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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Jugend ist bei den Nekrassowern den "Juvchen" (Nonnen) anvertraut, und es
gibt keinen einzigen unter ihnen, der nicht lesen, schreiben und rechnen und die
Glaubenssätze der Gemeinde und ihre Geschichte nicht auswendig könnte.

Die Nekrassower haben vor den Russen und Griechen ungemeine Ab¬
scheu; dafür spricht unter anderem anch Folgendes. Ist eine größere Anzahl
von Täuflingen und Brautpaaren vorhanden, so wird aus einem entlegenen
Dorfe der erste beste griechische Pope herbeigeschafft. Er erhält eine gute Be¬
zahlung für seine Mühewaltung, muß sich jedoch verpflichten während seiner
Anwesenheit in der Ansiedlung mit keinem Menschen zu sprechen; zu diesem
Behufe wird er denn auch von zwei Kosaken mit blanken Säbeln bewacht,
welche ihn überall begleiten. So wird der Geistliche ins Dorf und aus dem¬
selben gebracht. Wenn es sich nicht umgehen läßt, ihm zu essen und zu trinken
zu geben, so werden die hierzu benutzten Geschirre nach dem Gebrauche un¬
barmherzig zertrümmert. Ebenso verfahren die Nekrassower mit Gefäßen, aus
denen Griechen und Armenier gegessen oder getrunken haben.

Die Nekrassower sind fanatisch in der Beobachtung ihrer Glaubenssatzun-
gen und halten mit Zähigkeit an der geringsten Zeremonie fest, welche in
diesen Satzungen vorgeschrieben wird. Trotzdem lieben sie die Geistlichkeit
nicht und wollen keinen Popen unter sich haben, wie dies doch bei den Staro-
wjerzen in der Dobrndscha der Fall ist. Sie kümmern sich nicht um die
theologische Bedeutung ihrer Dogmen und Satzungen und begnügen sich mit
der strengsten Beobachtung der äußern Formen. Sie schlagen drei Mal ein
Kreuz, ehe sie einen Bissen Brod, einen Schluck Wasser oder sonst etwas in
den Mund nehmen; auch bekreuzen sie sich, wenn sie in eine Stube kommen,
in welcher sich Heiligenbilder befinden. Sie trinken keinen Thee, weil die
Kaiserin Katharina solchen gern getrunken hat, und die Russen überhaupt ihn
in großen Mengen trinken. Sie trinken aber auch keinen Kaffee und rauchen
keinen Tabak, weil Muselmünuer, Katholiken und Juden dort viel Kaffee
trinken und Tabak rauchen. Sie beginnen keine Arbeit, keine Berathung ohne
vorher dreimal das Kreuz geschlagen zu haben. In der Kirche thun sie weiter
nichts als daß sie Kreuze schlagen, Verbeugungen machen und Psalmen singen;
Messe und Predigt gibt es bei ihnen nicht. Dieses strenge Festhalten an ihren
Religiösen Gebräuchen, wozu, auch die strenge Observanz der Fasten gehört
halten die Nekrassower für die Grundbedingung zur Erhaltung ihres Stammes in
der Reinheit, in welcher ihn Jhnat Nekrassow hinterlassen hat, und die strenge
Ausübung der religiösen Zeremonien ist für sie kein kirchliches Gebot, sondern
ein Gebot des Patriotismus. Die Religion ist zum Patriotismus, der Patrio¬
tismus zur Religion geworden

Alle Streitigkeiten der Nekrassower Kosaken werden von den Aeltesten
unter dem Vorsitze des Ataman abgeurtheilt. Folgende drei Verbrechen


Jugend ist bei den Nekrassowern den „Juvchen" (Nonnen) anvertraut, und es
gibt keinen einzigen unter ihnen, der nicht lesen, schreiben und rechnen und die
Glaubenssätze der Gemeinde und ihre Geschichte nicht auswendig könnte.

Die Nekrassower haben vor den Russen und Griechen ungemeine Ab¬
scheu; dafür spricht unter anderem anch Folgendes. Ist eine größere Anzahl
von Täuflingen und Brautpaaren vorhanden, so wird aus einem entlegenen
Dorfe der erste beste griechische Pope herbeigeschafft. Er erhält eine gute Be¬
zahlung für seine Mühewaltung, muß sich jedoch verpflichten während seiner
Anwesenheit in der Ansiedlung mit keinem Menschen zu sprechen; zu diesem
Behufe wird er denn auch von zwei Kosaken mit blanken Säbeln bewacht,
welche ihn überall begleiten. So wird der Geistliche ins Dorf und aus dem¬
selben gebracht. Wenn es sich nicht umgehen läßt, ihm zu essen und zu trinken
zu geben, so werden die hierzu benutzten Geschirre nach dem Gebrauche un¬
barmherzig zertrümmert. Ebenso verfahren die Nekrassower mit Gefäßen, aus
denen Griechen und Armenier gegessen oder getrunken haben.

