsen selbst. Es
war nämlich schon damals Sitte, daß das von einem Einzelnen in einem
Kollegium Gesprochene nach Verlauf von wenigen Tagen der ganzen Stadt
bekannt wurde; und fo hatte denn auch die Frau Bürgermeisterin gar bald
erfahren, daß von ihrem Beichtvater, dem Pastor Schröder, gegen ihre beabsichtigte
Hei rath mit Buning heftig im Konsistorium geeifert worden war: ein Umstand,
der sie bestimmte, seinen Beichtstuhl nicht ferner betreten und sich seiner Seel¬
sorge nicht weiter anvertrauen zu wollen. Sie wählte an seine Stelle seinen
Kollegen, den genannten Prediger Theodor Vaßmer. Als sie aber, um die
Mitte des Jahres 1576, an einem Sonnabend-Vormittage, zu diesem in den
Beichtstuhl trat, sagte er ihr, ebenso höflich, wie entschieden: "daß er leider
sie zur Beichte nicht zulassen, auch die Absolution ihr nicht ertheilen dürfe,
aus dem einfachen Grunde, weil sie erstens gegen göttliches und weltliches
Gesetz eine Ehe in verbotenen Graden zu contrahiren Willens sei, ja bereits,
trotz des besonderen obrigkeitlichen Befehles, dcchinführende Schritte felbstmächtig
gethan, und weil sie zweitens ihren bisherigen Beichtvater, der ihr in dieser
Sache doch weislich gerathen, ohne alle Ursache böswillig verlassen habe.


zugegen weigerlich verhalten würden, mit der Strafe, welche in beschriebenen
kaiserlichen Rechten namhaft und ausdrücklich auf diesen Fall verordnet wäre,
unnachlässig und ernstlich verfahren werde."

Hatte die Lüdinghusen in solcher Weise durch ihre Bitte die Erfüllung
ihres Wunsches nicht erreichen können, so versuchte sie nun durch einen Gewalt¬
schritt ihrem Ziele näher zu kommen. Sie verlobte sich nämlich mit ihrem
Bräutigam heimlich, ohne Vorwissen ihres Bruders, ihrer Schwester, ihres Stief¬
sohnes und ihrer übrigen entfernteren Verwandten, in der Meinung, daß,
wenn sie uur mit ihrem Erwählten, was sie bisher nicht war, erst förmlich
verlobt sei, und dadurch ihr entschiedener Vorsatz, bei ihrem einmal gefaßten
Entschlüsse beharren zu wollen, immer sichtbarer werde, alsdann auch die
obrigkeitliche Erlaubniß zur kirchlichen Trauung früher oder später nicht aus¬
bleiben werde. Ja, ihre Hoffnung steigerte sich von Tage zu Tage, als um
von Seiten der Obrigkeit gegen diese ihre Verlobung durchaus keine Einrede
geschah. Der Rath und das Konsistorium hatten mit Absicht diesen Schritt
der Lüdinghnsen gänzlich ignorirt; sie wollten, da ein Kläger nicht auftrat,
auf ein bloßes Gerücht hin, an dessen Wahrheit sie freilich keinen Zweifel hegten,
nicht gegen sie verfahren.

Anders dachte in diesem Punkte Herr Theodor Vaßmer, zweiter Prediger
an der Se. Petri-Kirche zu Lübeck, ob in Uebereinstimmung und nach Besprechung
mit dem gesammten Ministerium, oder einzig der eigenen Ansicht folgend, das
ist nicht klar. Denn er strafte sie für ihren Eigenwillen scharf, als die Gelegen¬
heit ihm dazu wurde, und diese Gelegenheit gab die Lüdinghnsen selbst. Es
war nämlich schon damals Sitte, daß das von einem Einzelnen in einem
Kollegium Gesprochene nach Verlauf von wenigen Tagen der ganzen Stadt
bekannt wurde; und fo hatte denn auch die Frau Bürgermeisterin gar bald
erfahren, daß von ihrem Beichtvater, dem Pastor Schröder, gegen ihre beabsichtigte
Hei rath mit Buning heftig im Konsistorium geeifert worden war: ein Umstand,
der sie bestimmte, seinen Beichtstuhl nicht ferner betreten und sich seiner Seel¬
sorge nicht weiter anvertrauen zu wollen. Sie wählte an seine Stelle seinen
Kollegen, den genannten Prediger Theodor Vaßmer. Als sie aber, um die
Mitte des Jahres 1576, an einem Sonnabend-Vormittage, zu diesem in den
Beichtstuhl trat, sagte er ihr, ebenso höflich, wie entschieden: „daß er leider
sie zur Beichte nicht zulassen, auch die Absolution ihr nicht ertheilen dürfe,
aus dem einfachen Grunde, weil sie erstens gegen göttliches und weltliches
Gesetz eine Ehe in verbotenen Graden zu contrahiren Willens sei, ja bereits,
trotz des besonderen obrigkeitlichen Befehles, dcchinführende Schritte felbstmächtig
gethan, und weil sie zweitens ihren bisherigen Beichtvater, der ihr in dieser
Sache doch weislich gerathen, ohne alle Ursache böswillig verlassen habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/104>, abgerufen am 21.10.2024.