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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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entgehen, Sie sind über ganz Rußland verbreitet und gehöre" zu den reichsten
Kaufleuten Kahaus, Astrachaus und Moskaus. Man erkennt den Armenier auf
den ersten Blick an seiner orientalischen Physiognomie. Er ist hager, von
dunklem Teint und Haaren, hat eine Adlernase, schwarze Augen und ist un¬
gemein beweglich. Weniger schön als der Tscherkesse und Tschetschenze, werden
seine Züge noch durch ein Etwas entstellt, das fast unbeschreiblich ist und das
ich den Ausdruck der Habgier nennen möchte. Die Kleidung des Armeniers
ist nicht malerisch; wer einen altpvlnischen Juden gesehen hat, kam, sich den
Armenier ziemlich deutlich vergegenwärtigen. Die Armenier sind Christen, doch
ist das Christenthum nicht im Staude gewesen, sie von altheidnischen Gebräu-
chen und von heidnischem Aberglauben zu befreien.

Wie die Chinesen, scheinen sich auch einst die Vewohuer der südlich vom
Kaukasus gelegenen Länder mit einer Mauer gegen das Andringen ihrer nörd¬
lichen Nachbarn geschützt oder abgesperrt zu haben, freilich mit ebenso geringem
Erfolg. Wir geben eine Schilderung dieser Mauer nach dem Werke, das der
früher nach Sibirien verbannte Pole Bestuschef im Jahre 1832 herausgegeben.
Es heißt da: "Der Kampf der Vernichtung der Materie war sichtbar, und
manchmal schien er vernünftig. Das Samenkorn einer Platane war in eine
Felsenspalte gefallen, wo es ein wenig Erde gefunden hat, -- das Samen¬
körnchen keimte und erwuchs zum mächtigen Baume, dessen Wurzeln die Mauer
sprengen vermochten. Der Wind, welcher in die Spalten brauste, hat das
Uebrige gethan. Nur der Epheu, mitleidig wie die Säuger, welche die Ueber¬
reste Tassos aufsuchten und zusammenfügten, stützt die herabgefallenen Steine
und bindet die herunterstürzenden an die Mauer. Diese Mauer zog sich in
gerader Linie von der Festung Narin-Kate gegen Westen hin, und weder Berge
noch Abgründe unterbrachen sie. Ueber ihr erheben sich in ungleicher Entfer¬
nung Thürmchen, welche ebenfalls nicht gleich an Größe sind. Sie haben
Wohl einst als Hauptwachen gedient und es wurden in ihnen Waffen und
Lebensmittel aufbewahrt. Die Führer hatten in diesen Thürmchen ihre Woh¬
nungen, und während eines Krieges waren Truppen in ihnen angesammelt, so
zwar, daß die Besatzung eines Thurmes mit der Besatzung des nächsten über
die Mauer hinweg Verbindungen unterhielt. Diese Mauer hat in größerer
Entfernung von Derbend denselben Charakter, wie in Verbeut selbst; ihre
Höhe ändert sich entsprechend der Höhe des Bodens und über schroffe Schluchten
ist sie treppenartig hinüber geführt. Das Innere der Mauer besteht aus
kleinen, durch Lehm und einen cementartigen Mörtel mit einander verbundenen
Steinen und die Thürme erheben sich kaum eine Elle hoch über die Mauer.
Es ist dies eben der Typus der asiatischen Festungen, welcher dem Typus der
gothischen Festungen im Oriente, deren Thürme sich hoch über die Schanzen


Grenzboten IV. 1877. ^

entgehen, Sie sind über ganz Rußland verbreitet und gehöre» zu den reichsten
Kaufleuten Kahaus, Astrachaus und Moskaus. Man erkennt den Armenier auf
den ersten Blick an seiner orientalischen Physiognomie. Er ist hager, von
dunklem Teint und Haaren, hat eine Adlernase, schwarze Augen und ist un¬
gemein beweglich. Weniger schön als der Tscherkesse und Tschetschenze, werden
seine Züge noch durch ein Etwas entstellt, das fast unbeschreiblich ist und das
ich den Ausdruck der Habgier nennen möchte. Die Kleidung des Armeniers
ist nicht malerisch; wer einen altpvlnischen Juden gesehen hat, kam, sich den
Armenier ziemlich deutlich vergegenwärtigen. Die Armenier sind Christen, doch
ist das Christenthum nicht im Staude gewesen, sie von altheidnischen Gebräu-
chen und von heidnischem Aberglauben zu befreien.

