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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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werdeu mit dem Tode bestraft. 1) Gotteslästerung und Verachtung der
Religion durch Wort und That. Demjenigen, der sich dieses Vergehens
schuldig macht, wird ein Stein an den Hals gebunden, mit welchem er in
einen See gestürzt wird. 2) Verrath des eigenes Heeres oder Fahnen¬
flucht angesichts des Feindes. Hierfür gilt der Tod durch Erschießen, oder
Köpfen mit dem Schwerte. 3) Verführung der Frau eines Andern, oder einer
Jungfran des eigenen Stammes, wenn der Verführer sich weigert sie zu ehe¬
lichen. Der Verführer wird öffentlich an einen Pfahl gebunden und von allen
Kosaken mit Ruthen zu Tode gepeitscht. -- Wenn die Frau freiwillig sich zur
Mitschuldigen des Vergehens gemacht hat, trifft sie dieselbe Strafe. Bei den
Nekrassowern in Binewl findet Ehescheidung nicht statt, während sie bei andern
Starowjercen sehr häufig vorkommt. Die Strafen werden vom Atcnnan und
der Aeltestenversammlnng verfügt; nur der von einem Kosaken verübte Mord
wird der Blutrache anheimgegeben. Die Nekrasfvwer haben es nicht gern, daß
sich fremde Behörden in ihre innern Angelegenheiten mischen und deshalb ver¬
meiden sie ängstlich jede Streitigkeit mit Fremden, und schlichten sie, wenn sie
trotz dieser Vorsicht vorkommen, unter sich, wenn es halbwegs möglich ist.

Im Jahre 1843 kränkte ein türkischer Bei, der Nachbar von Binewl, die
Ehre der Frau eines Kosaken, welche er auf freiem Felde überfallen hatte.
Die Frau kam in's Dorf gelaufen und forderte laut Gerechtigkeit und Rache.
Der damalige 'Ataman Tychon Osipowitsch Bntukow setzte M) mit vierzig
Kosaken zu Pferde, begab sich mit ihnen zum türkischen Bei und ließ ihn in
seiner eigenen Behausung erschießen. Die Frau des erschossenen Bei begab
sich zum Mudir von Barberina; die Sache wurde in Brussa anhängig gemacht,
und die Untersuchung eingeleitet. Der Ataman und seine vierzig Kosaken war¬
teten nicht erst die Vorladung des Beamten ab; sie begaben sich direkt zum
Pascha von Brussa und erklärten: "Jener Bei hat nicht wie ein Mensch, son¬
dern wie ein Thier gehandelt, und wir haben ihn wie ein schädliches Thier
erschossen; du kannst die Kugeln aller derer, die hier vor dir stehen, in seinem
Leibe finden. Wir überliefern uns dir selbst. Mag der Sultan mit uns
machen was ihm beliebt!" Der Pascha begann mit ihnen zu verhandeln; er
wollte, daß die Kosaken mindestens der Hinterbliebenen Wittwe als Sühne für
die Ermordung des Mannes eine Abfindungssumme gaben. Hierauf erwiderte
der Ataman: "Ein Almosen wollen wir ihr wohl geben, wenn sie arm ist und
darum bittet, aber eine Bezahlung werden wir nicht gewähren, denn wir würden
uns hierdurch zur Schuld bekennen. Wir aber haben kein Verbrechen be¬
gangen, sondern Gerechtigkeit geübt. Der Pascha wagte es nicht, die Kosaken
zu verhaften; er erstattete Bericht über die Angelegenheit nach Konstantinopel,
von wo der Befehl kam, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Es wurde den


werdeu mit dem Tode bestraft. 1) Gotteslästerung und Verachtung der
Religion durch Wort und That. Demjenigen, der sich dieses Vergehens
schuldig macht, wird ein Stein an den Hals gebunden, mit welchem er in
einen See gestürzt wird. 2) Verrath des eigenes Heeres oder Fahnen¬
flucht angesichts des Feindes. Hierfür gilt der Tod durch Erschießen, oder
Köpfen mit dem Schwerte. 3) Verführung der Frau eines Andern, oder einer
Jungfran des eigenen Stammes, wenn der Verführer sich weigert sie zu ehe¬
lichen. Der Verführer wird öffentlich an einen Pfahl gebunden und von allen
Kosaken mit Ruthen zu Tode gepeitscht. — Wenn die Frau freiwillig sich zur
Mitschuldigen des Vergehens gemacht hat, trifft sie dieselbe Strafe. Bei den
Nekrassowern in Binewl findet Ehescheidung nicht statt, während sie bei andern
Starowjercen sehr häufig vorkommt. Die Strafen werden vom Atcnnan und
der Aeltestenversammlnng verfügt; nur der von einem Kosaken verübte Mord
wird der Blutrache anheimgegeben. Die Nekrasfvwer haben es nicht gern, daß
sich fremde Behörden in ihre innern Angelegenheiten mischen und deshalb ver¬
meiden sie ängstlich jede Streitigkeit mit Fremden, und schlichten sie, wenn sie
trotz dieser Vorsicht vorkommen, unter sich, wenn es halbwegs möglich ist.

