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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Votum, allerdings zu der Annahme berechtigt, daß man ihr nur Verlegenheiten
zu bereiten beabsichtige. Um denselben zu entgehen, so blieben die Minister der
Verhandlung über die Jnterpellation überhaupt fern, und es wurde der die
Beantwortung ablehnende Staatsministerialbeschluß durch den Unterstaats¬
sekretär des Staatsministeriums verlesen.

Korrekt war diese Demonstration der Regierung ohne Zweifel nicht. So
wenig unsere inneren Zustände an Erträglichkeit gewinnen würden, wenn die
parlamentarische Majorität sich den Angriffen der Minorität durch Verlassen
des Sitzungssaales entziehen wollte, ebenso wenig kann es nützen, wenn die
Minister an ihre Adresse gerichtete unliebsame Erörterungen überhaupt nicht
anhören wollen. Die Regierung sollte unseres Trachtens gerade in der gegen¬
wärtigen kritischen Situation ein Vorgehen vermeiden, welches die Stellung
ihrer Hauptstütze, der nationalliberalen Partei, nur erschweren kann. Eine
andere Frage aber ist, ob der von der Regierung gemachte Fehler von dem
Abgeordnetenhause eine Antwort erheischte, welche zum mindesten die Möglich¬
keit eines ernsten Konfliktes eröffnet hätte. Die Fortschrittspartei, vielleicht
auch Herr Virchow auf eigene Faust, brachte eine solche Antwort in Vor¬
schlag. Die Besprechung der Jnterpellation sollte vertagt, die Minister sollten
zum Erscheinen im Hause aufgefordert werdeu. Nach Art. 60 der Verfassung
kann jedes der beiden Hänser des Landtags die Gegenwart der Minister ver¬
langen. Seinem Sinne nach, wie Angesichts der thatsächlichen Gestaltung der
Beziehungen zwischen Regierung und Volksvertretung kann indeß dies Recht nur
als ein äußerstes Zwangsmittel gelten, dessen Anwendung in Wirklichkeit bereits
ein Konfliktsverhältniß vorausgesetzt, ein Verhältniß, in welchem es der Volks¬
vertretung zweckmäßig erscheinen mag, der Regierung ihre Macht fühlen zu
lassen. Ein solches Verhältniß lag bis dahin zwischen der Majorität des Ab¬
geordnetenhauses und der Regierung nicht vor und konnte auch jetzt durch die
etwas geringschätzige Behandlung einer nicht von der Majorität ausgegangenen
Jnterpellation, wie sehr man diese Behandlung auch tadeln mag, nicht als
geschaffen erachtet werden. Unseres Bedünkens durfte daher kein Politiker, dem
es nicht um Opposition und Konflikt um jeden Preis zu thun ist, dem Antrage
Virchow seine Unterstützung leihen; die nationalliberale Partei hätte ihn, wäre
er zur Abstimmung gelangt, ablehnen müssen. Auf Grund der Bestimmung
der Geschäftsordnung, nach welcher bei der Besprechung von Interpellationen
Anträge überhaupt nicht gestellt werden dürfen, wurde er indeß zur Abstim¬
mung gar nicht zugelassen. Fortschritt und Centrum wollten freilich diese
Ausschließungsbestimmung nur als auf materielle, den Gegenstand der Jnter¬
pellation betreffende Anträge anwendbar anerkennen; die Mehrheit ging jedoch
von der Ueberzeugung ans, daß die Geschäftsordnung das Haus durch jene


Votum, allerdings zu der Annahme berechtigt, daß man ihr nur Verlegenheiten
zu bereiten beabsichtige. Um denselben zu entgehen, so blieben die Minister der
Verhandlung über die Jnterpellation überhaupt fern, und es wurde der die
Beantwortung ablehnende Staatsministerialbeschluß durch den Unterstaats¬
sekretär des Staatsministeriums verlesen.

Korrekt war diese Demonstration der Regierung ohne Zweifel nicht. So
wenig unsere inneren Zustände an Erträglichkeit gewinnen würden, wenn die
parlamentarische Majorität sich den Angriffen der Minorität durch Verlassen
des Sitzungssaales entziehen wollte, ebenso wenig kann es nützen, wenn die
Minister an ihre Adresse gerichtete unliebsame Erörterungen überhaupt nicht
anhören wollen. Die Regierung sollte unseres Trachtens gerade in der gegen¬
wärtigen kritischen Situation ein Vorgehen vermeiden, welches die Stellung
ihrer Hauptstütze, der nationalliberalen Partei, nur erschweren kann. Eine
andere Frage aber ist, ob der von der Regierung gemachte Fehler von dem
Abgeordnetenhause eine Antwort erheischte, welche zum mindesten die Möglich¬
keit eines ernsten Konfliktes eröffnet hätte. Die Fortschrittspartei, vielleicht
auch Herr Virchow auf eigene Faust, brachte eine solche Antwort in Vor¬
schlag. Die Besprechung der Jnterpellation sollte vertagt, die Minister sollten
zum Erscheinen im Hause aufgefordert werdeu. Nach Art. 60 der Verfassung
kann jedes der beiden Hänser des Landtags die Gegenwart der Minister ver¬
langen. Seinem Sinne nach, wie Angesichts der thatsächlichen Gestaltung der
Beziehungen zwischen Regierung und Volksvertretung kann indeß dies Recht nur
als ein äußerstes Zwangsmittel gelten, dessen Anwendung in Wirklichkeit bereits
ein Konfliktsverhältniß vorausgesetzt, ein Verhältniß, in welchem es der Volks¬
vertretung zweckmäßig erscheinen mag, der Regierung ihre Macht fühlen zu
lassen. Ein solches Verhältniß lag bis dahin zwischen der Majorität des Ab¬
geordnetenhauses und der Regierung nicht vor und konnte auch jetzt durch die
etwas geringschätzige Behandlung einer nicht von der Majorität ausgegangenen
Jnterpellation, wie sehr man diese Behandlung auch tadeln mag, nicht als
geschaffen erachtet werden. Unseres Bedünkens durfte daher kein Politiker, dem
es nicht um Opposition und Konflikt um jeden Preis zu thun ist, dem Antrage
Virchow seine Unterstützung leihen; die nationalliberale Partei hätte ihn, wäre
er zur Abstimmung gelangt, ablehnen müssen. Auf Grund der Bestimmung
der Geschäftsordnung, nach welcher bei der Besprechung von Interpellationen
Anträge überhaupt nicht gestellt werden dürfen, wurde er indeß zur Abstim¬
mung gar nicht zugelassen. Fortschritt und Centrum wollten freilich diese
Ausschließungsbestimmung nur als auf materielle, den Gegenstand der Jnter¬
pellation betreffende Anträge anwendbar anerkennen; die Mehrheit ging jedoch
von der Ueberzeugung ans, daß die Geschäftsordnung das Haus durch jene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/400>, abgerufen am 22.07.2024.