Die Nekrassower sind fanatisch in der Beobachtung ihrer Glaubenssatzun-
gen und halten mit Zähigkeit an der geringsten Zeremonie fest, welche in
diesen Satzungen vorgeschrieben wird. Trotzdem lieben sie die Geistlichkeit
nicht und wollen keinen Popen unter sich haben, wie dies doch bei den Staro-
wjerzen in der Dobrndscha der Fall ist. Sie kümmern sich nicht um die
theologische Bedeutung ihrer Dogmen und Satzungen und begnügen sich mit
der strengsten Beobachtung der äußern Formen. Sie schlagen drei Mal ein
Kreuz, ehe sie einen Bissen Brod, einen Schluck Wasser oder sonst etwas in
den Mund nehmen; auch bekreuzen sie sich, wenn sie in eine Stube kommen,
in welcher sich Heiligenbilder befinden. Sie trinken keinen Thee, weil die
Kaiserin Katharina solchen gern getrunken hat, und die Russen überhaupt ihn
in großen Mengen trinken. Sie trinken aber auch keinen Kaffee und rauchen
keinen Tabak, weil Muselmünuer, Katholiken und Juden dort viel Kaffee
trinken und Tabak rauchen. Sie beginnen keine Arbeit, keine Berathung ohne
vorher dreimal das Kreuz geschlagen zu haben. In der Kirche thun sie weiter
nichts als daß sie Kreuze schlagen, Verbeugungen machen und Psalmen singen;
Messe und Predigt gibt es bei ihnen nicht. Dieses strenge Festhalten an ihren
Religiösen Gebräuchen, wozu, auch die strenge Observanz der Fasten gehört
halten die Nekrassower für die Grundbedingung zur Erhaltung ihres Stammes in
der Reinheit, in welcher ihn Jhnat Nekrassow hinterlassen hat, und die strenge
Ausübung der religiösen Zeremonien ist für sie kein kirchliches Gebot, sondern
ein Gebot des Patriotismus. Die Religion ist zum Patriotismus, der Patrio¬
tismus zur Religion geworden

Alle Streitigkeiten der Nekrassower Kosaken werden von den Aeltesten
unter dem Vorsitze des Ataman abgeurtheilt. Folgende drei Verbrechen


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[0073] Jugend ist bei den Nekrassowern den „Juvchen" (Nonnen) anvertraut, und es gibt keinen einzigen unter ihnen, der nicht lesen, schreiben und rechnen und die Glaubenssätze der Gemeinde und ihre Geschichte nicht auswendig könnte. Die Nekrassower haben vor den Russen und Griechen ungemeine Ab¬ scheu; dafür spricht unter anderem anch Folgendes. Ist eine größere Anzahl von Täuflingen und Brautpaaren vorhanden, so wird aus einem entlegenen Dorfe der erste beste griechische Pope herbeigeschafft. Er erhält eine gute Be¬ zahlung für seine Mühewaltung, muß sich jedoch verpflichten während seiner Anwesenheit in der Ansiedlung mit keinem Menschen zu sprechen; zu diesem Behufe wird er denn auch von zwei Kosaken mit blanken Säbeln bewacht, welche ihn überall begleiten. So wird der Geistliche ins Dorf und aus dem¬ selben gebracht. Wenn es sich nicht umgehen läßt, ihm zu essen und zu trinken zu geben, so werden die hierzu benutzten Geschirre nach dem Gebrauche un¬ barmherzig zertrümmert. Ebenso verfahren die Nekrassower mit Gefäßen, aus denen Griechen und Armenier gegessen oder getrunken haben. Die Nekrassower sind fanatisch in der Beobachtung ihrer Glaubenssatzun- gen und halten mit Zähigkeit an der geringsten Zeremonie fest, welche in diesen Satzungen vorgeschrieben wird. Trotzdem lieben sie die Geistlichkeit nicht und wollen keinen Popen unter sich haben, wie dies doch bei den Staro- wjerzen in der Dobrndscha der Fall ist. Sie kümmern sich nicht um die theologische Bedeutung ihrer Dogmen und Satzungen und begnügen sich mit der strengsten Beobachtung der äußern Formen. Sie schlagen drei Mal ein Kreuz, ehe sie einen Bissen Brod, einen Schluck Wasser oder sonst etwas in den Mund nehmen; auch bekreuzen sie sich, wenn sie in eine Stube kommen, in welcher sich Heiligenbilder befinden. Sie trinken keinen Thee, weil die Kaiserin Katharina solchen gern getrunken hat, und die Russen überhaupt ihn in großen Mengen trinken. Sie trinken aber auch keinen Kaffee und rauchen keinen Tabak, weil Muselmünuer, Katholiken und Juden dort viel Kaffee trinken und Tabak rauchen. Sie beginnen keine Arbeit, keine Berathung ohne vorher dreimal das Kreuz geschlagen zu haben. In der Kirche thun sie weiter nichts als daß sie Kreuze schlagen, Verbeugungen machen und Psalmen singen; Messe und Predigt gibt es bei ihnen nicht. Dieses strenge Festhalten an ihren Religiösen Gebräuchen, wozu, auch die strenge Observanz der Fasten gehört halten die Nekrassower für die Grundbedingung zur Erhaltung ihres Stammes in der Reinheit, in welcher ihn Jhnat Nekrassow hinterlassen hat, und die strenge Ausübung der religiösen Zeremonien ist für sie kein kirchliches Gebot, sondern ein Gebot des Patriotismus. Die Religion ist zum Patriotismus, der Patrio¬ tismus zur Religion geworden Alle Streitigkeiten der Nekrassower Kosaken werden von den Aeltesten unter dem Vorsitze des Ataman abgeurtheilt. Folgende drei Verbrechen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/73>, abgerufen am 19.10.2024.