Im Jahre 1843 kränkte ein türkischer Bei, der Nachbar von Binewl, die
Ehre der Frau eines Kosaken, welche er auf freiem Felde überfallen hatte.
Die Frau kam in's Dorf gelaufen und forderte laut Gerechtigkeit und Rache.
Der damalige 'Ataman Tychon Osipowitsch Bntukow setzte M) mit vierzig
Kosaken zu Pferde, begab sich mit ihnen zum türkischen Bei und ließ ihn in
seiner eigenen Behausung erschießen. Die Frau des erschossenen Bei begab
sich zum Mudir von Barberina; die Sache wurde in Brussa anhängig gemacht,
und die Untersuchung eingeleitet. Der Ataman und seine vierzig Kosaken war¬
teten nicht erst die Vorladung des Beamten ab; sie begaben sich direkt zum
Pascha von Brussa und erklärten: „Jener Bei hat nicht wie ein Mensch, son¬
dern wie ein Thier gehandelt, und wir haben ihn wie ein schädliches Thier
erschossen; du kannst die Kugeln aller derer, die hier vor dir stehen, in seinem
Leibe finden. Wir überliefern uns dir selbst. Mag der Sultan mit uns
machen was ihm beliebt!" Der Pascha begann mit ihnen zu verhandeln; er
wollte, daß die Kosaken mindestens der Hinterbliebenen Wittwe als Sühne für
die Ermordung des Mannes eine Abfindungssumme gaben. Hierauf erwiderte
der Ataman: „Ein Almosen wollen wir ihr wohl geben, wenn sie arm ist und
darum bittet, aber eine Bezahlung werden wir nicht gewähren, denn wir würden
uns hierdurch zur Schuld bekennen. Wir aber haben kein Verbrechen be¬
gangen, sondern Gerechtigkeit geübt. Der Pascha wagte es nicht, die Kosaken
zu verhaften; er erstattete Bericht über die Angelegenheit nach Konstantinopel,
von wo der Befehl kam, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Es wurde den


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[0074] werdeu mit dem Tode bestraft. 1) Gotteslästerung und Verachtung der Religion durch Wort und That. Demjenigen, der sich dieses Vergehens schuldig macht, wird ein Stein an den Hals gebunden, mit welchem er in einen See gestürzt wird. 2) Verrath des eigenes Heeres oder Fahnen¬ flucht angesichts des Feindes. Hierfür gilt der Tod durch Erschießen, oder Köpfen mit dem Schwerte. 3) Verführung der Frau eines Andern, oder einer Jungfran des eigenen Stammes, wenn der Verführer sich weigert sie zu ehe¬ lichen. Der Verführer wird öffentlich an einen Pfahl gebunden und von allen Kosaken mit Ruthen zu Tode gepeitscht. — Wenn die Frau freiwillig sich zur Mitschuldigen des Vergehens gemacht hat, trifft sie dieselbe Strafe. Bei den Nekrassowern in Binewl findet Ehescheidung nicht statt, während sie bei andern Starowjercen sehr häufig vorkommt. Die Strafen werden vom Atcnnan und der Aeltestenversammlnng verfügt; nur der von einem Kosaken verübte Mord wird der Blutrache anheimgegeben. Die Nekrasfvwer haben es nicht gern, daß sich fremde Behörden in ihre innern Angelegenheiten mischen und deshalb ver¬ meiden sie ängstlich jede Streitigkeit mit Fremden, und schlichten sie, wenn sie trotz dieser Vorsicht vorkommen, unter sich, wenn es halbwegs möglich ist. Im Jahre 1843 kränkte ein türkischer Bei, der Nachbar von Binewl, die Ehre der Frau eines Kosaken, welche er auf freiem Felde überfallen hatte. Die Frau kam in's Dorf gelaufen und forderte laut Gerechtigkeit und Rache. Der damalige 'Ataman Tychon Osipowitsch Bntukow setzte M) mit vierzig Kosaken zu Pferde, begab sich mit ihnen zum türkischen Bei und ließ ihn in seiner eigenen Behausung erschießen. Die Frau des erschossenen Bei begab sich zum Mudir von Barberina; die Sache wurde in Brussa anhängig gemacht, und die Untersuchung eingeleitet. Der Ataman und seine vierzig Kosaken war¬ teten nicht erst die Vorladung des Beamten ab; sie begaben sich direkt zum Pascha von Brussa und erklärten: „Jener Bei hat nicht wie ein Mensch, son¬ dern wie ein Thier gehandelt, und wir haben ihn wie ein schädliches Thier erschossen; du kannst die Kugeln aller derer, die hier vor dir stehen, in seinem Leibe finden. Wir überliefern uns dir selbst. Mag der Sultan mit uns machen was ihm beliebt!" Der Pascha begann mit ihnen zu verhandeln; er wollte, daß die Kosaken mindestens der Hinterbliebenen Wittwe als Sühne für die Ermordung des Mannes eine Abfindungssumme gaben. Hierauf erwiderte der Ataman: „Ein Almosen wollen wir ihr wohl geben, wenn sie arm ist und darum bittet, aber eine Bezahlung werden wir nicht gewähren, denn wir würden uns hierdurch zur Schuld bekennen. Wir aber haben kein Verbrechen be¬ gangen, sondern Gerechtigkeit geübt. Der Pascha wagte es nicht, die Kosaken zu verhaften; er erstattete Bericht über die Angelegenheit nach Konstantinopel, von wo der Befehl kam, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Es wurde den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/74>, abgerufen am 27.09.2024.