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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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äußerst hoch gehaltenen Weg: sie erließ ein Dekret. Die Gegner lachten sie
aus, konstituirten sich noch geheimnißvoller und vorsichtiger zu neuer Verbin¬
dung und warteten der Gelegenheit. Hätte man die bekannten Leiter ergriffen,
vor Gericht gestellt und füsilirt, die untern Persönlichkeiten auf das schonungs¬
loseste verfolgt, ans der Stadt gejagt oder in diejenigen Forts internirt, welche
von zuverlässigen Linientruppen besetzt waren, so hätte man vielleicht etwas
erreicht. Politische Gegner aber mit Polizeidekreten zu entwaffnen, das können
nur Leute hoffen, deren Leben sich in Phrasen bewegt. Nun kam die Kapitu¬
lation und der Waffenstillstand. Es waren in der That seltsame und unheim¬
liche Zustände. Die eine Regierung war eigentlich lahm gelegt, die neue noch
nicht geordnet. In der Stadt gegen 300,000 Nationalgarten, Mobilgarden,
Linientruppen, zum Theil voll Haß und Mißtrauen gegen einander erfüllt.
Die besseren Elemente voll Schmerz und Erbitterung über den Sieg der
Feinde, die schlechten Elemente mit stiller Frende den Moment erwartend, der
ihnen die ersehnte Herrschaft und die Befriedigung ihrer niedern Leidenschaften
bringen sollte. Alle Nationalgarten bewaffnet, mit Geld verhältnißmäßig gut
versehen, durch die Spekulation und die Regierungsmaßregeln überreich mit
Nahrungsmitteln bedacht. Man lebte in jenen Tagen viel biNiger in Paris,
als in der Provinz. -- Von den Linientruppen hatte nach den Bestimmungen
der Kapitulation nur ein kleines Korps die Waffen behalten dürfen. Von
dem Centralcomite erfolgte die Weisung, die Vorstadt-Bataillone sollten mit
diesen Truppen fraternisiren, und sie ans ihre Seite hinüberziehen. Diese
Weisung wurde pünktlich befolgt, so gut, daß diese Truppen in der That eid¬
brüchig wurden und zu den Kommunisten später übergingen. Am 24. Februar
trat das Comite centrale der Kommune aus seinem Dunkel hervor. Nachdem
in vorbereitenden Versammlungen die Stimmung der betreffenden Bataillone
sondirt war, erklärten an diesem Tage 144 Bataillone ihre Unterwerfung uuter
die Beschlüsse des Centralcomite. Damit war dies zum Herrn der Stadt ge¬
macht. Jede andere Regierung war Null.

Es ist interessant und belehrend zu sehen, welche Frechheit die Führer
entwickelten, und wie richtig sie die hochgradige Dummheit der Massen beur¬
theilte", um sie sich in die Hand zu spielen. Mit ihren wahren Absichten her¬
vorzutreten, hüteten sie sich wohl. Es wurde daher ein Antrag gestellt: "Bei
dem ersten Signal, daß die Preußen in die Stadt eindringen, versammeln sich
alle Kompagnien der Nationalgarde auf ihren Plätzen, um zu einer gemein¬
samen Aktion gegen den Feind geführt zu werden." Dieser Antrag wurde
selbstverständlich mit der größten Begeisterung angenommen. Es war das
natürlich nur ein leeres Manöver, um die Massen zu blenden, denn zur selben
Stunde suchten die Führer mit dem größten Eifer in möglichst freundliche Be-


äußerst hoch gehaltenen Weg: sie erließ ein Dekret. Die Gegner lachten sie
aus, konstituirten sich noch geheimnißvoller und vorsichtiger zu neuer Verbin¬
dung und warteten der Gelegenheit. Hätte man die bekannten Leiter ergriffen,
vor Gericht gestellt und füsilirt, die untern Persönlichkeiten auf das schonungs¬
loseste verfolgt, ans der Stadt gejagt oder in diejenigen Forts internirt, welche
von zuverlässigen Linientruppen besetzt waren, so hätte man vielleicht etwas
erreicht. Politische Gegner aber mit Polizeidekreten zu entwaffnen, das können
nur Leute hoffen, deren Leben sich in Phrasen bewegt. Nun kam die Kapitu¬
lation und der Waffenstillstand. Es waren in der That seltsame und unheim¬
liche Zustände. Die eine Regierung war eigentlich lahm gelegt, die neue noch
nicht geordnet. In der Stadt gegen 300,000 Nationalgarten, Mobilgarden,
Linientruppen, zum Theil voll Haß und Mißtrauen gegen einander erfüllt.
Die besseren Elemente voll Schmerz und Erbitterung über den Sieg der
Feinde, die schlechten Elemente mit stiller Frende den Moment erwartend, der
ihnen die ersehnte Herrschaft und die Befriedigung ihrer niedern Leidenschaften
bringen sollte. Alle Nationalgarten bewaffnet, mit Geld verhältnißmäßig gut
versehen, durch die Spekulation und die Regierungsmaßregeln überreich mit
Nahrungsmitteln bedacht. Man lebte in jenen Tagen viel biNiger in Paris,
als in der Provinz. — Von den Linientruppen hatte nach den Bestimmungen
der Kapitulation nur ein kleines Korps die Waffen behalten dürfen. Von
dem Centralcomite erfolgte die Weisung, die Vorstadt-Bataillone sollten mit
diesen Truppen fraternisiren, und sie ans ihre Seite hinüberziehen. Diese
Weisung wurde pünktlich befolgt, so gut, daß diese Truppen in der That eid¬
brüchig wurden und zu den Kommunisten später übergingen. Am 24. Februar
trat das Comite centrale der Kommune aus seinem Dunkel hervor. Nachdem
in vorbereitenden Versammlungen die Stimmung der betreffenden Bataillone
sondirt war, erklärten an diesem Tage 144 Bataillone ihre Unterwerfung uuter
die Beschlüsse des Centralcomite. Damit war dies zum Herrn der Stadt ge¬
macht. Jede andere Regierung war Null.

Es ist interessant und belehrend zu sehen, welche Frechheit die Führer
entwickelten, und wie richtig sie die hochgradige Dummheit der Massen beur¬
theilte», um sie sich in die Hand zu spielen. Mit ihren wahren Absichten her¬
vorzutreten, hüteten sie sich wohl. Es wurde daher ein Antrag gestellt: „Bei
dem ersten Signal, daß die Preußen in die Stadt eindringen, versammeln sich
alle Kompagnien der Nationalgarde auf ihren Plätzen, um zu einer gemein¬
samen Aktion gegen den Feind geführt zu werden." Dieser Antrag wurde
selbstverständlich mit der größten Begeisterung angenommen. Es war das
natürlich nur ein leeres Manöver, um die Massen zu blenden, denn zur selben
Stunde suchten die Führer mit dem größten Eifer in möglichst freundliche Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/95>, abgerufen am 19.10.2024.