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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Zweck, hat gar keine selbständige Bedeutung, ist ausschließlich dazu bestimmt,
den ethischen Stoff zu konkreter Auschnuuug zu bringen. Eben deshalb ist es
berechtigt und nothwendig, falls die Naturwissenschaft, -- was sie aber nur mit
Verzicht auf ihren exakten Charakter, als Naturphilosophie, vermag, -- es
unternimmt, die ethischen Grundwahrheiten der Schrift, religiöse oder moralische,
anzutasten, den Kampf mit ihr aufzunehmen; aber es liegt kein Recht und
keine Nothwendigkeit vor, für die naturwissenschaftlichen Anschauungen des ersten
Buches Mosis einzutreten. Wenn der Materialismus oder Naturalismus
den Glauben an den lebendigen persönlichen Gott, an sein schöpferisches Wirken
bestreitet, wenn er die spezifische Dignität des Menschen, seine Gvttesbildlichkeit
leugnet, dann wollen wir freudig und eifrig für diese Heiligthümer des Glaubens
kämpfen. Aber was darüber hinausgeht, ist uns religiös und sittlich gleichartig,
denn es kennzeichnet nur den naturgeschichtlichen Gesichtskreis der biblischen
Schriftsteller, der für uns in keiner Hinsicht maßgebend ist. Wir stimmen voll¬
kommen mit dem überein, was ein neuerer Theologe sagt: "Was etwa von
naturwissenschaftlichem und philosophischem Stoffe vorliegt, hat durchaus nur
Werth als Ausdruck der zu Zeiten der Entstehung des Stückes in Israel
herrschenden Ansichten von diesen Dingen; ja es brauchte an sich dieses Material
gar nicht dem Volke Israel eigenthümlich oder auch nur in ihm allgemein
geltend gewesen zu sein. So kann in Betreff dieser Dinge nie der geringste
Zwiespalt mit irgend einer Wissenschaft entstehen; sie sind als alttestamentlich
bezeugte einfach Stoff für die Erkenntniß der ältesten menschlichen Auffassung
von diesen Fragen." *)

Reusch folgt ebenfalls dieser Unterscheidung des ethischen Gehalts und der
naturgeschichtlichen Vermittlung. Es zeigt sich dies sogleich in der Beant¬
wortung der Frage, welche Bedeutung der Sechszahl im Schöpfungsbericht
zukomme.

Da es unmöglich geworden war, an sechs Tage im Sinne des üblichen
Gebrauchs dieses Begriffs zu denken, hatte man, um Bibel und Wissenschaft
auszugleichen, zu größeren Perioden von unbestimmter Zeitlänge seine Zuflucht
genommen. Aber war dies in der That ein ausreichender Schutz? Keines¬
wegs! Denn die vorauszusetzenden einzelnen Perioden sind nicht nur nach
einander, sondern zum Theil auch gleichzeitig verflossen. Es ist nicht so, daß
die Thierwelt erst geschaffen wurde, nachdem die ganze Pflanzenwelt vollendet
war; vielmehr sind gewisse Pflanzengattungen erst entstanden, nachdem thie¬
risches Leben schon vorhanden war; und ebenso sind gewisse Landthiere früher
und gewisse Luft- und Wasserthiere später aufgetreten, als nach dieser Auffassung



') H, SchiG Alttestamentliche Theologie. Bd. I, S. 313--14.

Zweck, hat gar keine selbständige Bedeutung, ist ausschließlich dazu bestimmt,
den ethischen Stoff zu konkreter Auschnuuug zu bringen. Eben deshalb ist es
berechtigt und nothwendig, falls die Naturwissenschaft, — was sie aber nur mit
Verzicht auf ihren exakten Charakter, als Naturphilosophie, vermag, — es
unternimmt, die ethischen Grundwahrheiten der Schrift, religiöse oder moralische,
anzutasten, den Kampf mit ihr aufzunehmen; aber es liegt kein Recht und
keine Nothwendigkeit vor, für die naturwissenschaftlichen Anschauungen des ersten
Buches Mosis einzutreten. Wenn der Materialismus oder Naturalismus
den Glauben an den lebendigen persönlichen Gott, an sein schöpferisches Wirken
bestreitet, wenn er die spezifische Dignität des Menschen, seine Gvttesbildlichkeit
leugnet, dann wollen wir freudig und eifrig für diese Heiligthümer des Glaubens
kämpfen. Aber was darüber hinausgeht, ist uns religiös und sittlich gleichartig,
denn es kennzeichnet nur den naturgeschichtlichen Gesichtskreis der biblischen
Schriftsteller, der für uns in keiner Hinsicht maßgebend ist. Wir stimmen voll¬
kommen mit dem überein, was ein neuerer Theologe sagt: „Was etwa von
naturwissenschaftlichem und philosophischem Stoffe vorliegt, hat durchaus nur
Werth als Ausdruck der zu Zeiten der Entstehung des Stückes in Israel
herrschenden Ansichten von diesen Dingen; ja es brauchte an sich dieses Material
gar nicht dem Volke Israel eigenthümlich oder auch nur in ihm allgemein
geltend gewesen zu sein. So kann in Betreff dieser Dinge nie der geringste
Zwiespalt mit irgend einer Wissenschaft entstehen; sie sind als alttestamentlich
bezeugte einfach Stoff für die Erkenntniß der ältesten menschlichen Auffassung
von diesen Fragen." *)

Reusch folgt ebenfalls dieser Unterscheidung des ethischen Gehalts und der
naturgeschichtlichen Vermittlung. Es zeigt sich dies sogleich in der Beant¬
wortung der Frage, welche Bedeutung der Sechszahl im Schöpfungsbericht
zukomme.

