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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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vom 13. November an, aufhob, schädigte die Regierung den pariser Kleinhandel
empfindlich und trieb viele dieser erbitterten Kaufleute in die Reihen ihrer
Gegner. Es war dies von nicht geringem Schaden, denn viele dieser Leute
übten in ihren Stadtvierteln großen Einfluß. Noch schlimmer aber wirkte
die gleichzeitige Verordnung, daß die Svldzahlungen aufhören sollten. Das
war geradezu eine grobe Thorheit. Hätte man noch einige Monate den Sold
weiter gezahlt, nud den Termin an dem er aufhören sollte, lange voraus
bestimmt, so hätten die Verhältnisse wie die Menschen allmülig wieder in
die altgewohnten Bahnen einlenken können. So aber, man muß nur gerecht
sein, war die Lage des pariser Arbeiters eine verzweifelte. Noch stockte Handel
und Wandel überall, die Leute konnten nichts verdienen und waren ein
halbes Jahr gewöhnt gewesen, zu faullenzen. Allerdings hätte die weitere
Soldzahlung für zwei Monate dem Staate viele Millionen gekostet; aber der
Kommnneanfstand hat noch mehr gekostet. Die Sache ist außerdem nicht ohne
Prcieedenzfall in Frankreich. Als im Jahre 1848 die Radikalen Plakate an¬
schlugen mit dem Inhalt: "Bürger laßt Euch die Waffen nicht nehmen, Ihr
werdet sie noch brauchen gegen die Reaktion!" Da schlug die provisorische
Regierung einfach Gegenplakate an: "Ans der Mairie wird gezahlt: für ein
Gewehr -- 5 Francs; für einen Säbel -- 2 Francs; für ein Bajonett --
1 Francs. Und siehe da -- in 8 Tagen hatte die Regierung mehr Waffen,
als die Aufständischen geraubt hatten, denn friedfertige und sparsame Bürger-
wehrmänner benutzten die Gelegenheit sich der gefährlichen Schießeisen zu
entledigen, zu deren Uebernahme sie sich in einem Moment des politischen
Paroxysmus hatten hinreißen lassen. Anfangs hätten die Kommunisten vielleicht
der Verlockung widerstanden, aber nach und nach, wenn der Hunger sich gemeldet,
hätten die vielen Tausende schwankender Gemüther' sicherlich ihre Waffen
gegen Geld eingetauscht. Erzählt der Verfasser doch als Augenzeuge, wie am
19. März, also zu eiuer Zeit, als die Wogen der Aufregung noch hoch gingen,
von den Föderirten eine Mitrailleuse für den gewiß civilen Preis von 75 Francs
verkauft wurde. Sicherlich wäre ein Häuflein Fanatiker auch hier übrig geblieben,
aber deren Besiegung wäre ungemein erleichtert worden. Statt zu dieser
klugen Maßregel zu greifen, beging man zu Versailles einen ferneren groben
Mißgriff. Das Departement der Seine hatte 21,000 Mobilgarden gestellt,
die sich während des ganzen Krieges, znerst im Lager von Chalons, dann
während der Belagerung von Paris als eine meuterische, feige, unbrauchbare
Truppe gezeigt hatten. Diese Leute entließ man nun, anstatt sie im Innern
zu interniren, indem man ihnen männiglich 10 Francs Handgeld gab. Sie
vertrauten das Geld und traten sofort in die Reihen der Kommune über.

Diese selbst begann sich zum Kampfe zu organisiren. Nichts kennzeichnete


vom 13. November an, aufhob, schädigte die Regierung den pariser Kleinhandel
empfindlich und trieb viele dieser erbitterten Kaufleute in die Reihen ihrer
Gegner. Es war dies von nicht geringem Schaden, denn viele dieser Leute
übten in ihren Stadtvierteln großen Einfluß. Noch schlimmer aber wirkte
die gleichzeitige Verordnung, daß die Svldzahlungen aufhören sollten. Das
war geradezu eine grobe Thorheit. Hätte man noch einige Monate den Sold
weiter gezahlt, nud den Termin an dem er aufhören sollte, lange voraus
bestimmt, so hätten die Verhältnisse wie die Menschen allmülig wieder in
die altgewohnten Bahnen einlenken können. So aber, man muß nur gerecht
sein, war die Lage des pariser Arbeiters eine verzweifelte. Noch stockte Handel
und Wandel überall, die Leute konnten nichts verdienen und waren ein
halbes Jahr gewöhnt gewesen, zu faullenzen. Allerdings hätte die weitere
Soldzahlung für zwei Monate dem Staate viele Millionen gekostet; aber der
Kommnneanfstand hat noch mehr gekostet. Die Sache ist außerdem nicht ohne
Prcieedenzfall in Frankreich. Als im Jahre 1848 die Radikalen Plakate an¬
schlugen mit dem Inhalt: „Bürger laßt Euch die Waffen nicht nehmen, Ihr
werdet sie noch brauchen gegen die Reaktion!" Da schlug die provisorische
Regierung einfach Gegenplakate an: „Ans der Mairie wird gezahlt: für ein
Gewehr — 5 Francs; für einen Säbel — 2 Francs; für ein Bajonett —
1 Francs. Und siehe da — in 8 Tagen hatte die Regierung mehr Waffen,
als die Aufständischen geraubt hatten, denn friedfertige und sparsame Bürger-
wehrmänner benutzten die Gelegenheit sich der gefährlichen Schießeisen zu
entledigen, zu deren Uebernahme sie sich in einem Moment des politischen
Paroxysmus hatten hinreißen lassen. Anfangs hätten die Kommunisten vielleicht
der Verlockung widerstanden, aber nach und nach, wenn der Hunger sich gemeldet,
hätten die vielen Tausende schwankender Gemüther' sicherlich ihre Waffen
gegen Geld eingetauscht. Erzählt der Verfasser doch als Augenzeuge, wie am
19. März, also zu eiuer Zeit, als die Wogen der Aufregung noch hoch gingen,
von den Föderirten eine Mitrailleuse für den gewiß civilen Preis von 75 Francs
verkauft wurde. Sicherlich wäre ein Häuflein Fanatiker auch hier übrig geblieben,
aber deren Besiegung wäre ungemein erleichtert worden. Statt zu dieser
klugen Maßregel zu greifen, beging man zu Versailles einen ferneren groben
Mißgriff. Das Departement der Seine hatte 21,000 Mobilgarden gestellt,
die sich während des ganzen Krieges, znerst im Lager von Chalons, dann
während der Belagerung von Paris als eine meuterische, feige, unbrauchbare
Truppe gezeigt hatten. Diese Leute entließ man nun, anstatt sie im Innern
zu interniren, indem man ihnen männiglich 10 Francs Handgeld gab. Sie
vertrauten das Geld und traten sofort in die Reihen der Kommune über.

Diese selbst begann sich zum Kampfe zu organisiren. Nichts kennzeichnete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/97>, abgerufen am 27.09.2024.