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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Mai noch möglich, im Juli sicher nicht mehr." Nachdem er mit großer Klarheit
den mißlungenen Sturm vom 18. Juli, so wie alle Chancen der Kriegführung
besprochen, schließt er mit den Worten: "Ich habe mit dem General Pelissier
die Ueberzeugung, daß die Belagerung uicht einen Augenblick unterbrochen werden
darf; stellen wir hier die Offensive ein, dann wird man uns sofort angreifen.
Ich vertraue auf Ihren Muth, Ihre Klugheit und Ihre Geschicklichkeit. Der
Wein ist abgezogen, weder Sie noch ich haben ihn eingeschenkt, aber getrunken
muß er werden. Möglicherweise haben wir eine Belagerung von zwei Jahren
in Aussicht, schicken wir uus in das Unvermeidliche." Später schreibt
Vaillant: "Ich habe einem vollständigen Bruche zwischen dem Kaiser und
Pelissier vorgebeugt und dazu gratulire ich mir. Solcher Bruch würde meiner
Ueberzeugung nach eine Katastrophe herbeigeführt haben, sowohl in militärischer,
wie in politischer Beziehung."

Es war in der That die höchste Gefahr im Verzüge gewesen und von ge¬
wissen Seiten nichts unterlassen worden, um den Kaiser und die öffentliche
Meinung gegen Pelissier einzunehmen. Als einen wahren Krebsschaden darf
man die nicht officielle Berichterstattung an den Kaiser ansehen. Der Adjutant
desselben General de Beville, Kommandant des Genies beim Reserve-Korps, und
der Kommandeur der Kaiserlichen Garde, General Regnaud de Samt Jean
d'Angely, waren beide gefährliche Ohrenbläser. Die sehr ernsten Zurechtweisungen
von Seiten des Marschalls Vaillant hatten keinen Erfolg. General de Beville
schreibt wiederholt an den Kaiser, daß die Fortsetzung des Krieges in der bis¬
herigen Weise zum Ruin der Armee führen müsse. Er beschuldigt sogar das
Hauptquartier, in Bezug auf die Verluste am 18. Juni, falsche Angaben gemacht
und die im Revier behandelten vielen Verwundeten verschwiegen zu haben. Da
riß dein Marschall aber denn doch die Geduld, und im höchsten Grade indignirt
schrieb er an General Beville: "Es ist nicht genng zu kritisiren und zu tadeln;
Sie siud General, nun gut! Was soll geschehen? Sagen Sie es kurz und bündig,
man verlangt es von Ihnen, man bittet Sie darum! Aber sich stets auf's
Tadeln zu beschränken, xar visu, das ist leicht, das kann jeder, vielleicht würde
ich es noch besser verstehen als Sie!" Die rechte Antwort auf solche Kritik, auf
solche Anklagen wäre wohl ein Kriegsgericht und Kassation gewesen.

Es ließe sich noch eine ganze Blumenlese von dergleichen Anklagen, nicht
nur gegen den Höchstkommandirenden, sondern anch gegen andere Generale in
verantwortlichen Stellungen zusammenbringen. Sie cirkulirten in Paris und alle
Welt sprach davon. General Pelissier ließ sich sogar ein mal zu der Aeußerung
hinreißen, es verdienten diese Briefschreiber Stockschläge. Das wirft allerdings
ein schlimmes Licht auf den Geist sogar in den höheren Officierkreisen, und man
Hut gut bei Erwägung der Gründe, welche die Niederlage der französischen


Mai noch möglich, im Juli sicher nicht mehr." Nachdem er mit großer Klarheit
den mißlungenen Sturm vom 18. Juli, so wie alle Chancen der Kriegführung
besprochen, schließt er mit den Worten: „Ich habe mit dem General Pelissier
die Ueberzeugung, daß die Belagerung uicht einen Augenblick unterbrochen werden
darf; stellen wir hier die Offensive ein, dann wird man uns sofort angreifen.
Ich vertraue auf Ihren Muth, Ihre Klugheit und Ihre Geschicklichkeit. Der
Wein ist abgezogen, weder Sie noch ich haben ihn eingeschenkt, aber getrunken
muß er werden. Möglicherweise haben wir eine Belagerung von zwei Jahren
in Aussicht, schicken wir uus in das Unvermeidliche." Später schreibt
Vaillant: „Ich habe einem vollständigen Bruche zwischen dem Kaiser und
Pelissier vorgebeugt und dazu gratulire ich mir. Solcher Bruch würde meiner
Ueberzeugung nach eine Katastrophe herbeigeführt haben, sowohl in militärischer,
wie in politischer Beziehung."

