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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Eitelkeit haben hier im Bunde mit persönlicher Gehässigkeit und Bosheit ein
widriges Quodlibet von Verläumdungen und richtigen Mittheilungen erzeugt: im
Einzelnen würde es sich immerhin lohnen, gerade diese Elaborate zum Objekte
kritischer Studien zu wählen.

Es ist sehr wohl zu verstehen, daß durch die öffentlich angeregte Discussion
der Schuldfrage diejenigen Staatsmänner selbst, welche die Verantwortlichkeit
für die preußische Politik zu tragen hatten, zu rechtfertigenden Aeußerungen
sich veranlaßt sahen. Man bezeichnete damals, abgesehen von den Generalen,
denen der König bekanntlich eine Rechtfertigung ihres Verhaltens auferlegt hat,
als diejenigen die das Unglück verschuldet, drei Personen in erster Linie:
Haugmitz, Luchesini, Lombard. Andere Stimmen schloßen in den Tadel
Hardenberg ein; wiederum andere erhoben Vorwürfe gegen Beyme, Köckeritz
und ähnliche Personen zweiten Ranges. Von diesen, -- ob mit Recht oder
Unrecht, soll an dieser Stelle nicht gesagt werden -- öffentlich Angegriffenen, trat
zuerst Lombard mit eiuer öffentlichen Gegenrede hervor. (Materialien
Zur Geschichte der Jahre 1805--1807. Deutsch und französisch). Er führte
aus, daß das System friedfertiger Neutralität, das Friedrich Wilhelm III.
persönlich aufgestellt hatte, ein politisch richtiger Gedanke gewesen, daß Preußens
Gefahr erst begonnen, als der "Titanenkrieg" zwischen Frankreich und Ru߬
land ausbrach, daß der Entschluß, gegen Frankreich aufzutreten, im Herbst
1805 der entscheidende Fehler gewesen, der alles folgende Unglück, alle De¬
müthigung und Schmach nach sich gezogen; "mit dein Potsdamer Traktat
wurde zugleich unser Todesurtheil unterschrieben", sagt Lombard; mit großer
Heftigkeit entwickelt er den Satz, daß Haugwitz im Dezember 1805 zum
letzten Male einen Rettungsversuch gewagt indem er den Schönbrunner Vertrag
mit Napoleon geschlossen, -- eine That, welcher die "Ultrapatrivten" mit
schwärzesten Undank gelohnt; da hätte man aber in Berlin den weiteren Fehler
gemacht, "das zweite Todesurtheil", daß man nnr mit Modifikationen den
Vertrag von Schönbrunn angenommen, eine "Halbmaßregel" die nun in
Napoleon den Beschluß Preußen zu vernichten entzündete. Zuletzt legte Lombard
dar, wie darauf mit unerbittlicher Nothwendigkeit sich die unglücklichen Schicksale
der Monarchie vollzogen.

Man kaun nicht in Abrede stellen, daß diese Apologie der Politik Haugwitz-
Lombard auf ihre Leser Eindruck machen mußte; sie verrieth ja überall
ebenso wohl Vertrautheit mit den maßgebenden Personen, als Bekanntschaft
der entscheidenden Verhandlungen und Berathungen. Unverkennbar trug sie
zu gleicher Zeit die Absicht der Beschönigung für Haugwitz und der Gegner¬
schaft gegen Hardenberg vor sich her. Sicher war sie nicht geeignet, eine
der Wahrheit nahekommende Vorstellung von dem wirklichen Verlauf der Dinge


Eitelkeit haben hier im Bunde mit persönlicher Gehässigkeit und Bosheit ein
widriges Quodlibet von Verläumdungen und richtigen Mittheilungen erzeugt: im
Einzelnen würde es sich immerhin lohnen, gerade diese Elaborate zum Objekte
kritischer Studien zu wählen.

Es ist sehr wohl zu verstehen, daß durch die öffentlich angeregte Discussion
der Schuldfrage diejenigen Staatsmänner selbst, welche die Verantwortlichkeit
für die preußische Politik zu tragen hatten, zu rechtfertigenden Aeußerungen
sich veranlaßt sahen. Man bezeichnete damals, abgesehen von den Generalen,
denen der König bekanntlich eine Rechtfertigung ihres Verhaltens auferlegt hat,
als diejenigen die das Unglück verschuldet, drei Personen in erster Linie:
Haugmitz, Luchesini, Lombard. Andere Stimmen schloßen in den Tadel
Hardenberg ein; wiederum andere erhoben Vorwürfe gegen Beyme, Köckeritz
und ähnliche Personen zweiten Ranges. Von diesen, — ob mit Recht oder
Unrecht, soll an dieser Stelle nicht gesagt werden — öffentlich Angegriffenen, trat
zuerst Lombard mit eiuer öffentlichen Gegenrede hervor. (Materialien
Zur Geschichte der Jahre 1805—1807. Deutsch und französisch). Er führte
aus, daß das System friedfertiger Neutralität, das Friedrich Wilhelm III.
persönlich aufgestellt hatte, ein politisch richtiger Gedanke gewesen, daß Preußens
Gefahr erst begonnen, als der „Titanenkrieg" zwischen Frankreich und Ru߬
land ausbrach, daß der Entschluß, gegen Frankreich aufzutreten, im Herbst
1805 der entscheidende Fehler gewesen, der alles folgende Unglück, alle De¬
müthigung und Schmach nach sich gezogen; „mit dein Potsdamer Traktat
wurde zugleich unser Todesurtheil unterschrieben", sagt Lombard; mit großer
Heftigkeit entwickelt er den Satz, daß Haugwitz im Dezember 1805 zum
letzten Male einen Rettungsversuch gewagt indem er den Schönbrunner Vertrag
mit Napoleon geschlossen, — eine That, welcher die „Ultrapatrivten" mit
schwärzesten Undank gelohnt; da hätte man aber in Berlin den weiteren Fehler
gemacht, „das zweite Todesurtheil", daß man nnr mit Modifikationen den
Vertrag von Schönbrunn angenommen, eine „Halbmaßregel" die nun in
Napoleon den Beschluß Preußen zu vernichten entzündete. Zuletzt legte Lombard
dar, wie darauf mit unerbittlicher Nothwendigkeit sich die unglücklichen Schicksale
der Monarchie vollzogen.

Man kaun nicht in Abrede stellen, daß diese Apologie der Politik Haugwitz-
Lombard auf ihre Leser Eindruck machen mußte; sie verrieth ja überall
ebenso wohl Vertrautheit mit den maßgebenden Personen, als Bekanntschaft
der entscheidenden Verhandlungen und Berathungen. Unverkennbar trug sie
zu gleicher Zeit die Absicht der Beschönigung für Haugwitz und der Gegner¬
schaft gegen Hardenberg vor sich her. Sicher war sie nicht geeignet, eine
der Wahrheit nahekommende Vorstellung von dem wirklichen Verlauf der Dinge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/7>, abgerufen am 29.06.2024.