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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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durchgesetzt hat. So war es ein schweres Verhängniß für Preußen und seinen
König, daß Napoleon bei dem Friedensschluß in Tilsit unbedingt auf Harden-
bergs Entfernung ans den Geschäften und aus der Umgebung des Königs be¬
stand. Hardenberg mußte sich zurückziehen und konnte nur aus der Entfernung,
gleichsam verstohlen ans seinem Verstecke heraus, mit seinen Wünschen und
Rathschlägen die Wiedergeburt des Vaterlandes begleiten. Während nun in
solcher vou hohen Gedanken erfüllter Muße der gewesene Minister seine Tage
verlebte, anfangs in Riga, dann in Tilsit, legten ihm jene in die Öffentlich¬
keit tretenden publizistischen Betrachtungen die Idee nahe, zur Richtigstellung
falscher oder halbwahrer Angaben und schiefer Auffassungen selbst eine Dar¬
legung der Politik Preußens in dieser Zeit und des Urtheiles, deu er selbst
an ihr gehabt, zu schreiben. Er fühlte dazu sich im Stande, einmal weil er
selbst Mithaudeluder gewesen und ans feiner persönlichen Erinnerung vieles
zu wissen in der Lage war, sodann aber auch, weil er die Hauptmasse der
diplomatischen Papiere jener Jahre mit sich nach Riga geflüchtet hatte und
anch in Tilsit sie immer noch zu seiner Verfügung besaß. Zunächst gedachte
er nicht seine Ausarbeitung sofort jener publizistischen Literatur öffentlich ent-
gegenzuwerfen; er hatte vielmehr die Absicht, ans die amtlichen Dokumente ge¬
stützt, ausführlichere Memoiren seines Lebens vorzubereiten und dieselben dann
später durch einen gewandten Literaten überarbeiten zu lassen. Dies letztere
Projekt führte er nicht vollständig aus. War es ihm doch 1810 beschieden,
noch einmal die höchste Leitung der politischen Angelegenheiten Preußens an¬
vertraut zu erhalten, eine Bestimmung, in welcher er bis zu seinem Tode ver¬
bleiben ist. Aber in seinen Papieren bewahrte er jene Aufzeichnung, die er
1808 in Tilsit begonnen und bis zum 5. November desselben Jahres vollendet
hatte; sie ist es, die endlich, fast 70 Jahre nach ihrer Entstehung, unserer Kenntniß
zugänglich gemacht worden ist. ,

Eine kurze Notiz über die neue Publikation im allgemeinen mag hier
am Platze sein.

Nach dem Tode Hardenbergs (November 1822) fand sich in seinem Nach¬
laß eine ansehnliche Sammlung von Papieren zur Geschichte seines Lebens
und seiner Geschäftsführung; sie wurden insgesammt versiegelt und ins Archiv
aufgenommen; es hieß, erst fünfzig Jahre nachher sollten die Siegel wieder
gelöst werden. Dieser Vorgang war allgemein bekannt geworden, und so Sachen
nicht allein die Historiker, sondern alle an unserer Vergangenheit interessirten
Geister mit Spannung den von Hardenbergs Memoiren erwarteten Enthüllun¬
gen entgegen. Ja es ist vorgekommen, daß die literarische Spekulation sich
dieses Umstandes bemächtigt: 1828 erschienen die geheimnißvoll auftretenden
Nemoirvs tirös as xamsrs ä'on Komme c1'ses.t, bei denen die Vermuthung


durchgesetzt hat. So war es ein schweres Verhängniß für Preußen und seinen
König, daß Napoleon bei dem Friedensschluß in Tilsit unbedingt auf Harden-
bergs Entfernung ans den Geschäften und aus der Umgebung des Königs be¬
stand. Hardenberg mußte sich zurückziehen und konnte nur aus der Entfernung,
gleichsam verstohlen ans seinem Verstecke heraus, mit seinen Wünschen und
Rathschlägen die Wiedergeburt des Vaterlandes begleiten. Während nun in
solcher vou hohen Gedanken erfüllter Muße der gewesene Minister seine Tage
verlebte, anfangs in Riga, dann in Tilsit, legten ihm jene in die Öffentlich¬
keit tretenden publizistischen Betrachtungen die Idee nahe, zur Richtigstellung
falscher oder halbwahrer Angaben und schiefer Auffassungen selbst eine Dar¬
legung der Politik Preußens in dieser Zeit und des Urtheiles, deu er selbst
an ihr gehabt, zu schreiben. Er fühlte dazu sich im Stande, einmal weil er
selbst Mithaudeluder gewesen und ans feiner persönlichen Erinnerung vieles
zu wissen in der Lage war, sodann aber auch, weil er die Hauptmasse der
diplomatischen Papiere jener Jahre mit sich nach Riga geflüchtet hatte und
anch in Tilsit sie immer noch zu seiner Verfügung besaß. Zunächst gedachte
er nicht seine Ausarbeitung sofort jener publizistischen Literatur öffentlich ent-
gegenzuwerfen; er hatte vielmehr die Absicht, ans die amtlichen Dokumente ge¬
stützt, ausführlichere Memoiren seines Lebens vorzubereiten und dieselben dann
später durch einen gewandten Literaten überarbeiten zu lassen. Dies letztere
Projekt führte er nicht vollständig aus. War es ihm doch 1810 beschieden,
noch einmal die höchste Leitung der politischen Angelegenheiten Preußens an¬
vertraut zu erhalten, eine Bestimmung, in welcher er bis zu seinem Tode ver¬
bleiben ist. Aber in seinen Papieren bewahrte er jene Aufzeichnung, die er
1808 in Tilsit begonnen und bis zum 5. November desselben Jahres vollendet
hatte; sie ist es, die endlich, fast 70 Jahre nach ihrer Entstehung, unserer Kenntniß
zugänglich gemacht worden ist. ,

Eine kurze Notiz über die neue Publikation im allgemeinen mag hier
am Platze sein.

Nach dem Tode Hardenbergs (November 1822) fand sich in seinem Nach¬
laß eine ansehnliche Sammlung von Papieren zur Geschichte seines Lebens
und seiner Geschäftsführung; sie wurden insgesammt versiegelt und ins Archiv
aufgenommen; es hieß, erst fünfzig Jahre nachher sollten die Siegel wieder
gelöst werden. Dieser Vorgang war allgemein bekannt geworden, und so Sachen
nicht allein die Historiker, sondern alle an unserer Vergangenheit interessirten
Geister mit Spannung den von Hardenbergs Memoiren erwarteten Enthüllun¬
gen entgegen. Ja es ist vorgekommen, daß die literarische Spekulation sich
dieses Umstandes bemächtigt: 1828 erschienen die geheimnißvoll auftretenden
Nemoirvs tirös as xamsrs ä'on Komme c1'ses.t, bei denen die Vermuthung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/9>, abgerufen am 03.07.2024.