Wie die Chinesen, scheinen sich auch einst die Vewohuer der südlich vom
Kaukasus gelegenen Länder mit einer Mauer gegen das Andringen ihrer nörd¬
lichen Nachbarn geschützt oder abgesperrt zu haben, freilich mit ebenso geringem
Erfolg. Wir geben eine Schilderung dieser Mauer nach dem Werke, das der
früher nach Sibirien verbannte Pole Bestuschef im Jahre 1832 herausgegeben.
Es heißt da: „Der Kampf der Vernichtung der Materie war sichtbar, und
manchmal schien er vernünftig. Das Samenkorn einer Platane war in eine
Felsenspalte gefallen, wo es ein wenig Erde gefunden hat, — das Samen¬
körnchen keimte und erwuchs zum mächtigen Baume, dessen Wurzeln die Mauer
sprengen vermochten. Der Wind, welcher in die Spalten brauste, hat das
Uebrige gethan. Nur der Epheu, mitleidig wie die Säuger, welche die Ueber¬
reste Tassos aufsuchten und zusammenfügten, stützt die herabgefallenen Steine
und bindet die herunterstürzenden an die Mauer. Diese Mauer zog sich in
gerader Linie von der Festung Narin-Kate gegen Westen hin, und weder Berge
noch Abgründe unterbrachen sie. Ueber ihr erheben sich in ungleicher Entfer¬
nung Thürmchen, welche ebenfalls nicht gleich an Größe sind. Sie haben
Wohl einst als Hauptwachen gedient und es wurden in ihnen Waffen und
Lebensmittel aufbewahrt. Die Führer hatten in diesen Thürmchen ihre Woh¬
nungen, und während eines Krieges waren Truppen in ihnen angesammelt, so
zwar, daß die Besatzung eines Thurmes mit der Besatzung des nächsten über
die Mauer hinweg Verbindungen unterhielt. Diese Mauer hat in größerer
Entfernung von Derbend denselben Charakter, wie in Verbeut selbst; ihre
Höhe ändert sich entsprechend der Höhe des Bodens und über schroffe Schluchten
ist sie treppenartig hinüber geführt. Das Innere der Mauer besteht aus
kleinen, durch Lehm und einen cementartigen Mörtel mit einander verbundenen
Steinen und die Thürme erheben sich kaum eine Elle hoch über die Mauer.
Es ist dies eben der Typus der asiatischen Festungen, welcher dem Typus der
gothischen Festungen im Oriente, deren Thürme sich hoch über die Schanzen


Grenzboten IV. 1877. ^
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[0397] entgehen, Sie sind über ganz Rußland verbreitet und gehöre» zu den reichsten Kaufleuten Kahaus, Astrachaus und Moskaus. Man erkennt den Armenier auf den ersten Blick an seiner orientalischen Physiognomie. Er ist hager, von dunklem Teint und Haaren, hat eine Adlernase, schwarze Augen und ist un¬ gemein beweglich. Weniger schön als der Tscherkesse und Tschetschenze, werden seine Züge noch durch ein Etwas entstellt, das fast unbeschreiblich ist und das ich den Ausdruck der Habgier nennen möchte. Die Kleidung des Armeniers ist nicht malerisch; wer einen altpvlnischen Juden gesehen hat, kam, sich den Armenier ziemlich deutlich vergegenwärtigen. Die Armenier sind Christen, doch ist das Christenthum nicht im Staude gewesen, sie von altheidnischen Gebräu- chen und von heidnischem Aberglauben zu befreien. Wie die Chinesen, scheinen sich auch einst die Vewohuer der südlich vom Kaukasus gelegenen Länder mit einer Mauer gegen das Andringen ihrer nörd¬ lichen Nachbarn geschützt oder abgesperrt zu haben, freilich mit ebenso geringem Erfolg. Wir geben eine Schilderung dieser Mauer nach dem Werke, das der früher nach Sibirien verbannte Pole Bestuschef im Jahre 1832 herausgegeben. Es heißt da: „Der Kampf der Vernichtung der Materie war sichtbar, und manchmal schien er vernünftig. Das Samenkorn einer Platane war in eine Felsenspalte gefallen, wo es ein wenig Erde gefunden hat, — das Samen¬ körnchen keimte und erwuchs zum mächtigen Baume, dessen Wurzeln die Mauer sprengen vermochten. Der Wind, welcher in die Spalten brauste, hat das Uebrige gethan. Nur der Epheu, mitleidig wie die Säuger, welche die Ueber¬ reste Tassos aufsuchten und zusammenfügten, stützt die herabgefallenen Steine und bindet die herunterstürzenden an die Mauer. Diese Mauer zog sich in gerader Linie von der Festung Narin-Kate gegen Westen hin, und weder Berge noch Abgründe unterbrachen sie. Ueber ihr erheben sich in ungleicher Entfer¬ nung Thürmchen, welche ebenfalls nicht gleich an Größe sind. Sie haben Wohl einst als Hauptwachen gedient und es wurden in ihnen Waffen und Lebensmittel aufbewahrt. Die Führer hatten in diesen Thürmchen ihre Woh¬ nungen, und während eines Krieges waren Truppen in ihnen angesammelt, so zwar, daß die Besatzung eines Thurmes mit der Besatzung des nächsten über die Mauer hinweg Verbindungen unterhielt. Diese Mauer hat in größerer Entfernung von Derbend denselben Charakter, wie in Verbeut selbst; ihre Höhe ändert sich entsprechend der Höhe des Bodens und über schroffe Schluchten ist sie treppenartig hinüber geführt. Das Innere der Mauer besteht aus kleinen, durch Lehm und einen cementartigen Mörtel mit einander verbundenen Steinen und die Thürme erheben sich kaum eine Elle hoch über die Mauer. Es ist dies eben der Typus der asiatischen Festungen, welcher dem Typus der gothischen Festungen im Oriente, deren Thürme sich hoch über die Schanzen Grenzboten IV. 1877. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/397>, abgerufen am 25.08.2024.