Da es unmöglich geworden war, an sechs Tage im Sinne des üblichen
Gebrauchs dieses Begriffs zu denken, hatte man, um Bibel und Wissenschaft
auszugleichen, zu größeren Perioden von unbestimmter Zeitlänge seine Zuflucht
genommen. Aber war dies in der That ein ausreichender Schutz? Keines¬
wegs! Denn die vorauszusetzenden einzelnen Perioden sind nicht nur nach
einander, sondern zum Theil auch gleichzeitig verflossen. Es ist nicht so, daß
die Thierwelt erst geschaffen wurde, nachdem die ganze Pflanzenwelt vollendet
war; vielmehr sind gewisse Pflanzengattungen erst entstanden, nachdem thie¬
risches Leben schon vorhanden war; und ebenso sind gewisse Landthiere früher
und gewisse Luft- und Wasserthiere später aufgetreten, als nach dieser Auffassung



') H, SchiG Alttestamentliche Theologie. Bd. I, S. 313—14.
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[0439] Zweck, hat gar keine selbständige Bedeutung, ist ausschließlich dazu bestimmt, den ethischen Stoff zu konkreter Auschnuuug zu bringen. Eben deshalb ist es berechtigt und nothwendig, falls die Naturwissenschaft, — was sie aber nur mit Verzicht auf ihren exakten Charakter, als Naturphilosophie, vermag, — es unternimmt, die ethischen Grundwahrheiten der Schrift, religiöse oder moralische, anzutasten, den Kampf mit ihr aufzunehmen; aber es liegt kein Recht und keine Nothwendigkeit vor, für die naturwissenschaftlichen Anschauungen des ersten Buches Mosis einzutreten. Wenn der Materialismus oder Naturalismus den Glauben an den lebendigen persönlichen Gott, an sein schöpferisches Wirken bestreitet, wenn er die spezifische Dignität des Menschen, seine Gvttesbildlichkeit leugnet, dann wollen wir freudig und eifrig für diese Heiligthümer des Glaubens kämpfen. Aber was darüber hinausgeht, ist uns religiös und sittlich gleichartig, denn es kennzeichnet nur den naturgeschichtlichen Gesichtskreis der biblischen Schriftsteller, der für uns in keiner Hinsicht maßgebend ist. Wir stimmen voll¬ kommen mit dem überein, was ein neuerer Theologe sagt: „Was etwa von naturwissenschaftlichem und philosophischem Stoffe vorliegt, hat durchaus nur Werth als Ausdruck der zu Zeiten der Entstehung des Stückes in Israel herrschenden Ansichten von diesen Dingen; ja es brauchte an sich dieses Material gar nicht dem Volke Israel eigenthümlich oder auch nur in ihm allgemein geltend gewesen zu sein. So kann in Betreff dieser Dinge nie der geringste Zwiespalt mit irgend einer Wissenschaft entstehen; sie sind als alttestamentlich bezeugte einfach Stoff für die Erkenntniß der ältesten menschlichen Auffassung von diesen Fragen." *) Reusch folgt ebenfalls dieser Unterscheidung des ethischen Gehalts und der naturgeschichtlichen Vermittlung. Es zeigt sich dies sogleich in der Beant¬ wortung der Frage, welche Bedeutung der Sechszahl im Schöpfungsbericht zukomme. Da es unmöglich geworden war, an sechs Tage im Sinne des üblichen Gebrauchs dieses Begriffs zu denken, hatte man, um Bibel und Wissenschaft auszugleichen, zu größeren Perioden von unbestimmter Zeitlänge seine Zuflucht genommen. Aber war dies in der That ein ausreichender Schutz? Keines¬ wegs! Denn die vorauszusetzenden einzelnen Perioden sind nicht nur nach einander, sondern zum Theil auch gleichzeitig verflossen. Es ist nicht so, daß die Thierwelt erst geschaffen wurde, nachdem die ganze Pflanzenwelt vollendet war; vielmehr sind gewisse Pflanzengattungen erst entstanden, nachdem thie¬ risches Leben schon vorhanden war; und ebenso sind gewisse Landthiere früher und gewisse Luft- und Wasserthiere später aufgetreten, als nach dieser Auffassung ') H, SchiG Alttestamentliche Theologie. Bd. I, S. 313—14.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/439>, abgerufen am 27.09.2024.