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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Kaiser eintraf, MarschaN Vaillant von Niet erhiet. Dasselbe lautete: "Bewilligen
Sie ohne Zögern das Gesuch des Generals Ccinrobert um Enthebung von
seinem Posten. Er ist sehr angegriffen. Antworten Sie per Telegraph. General
Pelissier ist bereit, das Kommando zu übernehmen."

Hatte jedoch vielleicht Niet geglaubt in dem neuen Kommandirenden, General
Pelissier, eiuen Bundesgenossen für seine Ansichten zu finden, so wurde er
schon durch das erste Antrittsprograinm desselben enttäuscht. Ju diesem sprach
er aus, daß er sich bei Uebernahme seines Kommandos zwei Systemen gegen¬
über befunden habe: das eine wolle große Unternehmungen nach Außer, um
die Russen im Felde zu schlagen, dadurch die Festung zu isoliren und vollständig
einzuschließen; das audere System aber verlange zuerst und zunächst die Weg¬
nahme und Zerstörung des südlichen Theils von Sebastopol, um dann mit allen
Kräften nach Außer zu operiren; er werde von nun ab mit Entschiedenheit und
und ohne allen Vorbehalt den letzteren Weg einschlagen und wisse sich dabei im
Einverständnis? mit dem englischen Oberkommando. Ganz abgesehen von dem
schließlichen Erfolge konnte um diese Zeit nicht mehr davon die Rede sein, die
bereits im Gange befindliche Belagerung, wenn auch nur zeitweise, wieder ein¬
zustellen. Unbekannt mit dem höchst schwierigen Terrain, ohne Karten, würde
die verbündete Armee durch jeden Mißerfolg, jeden Rückzug in die peinlichste
Lage gebracht worden sein. Jenes Programm besiegelte aber Disharmonie
zwischen dem Kaiser und seinem ersten Feldherrn; sie wurde erst gelöst durch
die Erstürmung des Malakof. Daß sie aber noch eine so glänzende Lösung
fand, daß keine Saite sprang, daß nicht in eine andere Tonart, d. h. zu einem
Wechsel des Systems übergegangen wurde, dessen Folgen gar nicht abzusehen
gewesen wären, das war ganz wesentlich das Verdienst des Marschalls Vaillant.
Mit großer Klugheit und vielem Takt wußte er zwischen der überzengungsge-
treuen Energie Pelissiers und den kaiserlichen Strategemeu am grünen Tisch zu
vermitteln. Er selbst hielt es unbedingt mit der Ansicht des Oberfeldherrn;
dessen Geguer suchte er zu überzeugen, eventuell aber auch ohne viel Federlesen
zur Raison zu bringen. Der unter schweren Verlusten abgeschlagene Sturm vom
18 Juni, unternommen zur Ehrenrettung des Tages von Waterloo, schien dem
Kaiser und Niet recht zu geben. Um so höher ist es anzuschlagen, daß General
Pelissier in seiner Ueberzeugung nicht wankend wurde. Interessant sind die
Briefe, die grade nach dieser Katastrophe zwischen Marschall Vaillant und Niet,
der Oberwasser zu haben glaubte, gewechselt wurden. Gegen Eude Juli schrieb
der erstere an Niet: "Sie und Pelissier sind verschiedener Meinung, was ich
aufrichtig bedauere. Ich gestehe, daß ich Ihre Ansicht nicht theilen kann. Einen
Feldzug zu unternehmen in Gemeinschaft mit der Cholera und einer Belagerung
im Rücken, das scheint mir doch mehr wie gewagt; war es vielleicht im Monat


Kaiser eintraf, MarschaN Vaillant von Niet erhiet. Dasselbe lautete: „Bewilligen
Sie ohne Zögern das Gesuch des Generals Ccinrobert um Enthebung von
seinem Posten. Er ist sehr angegriffen. Antworten Sie per Telegraph. General
Pelissier ist bereit, das Kommando zu übernehmen."

Hatte jedoch vielleicht Niet geglaubt in dem neuen Kommandirenden, General
Pelissier, eiuen Bundesgenossen für seine Ansichten zu finden, so wurde er
schon durch das erste Antrittsprograinm desselben enttäuscht. Ju diesem sprach
er aus, daß er sich bei Uebernahme seines Kommandos zwei Systemen gegen¬
über befunden habe: das eine wolle große Unternehmungen nach Außer, um
die Russen im Felde zu schlagen, dadurch die Festung zu isoliren und vollständig
einzuschließen; das audere System aber verlange zuerst und zunächst die Weg¬
nahme und Zerstörung des südlichen Theils von Sebastopol, um dann mit allen
Kräften nach Außer zu operiren; er werde von nun ab mit Entschiedenheit und
und ohne allen Vorbehalt den letzteren Weg einschlagen und wisse sich dabei im
Einverständnis? mit dem englischen Oberkommando. Ganz abgesehen von dem
schließlichen Erfolge konnte um diese Zeit nicht mehr davon die Rede sein, die
bereits im Gange befindliche Belagerung, wenn auch nur zeitweise, wieder ein¬
zustellen. Unbekannt mit dem höchst schwierigen Terrain, ohne Karten, würde
die verbündete Armee durch jeden Mißerfolg, jeden Rückzug in die peinlichste
Lage gebracht worden sein. Jenes Programm besiegelte aber Disharmonie
zwischen dem Kaiser und seinem ersten Feldherrn; sie wurde erst gelöst durch
die Erstürmung des Malakof. Daß sie aber noch eine so glänzende Lösung
fand, daß keine Saite sprang, daß nicht in eine andere Tonart, d. h. zu einem
Wechsel des Systems übergegangen wurde, dessen Folgen gar nicht abzusehen
gewesen wären, das war ganz wesentlich das Verdienst des Marschalls Vaillant.
Mit großer Klugheit und vielem Takt wußte er zwischen der überzengungsge-
treuen Energie Pelissiers und den kaiserlichen Strategemeu am grünen Tisch zu
vermitteln. Er selbst hielt es unbedingt mit der Ansicht des Oberfeldherrn;
dessen Geguer suchte er zu überzeugen, eventuell aber auch ohne viel Federlesen
zur Raison zu bringen. Der unter schweren Verlusten abgeschlagene Sturm vom
18 Juni, unternommen zur Ehrenrettung des Tages von Waterloo, schien dem
Kaiser und Niet recht zu geben. Um so höher ist es anzuschlagen, daß General
Pelissier in seiner Ueberzeugung nicht wankend wurde. Interessant sind die
Briefe, die grade nach dieser Katastrophe zwischen Marschall Vaillant und Niet,
der Oberwasser zu haben glaubte, gewechselt wurden. Gegen Eude Juli schrieb
der erstere an Niet: „Sie und Pelissier sind verschiedener Meinung, was ich
aufrichtig bedauere. Ich gestehe, daß ich Ihre Ansicht nicht theilen kann. Einen
Feldzug zu unternehmen in Gemeinschaft mit der Cholera und einer Belagerung
im Rücken, das scheint mir doch mehr wie gewagt; war es vielleicht im Monat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/494>, abgerufen am 23.07.2024.