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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Armee im letzten Kriege herbeiführten, jene Erscheinungen ans früherer Zeit nicht
unbeachtet zu lassen. Nicht allein die Tapferkeit einer Armee garantirt den Sieg,
ganz wesentlich sind es auch moralische Potenzen, die dabei mitsprechen. Wo soll
das so nothwendige Vertrauen in die Führung herkommen, was muß schließlich
ans der Disziplin, werden, wenn geflissentlich die Autorität untergrcibeu wird?
Mau darf sich daher nicht wundern, wenn französische Gefangene des letzten
Krieges ihre Generale mit Bezeichnungen titulirten, von denen traitrs noch der
mildeste war, obgleich sicher keiner von ihnen, auch uicht Bazaine, sich je einer
Verrätherei schuldig gemacht hat. Hierbei könnten wir leicht in Versuchung ge¬
rathen, das Kapitel der Sündenböcke noch ausführlich zu behandeln. Wo der
Erfolg Alles entscheidet, bedarf man ihrer ganz nothwendig bei Mißerfolgen.
Auch im Krimkriege fehlten sie nicht. Zum Glück warm es jedoch immer nur Todte,
die man verantwortlich machen konnte; so bei dem mißlungenen Sturme vom
18. Juni die Generale Mayran und Brünet. Höchst belehrend ist ferner das
Kapitel der Mißverständnisse, von denen der Krimkrieg eine reiche Sammlung
bietet. Sie geben Zeugniß dafür, wie schwer es ist, in: Kriege richtig zu befehlen
und vielleicht noch schwieriger, erhaltene Befehle im Geiste des Auftraggebers,
auch bei veränderter Situation, richtig auszuführen. Erinneren wir nur an den
blutigen stkorilo-oliasö der englischen Kavallerie unter Lord Cardigan bei
Balaklava.

Kehren wir jedoch wieder zu den Ereignissen vor Sebastopol zurück. Nach¬
dem sich die Russen bei ihrem Angriff vom l(>. August, -- Schlacht bei Traktir,
-- blutige Köpfe geholt und mit großen Verlusten zurückgeschlagen worden
waren, saß General Pelissier wieder fester im Sattel. Der 8. September aber
machte ihn, so wie den General Mac Mahon, zu gefeierten Helden des fran¬
zösischen Volkes. Der Sturm des Malakof war eine Waffenthat, auf welche die
französische Armee mit Recht stolz sein durfte. Mit dem Fall von Sebastopol
hatten auch die Ueberwundenen eine blutige Heldenlaufbahn beschlossen.

Es spricht mindestens für die Herzensgüte des Kaisers*) und eine solche
soll er in der That besessen haben, wenn er sofort allen Groll vergaß und dem
ihm bisher opponirenden Feldherrn volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, wie aus
dem nachfolgenden Glückwunschschreiben an den zum Marschall ernannten General
Pelissier hervorgeht: "Nach dem unglücklichen Ausgange des Angriffs vom



*)Wenn der Kaiser im Februar 18SS 4000 Brühls"mische, Vordertheile von Kürassen,
für die Armee absenden ließ, die von der Infanterie bei Erstürmung der Festungswerke als
Schutzwehr getragen werden sollten, so spricht das allerdings mehr für sein gutes Herz, als für
militärische Einsicht. Die Bruststücke trafen in der Krim ein, sie sind jedoch niemals gebraucht
und der Malakoff ist ohne sie gestürmt worden. Man hielt es für angemessen über diesen
delikaten Gegenstand ein kluges Stillschweigen zu beobachten.

Armee im letzten Kriege herbeiführten, jene Erscheinungen ans früherer Zeit nicht
unbeachtet zu lassen. Nicht allein die Tapferkeit einer Armee garantirt den Sieg,
ganz wesentlich sind es auch moralische Potenzen, die dabei mitsprechen. Wo soll
das so nothwendige Vertrauen in die Führung herkommen, was muß schließlich
ans der Disziplin, werden, wenn geflissentlich die Autorität untergrcibeu wird?
Mau darf sich daher nicht wundern, wenn französische Gefangene des letzten
Krieges ihre Generale mit Bezeichnungen titulirten, von denen traitrs noch der
mildeste war, obgleich sicher keiner von ihnen, auch uicht Bazaine, sich je einer
Verrätherei schuldig gemacht hat. Hierbei könnten wir leicht in Versuchung ge¬
rathen, das Kapitel der Sündenböcke noch ausführlich zu behandeln. Wo der
Erfolg Alles entscheidet, bedarf man ihrer ganz nothwendig bei Mißerfolgen.
Auch im Krimkriege fehlten sie nicht. Zum Glück warm es jedoch immer nur Todte,
die man verantwortlich machen konnte; so bei dem mißlungenen Sturme vom
18. Juni die Generale Mayran und Brünet. Höchst belehrend ist ferner das
Kapitel der Mißverständnisse, von denen der Krimkrieg eine reiche Sammlung
bietet. Sie geben Zeugniß dafür, wie schwer es ist, in: Kriege richtig zu befehlen
und vielleicht noch schwieriger, erhaltene Befehle im Geiste des Auftraggebers,
auch bei veränderter Situation, richtig auszuführen. Erinneren wir nur an den
blutigen stkorilo-oliasö der englischen Kavallerie unter Lord Cardigan bei
Balaklava.

Kehren wir jedoch wieder zu den Ereignissen vor Sebastopol zurück. Nach¬
dem sich die Russen bei ihrem Angriff vom l(>. August, — Schlacht bei Traktir,
— blutige Köpfe geholt und mit großen Verlusten zurückgeschlagen worden
waren, saß General Pelissier wieder fester im Sattel. Der 8. September aber
machte ihn, so wie den General Mac Mahon, zu gefeierten Helden des fran¬
zösischen Volkes. Der Sturm des Malakof war eine Waffenthat, auf welche die
französische Armee mit Recht stolz sein durfte. Mit dem Fall von Sebastopol
hatten auch die Ueberwundenen eine blutige Heldenlaufbahn beschlossen.

Es spricht mindestens für die Herzensgüte des Kaisers*) und eine solche
soll er in der That besessen haben, wenn er sofort allen Groll vergaß und dem
ihm bisher opponirenden Feldherrn volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, wie aus
dem nachfolgenden Glückwunschschreiben an den zum Marschall ernannten General
Pelissier hervorgeht: „Nach dem unglücklichen Ausgange des Angriffs vom



*)Wenn der Kaiser im Februar 18SS 4000 Brühls«mische, Vordertheile von Kürassen,
für die Armee absenden ließ, die von der Infanterie bei Erstürmung der Festungswerke als
Schutzwehr getragen werden sollten, so spricht das allerdings mehr für sein gutes Herz, als für
militärische Einsicht. Die Bruststücke trafen in der Krim ein, sie sind jedoch niemals gebraucht
und der Malakoff ist ohne sie gestürmt worden. Man hielt es für angemessen über diesen
delikaten Gegenstand ein kluges Stillschweigen zu beobachten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/496>, abgerufen am 23.07.2024.