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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Klausel vor übereilten und verhängnißvollen Entschließungen habe bewahren
wollen, und konnte somit auch die Zulässigkeit eines Antrages nicht zugeben,
dessen Konsequenzen sich gar nicht übersehen ließen.

Der Sachverhalt ist so einfach und klar, daß man schwer begreift, wie
felbst Leute, welche die politischen Dinge nicht mit der fröhlichen Harmlosigkeit
des Doktrinärs, sondern mit gewissenhafter Abwägung der einander gegenüber¬
stehenden realen Faktoren betrachten, die Handlungsweise der nationalliberalen
Fraktion unverständlich finden. Der wüste Lärm, welcher in den Organen der
Fortschrittspartei geschlagen wird, bedarf freilich nicht erst der Erklärung. Seit
lange ist es die Taktik der fortschrittlichen Wortführer gegenüber der "befreun¬
deten" Partei, dieselbe in eine schroffe Oppositionsstellung zu verlocken, oder
aber, wenn sie die zu dem Zweck gestellte Falle vermeidet, sie vor dem Lande
des Verraths an der Würde der Volksvertretung, an den Rechten des Volkes
anzuklagen. Wer unbefangenen Blickes dies ganze Treiben über¬
schaut, wird erkennen, daß frivoler mit dem inneren Frieden
nicht gespielt werden kann. Die nativnälliberale Fraktion hat sich um
das Wohl des Laudes verdient gemacht, indem sie das Konfliktsmanöver
der Herren Virchow und Genossen vereitelte. Die letzteren sind infolgedessen
nur umsomehr entschlossen, ihre Experimente zu wiederholen. Hoffen wir, daß
die Regierung den Nationalliberalen die fernere Abwendung derselben erleichtert,
indem sie die Formen der parlamentarischen Etikette den heftigeren Angriffen
gegenüber nur um so peinlicher beobachtet!

Die Etatsberathung, welcher wiederum die Hauptarbeit der Woche zufiel,
N>ar unfruchtbarer, als je. Drei Tage Kulturkampf und immer nur das alte
^led bei stets neuer Erregtheit. Bemerkenswerth ist die offene Kriegser¬
klärung der sog. Konservativen an die Kirchenpolitik der Regierung. Im
Uebrigen darf man aus den Verhandlungen die tröstliche Gewißheit entnehmen,
daß trotz aller Machinationen, an der entscheidenden Stelle der Staatsgewalt
keine Veränderung in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit dieses welt¬
historischen Kampfes eingetreten ist.

Die erste Lesung der Vorlagen zur Ausführung der Reichsjustizgesetze gab
verschiedenen Rednern, namentlich Laster, Gelegenheit zu eingehender Kritik.
Das Schicksal der Entwürfe wird indeß voraussichtlich ein günstigeres sein,
als es der infolge längeren Leidens etwas reizbare Justizminister unter dem
röch /. ^. elt Eindrucke dieser Ausstellungen annehmen zu wollen schien.




Klausel vor übereilten und verhängnißvollen Entschließungen habe bewahren
wollen, und konnte somit auch die Zulässigkeit eines Antrages nicht zugeben,
dessen Konsequenzen sich gar nicht übersehen ließen.

Der Sachverhalt ist so einfach und klar, daß man schwer begreift, wie
felbst Leute, welche die politischen Dinge nicht mit der fröhlichen Harmlosigkeit
des Doktrinärs, sondern mit gewissenhafter Abwägung der einander gegenüber¬
stehenden realen Faktoren betrachten, die Handlungsweise der nationalliberalen
Fraktion unverständlich finden. Der wüste Lärm, welcher in den Organen der
Fortschrittspartei geschlagen wird, bedarf freilich nicht erst der Erklärung. Seit
lange ist es die Taktik der fortschrittlichen Wortführer gegenüber der „befreun¬
deten" Partei, dieselbe in eine schroffe Oppositionsstellung zu verlocken, oder
aber, wenn sie die zu dem Zweck gestellte Falle vermeidet, sie vor dem Lande
des Verraths an der Würde der Volksvertretung, an den Rechten des Volkes
anzuklagen. Wer unbefangenen Blickes dies ganze Treiben über¬
schaut, wird erkennen, daß frivoler mit dem inneren Frieden
nicht gespielt werden kann. Die nativnälliberale Fraktion hat sich um
das Wohl des Laudes verdient gemacht, indem sie das Konfliktsmanöver
der Herren Virchow und Genossen vereitelte. Die letzteren sind infolgedessen
nur umsomehr entschlossen, ihre Experimente zu wiederholen. Hoffen wir, daß
die Regierung den Nationalliberalen die fernere Abwendung derselben erleichtert,
indem sie die Formen der parlamentarischen Etikette den heftigeren Angriffen
gegenüber nur um so peinlicher beobachtet!

Die Etatsberathung, welcher wiederum die Hauptarbeit der Woche zufiel,
N>ar unfruchtbarer, als je. Drei Tage Kulturkampf und immer nur das alte
^led bei stets neuer Erregtheit. Bemerkenswerth ist die offene Kriegser¬
klärung der sog. Konservativen an die Kirchenpolitik der Regierung. Im
Uebrigen darf man aus den Verhandlungen die tröstliche Gewißheit entnehmen,
daß trotz aller Machinationen, an der entscheidenden Stelle der Staatsgewalt
keine Veränderung in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit dieses welt¬
historischen Kampfes eingetreten ist.

Die erste Lesung der Vorlagen zur Ausführung der Reichsjustizgesetze gab
verschiedenen Rednern, namentlich Laster, Gelegenheit zu eingehender Kritik.
Das Schicksal der Entwürfe wird indeß voraussichtlich ein günstigeres sein,
als es der infolge längeren Leidens etwas reizbare Justizminister unter dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/401>, abgerufen am 22.07.2024.