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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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erregt init verbreitet wurde, daß Hardenberg der "Staatsmann" sei, aus dessen
Nachlaß jene Veröffentlichung geflossen. Das war eine Täuschung; den wahren
Charakter jenes Unternehmens hat bald nachher 1833 Ranke in trefflicher
Untersuchung herausgebracht und festgestellt. Bis in unsere Tage blieben die
wirklichen Papiere Hardenbergs hinter den Mauern des preußischen Staats¬
archives verborgen. Erst als die fünfzig Jahre abgelaufen, löste Fürst Bis-
marck mit eigener Hand die Siegel von jenem Schatze. Es stellte sich nun
heraus, daß ein größeres Memoirenwerk, auf das man gehofft, eine Erzählung,
welche Hardenbergs ganze amtliche Laufbahn umschlösse, gar nicht vorhanden
war. Es fand sich jene Rechtfertigungsschrift, welche Hardenberg im Sommer
1808 zusammengestellt und ausgearbeitet hatte, "eine Darstellung seines Ver¬
haltens und der Politik des preußischen Staates in der unglücklichen Epoche
von 1806 und 1807 und den zunächst vorangegangenen drei Jahren." Außer¬
dem aber hatte Hardenberg ein weitschichtiges, zahlreiches Aktenmaterial über
sein Leben und seine amtliche Wirksamkeit gesammelt, das er selbst dazu be¬
stimmt hatte, unter seiner Leitung einem Manne seines literarischen Anhanges,
seinem Freunde Friedrich scholl als Unterlage eines großen französisch
geschriebenen Memoirenwerkes zu dienen. Eine Reihe von einzelnen Ausarbei-
tungen Schöll's zur Geschichte der Jahre 1794--1812 war schon vorhanden,
als Hardenberg starb: sie wurden mit den Hardenberg'schen Papieren zusammen
versiegelt; mit den theils wörtlich theils unter kleinen formellen Aenderungen
aufgenommenen und angehängten Aktenstücken bilden sie die Hauptmasse des
im Archiv aufbewahrten Nachlasses.

Sollte man unverändert und treu diese dem Staatsarchiv glücklich ent¬
nommene Hardenberg'sche Scunmluug zum Abdruck bringen? Man übergab
das Ganze dem Historiographen des preußischen Staates, dein Altmeister unserer
Geschichtforschung, dem Fürsten der neueren deutschen Geschichtschreibung
Leopold von Ranke. Er sah die Papiere durch und erstattete über sie Bericht.
Das schien ihm sofort außer Frage, daß man jene Hardenberg'sche Denkschrift
von 1808 ohne wesentliche Kürzungen zu publiziren verpflichtet sei; er selbst
übernahm die Aufgabe sie herauszugeben; der zweite und dritte Band des
Buches, dessen Titel an der Spitze dieses Aufsatzes steht, wird vou dieser eigenen
Aufzeichnung Hardenbergs ausgefüllt.

Nicht so einfach stand die Sache bei den übrigen Theilen des Nachlasses.
Wie schon gesagt, es sind 1) Ausarbeitungen scholl's, die gleichsam im Namen
Hardenbergs auftreten, und 2) Aktenstücke über Hardenbergs Geschäftsleben,
d. h. über die preußische Geschichte seiner Zeit.

Nach reiflicher Erwägung aller Momente entschied Ranke sich, die Schöll'-
sche Arbeit nicht zu publiziren. Zwar war Schöll ein Mann, der dem Auf-


erregt init verbreitet wurde, daß Hardenberg der „Staatsmann" sei, aus dessen
Nachlaß jene Veröffentlichung geflossen. Das war eine Täuschung; den wahren
Charakter jenes Unternehmens hat bald nachher 1833 Ranke in trefflicher
Untersuchung herausgebracht und festgestellt. Bis in unsere Tage blieben die
wirklichen Papiere Hardenbergs hinter den Mauern des preußischen Staats¬
archives verborgen. Erst als die fünfzig Jahre abgelaufen, löste Fürst Bis-
marck mit eigener Hand die Siegel von jenem Schatze. Es stellte sich nun
heraus, daß ein größeres Memoirenwerk, auf das man gehofft, eine Erzählung,
welche Hardenbergs ganze amtliche Laufbahn umschlösse, gar nicht vorhanden
war. Es fand sich jene Rechtfertigungsschrift, welche Hardenberg im Sommer
1808 zusammengestellt und ausgearbeitet hatte, „eine Darstellung seines Ver¬
haltens und der Politik des preußischen Staates in der unglücklichen Epoche
von 1806 und 1807 und den zunächst vorangegangenen drei Jahren." Außer¬
dem aber hatte Hardenberg ein weitschichtiges, zahlreiches Aktenmaterial über
sein Leben und seine amtliche Wirksamkeit gesammelt, das er selbst dazu be¬
stimmt hatte, unter seiner Leitung einem Manne seines literarischen Anhanges,
seinem Freunde Friedrich scholl als Unterlage eines großen französisch
geschriebenen Memoirenwerkes zu dienen. Eine Reihe von einzelnen Ausarbei-
tungen Schöll's zur Geschichte der Jahre 1794—1812 war schon vorhanden,
als Hardenberg starb: sie wurden mit den Hardenberg'schen Papieren zusammen
versiegelt; mit den theils wörtlich theils unter kleinen formellen Aenderungen
aufgenommenen und angehängten Aktenstücken bilden sie die Hauptmasse des
im Archiv aufbewahrten Nachlasses.

Sollte man unverändert und treu diese dem Staatsarchiv glücklich ent¬
nommene Hardenberg'sche Scunmluug zum Abdruck bringen? Man übergab
das Ganze dem Historiographen des preußischen Staates, dein Altmeister unserer
Geschichtforschung, dem Fürsten der neueren deutschen Geschichtschreibung
Leopold von Ranke. Er sah die Papiere durch und erstattete über sie Bericht.
Das schien ihm sofort außer Frage, daß man jene Hardenberg'sche Denkschrift
von 1808 ohne wesentliche Kürzungen zu publiziren verpflichtet sei; er selbst
übernahm die Aufgabe sie herauszugeben; der zweite und dritte Band des
Buches, dessen Titel an der Spitze dieses Aufsatzes steht, wird vou dieser eigenen
Aufzeichnung Hardenbergs ausgefüllt.

Nicht so einfach stand die Sache bei den übrigen Theilen des Nachlasses.
Wie schon gesagt, es sind 1) Ausarbeitungen scholl's, die gleichsam im Namen
Hardenbergs auftreten, und 2) Aktenstücke über Hardenbergs Geschäftsleben,
d. h. über die preußische Geschichte seiner Zeit.

Nach reiflicher Erwägung aller Momente entschied Ranke sich, die Schöll'-
sche Arbeit nicht zu publiziren. Zwar war Schöll ein Mann, der dem Auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/10>, abgerufen am 03.07.2024.