Es war in der That die höchste Gefahr im Verzüge gewesen und von ge¬
wissen Seiten nichts unterlassen worden, um den Kaiser und die öffentliche
Meinung gegen Pelissier einzunehmen. Als einen wahren Krebsschaden darf
man die nicht officielle Berichterstattung an den Kaiser ansehen. Der Adjutant
desselben General de Beville, Kommandant des Genies beim Reserve-Korps, und
der Kommandeur der Kaiserlichen Garde, General Regnaud de Samt Jean
d'Angely, waren beide gefährliche Ohrenbläser. Die sehr ernsten Zurechtweisungen
von Seiten des Marschalls Vaillant hatten keinen Erfolg. General de Beville
schreibt wiederholt an den Kaiser, daß die Fortsetzung des Krieges in der bis¬
herigen Weise zum Ruin der Armee führen müsse. Er beschuldigt sogar das
Hauptquartier, in Bezug auf die Verluste am 18. Juni, falsche Angaben gemacht
und die im Revier behandelten vielen Verwundeten verschwiegen zu haben. Da
riß dein Marschall aber denn doch die Geduld, und im höchsten Grade indignirt
schrieb er an General Beville: „Es ist nicht genng zu kritisiren und zu tadeln;
Sie siud General, nun gut! Was soll geschehen? Sagen Sie es kurz und bündig,
man verlangt es von Ihnen, man bittet Sie darum! Aber sich stets auf's
Tadeln zu beschränken, xar visu, das ist leicht, das kann jeder, vielleicht würde
ich es noch besser verstehen als Sie!" Die rechte Antwort auf solche Kritik, auf
solche Anklagen wäre wohl ein Kriegsgericht und Kassation gewesen.

Es ließe sich noch eine ganze Blumenlese von dergleichen Anklagen, nicht
nur gegen den Höchstkommandirenden, sondern anch gegen andere Generale in
verantwortlichen Stellungen zusammenbringen. Sie cirkulirten in Paris und alle
Welt sprach davon. General Pelissier ließ sich sogar ein mal zu der Aeußerung
hinreißen, es verdienten diese Briefschreiber Stockschläge. Das wirft allerdings
ein schlimmes Licht auf den Geist sogar in den höheren Officierkreisen, und man
Hut gut bei Erwägung der Gründe, welche die Niederlage der französischen


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[0495] Mai noch möglich, im Juli sicher nicht mehr." Nachdem er mit großer Klarheit den mißlungenen Sturm vom 18. Juli, so wie alle Chancen der Kriegführung besprochen, schließt er mit den Worten: „Ich habe mit dem General Pelissier die Ueberzeugung, daß die Belagerung uicht einen Augenblick unterbrochen werden darf; stellen wir hier die Offensive ein, dann wird man uns sofort angreifen. Ich vertraue auf Ihren Muth, Ihre Klugheit und Ihre Geschicklichkeit. Der Wein ist abgezogen, weder Sie noch ich haben ihn eingeschenkt, aber getrunken muß er werden. Möglicherweise haben wir eine Belagerung von zwei Jahren in Aussicht, schicken wir uus in das Unvermeidliche." Später schreibt Vaillant: „Ich habe einem vollständigen Bruche zwischen dem Kaiser und Pelissier vorgebeugt und dazu gratulire ich mir. Solcher Bruch würde meiner Ueberzeugung nach eine Katastrophe herbeigeführt haben, sowohl in militärischer, wie in politischer Beziehung." Es war in der That die höchste Gefahr im Verzüge gewesen und von ge¬ wissen Seiten nichts unterlassen worden, um den Kaiser und die öffentliche Meinung gegen Pelissier einzunehmen. Als einen wahren Krebsschaden darf man die nicht officielle Berichterstattung an den Kaiser ansehen. Der Adjutant desselben General de Beville, Kommandant des Genies beim Reserve-Korps, und der Kommandeur der Kaiserlichen Garde, General Regnaud de Samt Jean d'Angely, waren beide gefährliche Ohrenbläser. Die sehr ernsten Zurechtweisungen von Seiten des Marschalls Vaillant hatten keinen Erfolg. General de Beville schreibt wiederholt an den Kaiser, daß die Fortsetzung des Krieges in der bis¬ herigen Weise zum Ruin der Armee führen müsse. Er beschuldigt sogar das Hauptquartier, in Bezug auf die Verluste am 18. Juni, falsche Angaben gemacht und die im Revier behandelten vielen Verwundeten verschwiegen zu haben. Da riß dein Marschall aber denn doch die Geduld, und im höchsten Grade indignirt schrieb er an General Beville: „Es ist nicht genng zu kritisiren und zu tadeln; Sie siud General, nun gut! Was soll geschehen? Sagen Sie es kurz und bündig, man verlangt es von Ihnen, man bittet Sie darum! Aber sich stets auf's Tadeln zu beschränken, xar visu, das ist leicht, das kann jeder, vielleicht würde ich es noch besser verstehen als Sie!" Die rechte Antwort auf solche Kritik, auf solche Anklagen wäre wohl ein Kriegsgericht und Kassation gewesen. Es ließe sich noch eine ganze Blumenlese von dergleichen Anklagen, nicht nur gegen den Höchstkommandirenden, sondern anch gegen andere Generale in verantwortlichen Stellungen zusammenbringen. Sie cirkulirten in Paris und alle Welt sprach davon. General Pelissier ließ sich sogar ein mal zu der Aeußerung hinreißen, es verdienten diese Briefschreiber Stockschläge. Das wirft allerdings ein schlimmes Licht auf den Geist sogar in den höheren Officierkreisen, und man Hut gut bei Erwägung der Gründe, welche die Niederlage der französischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/495>, abgerufen am 23.07.2024.