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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Rindviehs und der Schweine, dem bis heutigen Tages Thiere dieser Art
geopfert werden; 8) Jemech, der Gott der Schafe, dessen Fest im Herbste
begangen wird. Nach den Glaubensansichten der Tscherkessen hält sich der
Teufel in Menschen und Thieren auf, und zwar heißen diejenigen, in welchen
der Teufel seine Residenz aufgeschlagen, "Abbas"; sie können sich unsichtbar
machen und sind schuld an allem Unglück, welches die übrigen Menschen trifft.
Die Abbas begeben sich im Frühjahr auf den Berg "Föhr. Oachch", welcher
im Gebiete der Schapsugen liegt. Sie machen die Reise dahin ans verschiedenen
wilden und zahmen Thieren.

Die Tschetschenzen behaupten, daß sie von den Kisten abstammen,
unterscheiden sich jedoch in vieler Hinsicht vou ihnen. Denn während der
Charakter der Letzteren ein sehr milder und gutmüthiger ist, sind jene rauh,
schroff, wild und unbändig. Auch die Tschetschenzen zeichnen sich durch hohen,
schlanken Wuchs und Schönheit der Körperformen aus. Ihre Kleidung ist
der der Tscherkessen ähnlich und besteht aus einer Tschucha (Ueberrock) aus
schwarzem Tuche, mit schmalen silbernen Tressen und einer Patrontasche an
der Brust. Die Aermel sind aufgeschlitzt und werden über die Schultern ge¬
worfen. Das Beschmet (Kamisvl) besteht aus Wollen- oder Seidenstoff von
schreienden Farben, breiten zweifarbigen Hosen, welche von den Waden ab
sehr eng anliegen. Die Füße sind mit "Meschten" oder Stiefeln bekleidet, den
Leib umschließt ein reich mit ciselirten Silber- oder Stahlplättchen verzierter
Ledergurt, an welchem rechts das Pulverhorn, links der Kindschal hängt, wäh¬
rend hinten zwei Pistolen stecken, die gewöhnlich mit Tuch umnäht sind. Auf
dem Rücken hängt die Stntzbüchse, an der Seite die "Schaschka" (Suhel ohne
Gefäß und Garde). Der Kopf wird mit einer ungeheuren Papacha (Pudel¬
mütze) aus Schaffell bedeckt und während eines Unwetters eine Burka (kurzer
Mantel) über den Anzug geworfen. Die Kleidung der Frauen, besonders der
reichen, ist eben so originell wie die der Männer. Die ärmeren begnügen sich
mit einem Hemde, das in der Taille umgürtet ist, einem seidenen Tuche, das
um den Kopf gewunden ist, und Meschten. Gegen die Unbill des Wetters
schützen auch sie sich durch eine Bnrka.

Es würde uns zu weit führen, wenn wir auch die übrigen Völkerstämme,
auch nur in gedrängter Kürze erwähnen wollten. Wir müssen uns daher be¬
gnügen, zum Schluß dieses ethnographischen Kapitels unserer Skizze die
Armenier zu nennen, welche von den Türken charakteristisch "Boktschy", d. h.
Düngerfresser, genannt werden, weil eines ihrer Hauptcharaktermerkmale ein
aufs höchste getriebener Geiz ist. Die Armenier Knnkastens sind nicht Autoch-
thonen, sondern Emigranten aus Armenien, das ihre Vorfahren im 2. und 4.
Jahrhundert verlassen haben, um den religiösen Verfolgungen der Perser zu


Rindviehs und der Schweine, dem bis heutigen Tages Thiere dieser Art
geopfert werden; 8) Jemech, der Gott der Schafe, dessen Fest im Herbste
begangen wird. Nach den Glaubensansichten der Tscherkessen hält sich der
Teufel in Menschen und Thieren auf, und zwar heißen diejenigen, in welchen
der Teufel seine Residenz aufgeschlagen, „Abbas"; sie können sich unsichtbar
machen und sind schuld an allem Unglück, welches die übrigen Menschen trifft.
Die Abbas begeben sich im Frühjahr auf den Berg „Föhr. Oachch", welcher
im Gebiete der Schapsugen liegt. Sie machen die Reise dahin ans verschiedenen
wilden und zahmen Thieren.

Die Tschetschenzen behaupten, daß sie von den Kisten abstammen,
unterscheiden sich jedoch in vieler Hinsicht vou ihnen. Denn während der
Charakter der Letzteren ein sehr milder und gutmüthiger ist, sind jene rauh,
schroff, wild und unbändig. Auch die Tschetschenzen zeichnen sich durch hohen,
schlanken Wuchs und Schönheit der Körperformen aus. Ihre Kleidung ist
der der Tscherkessen ähnlich und besteht aus einer Tschucha (Ueberrock) aus
schwarzem Tuche, mit schmalen silbernen Tressen und einer Patrontasche an
der Brust. Die Aermel sind aufgeschlitzt und werden über die Schultern ge¬
worfen. Das Beschmet (Kamisvl) besteht aus Wollen- oder Seidenstoff von
schreienden Farben, breiten zweifarbigen Hosen, welche von den Waden ab
sehr eng anliegen. Die Füße sind mit „Meschten" oder Stiefeln bekleidet, den
Leib umschließt ein reich mit ciselirten Silber- oder Stahlplättchen verzierter
Ledergurt, an welchem rechts das Pulverhorn, links der Kindschal hängt, wäh¬
rend hinten zwei Pistolen stecken, die gewöhnlich mit Tuch umnäht sind. Auf
dem Rücken hängt die Stntzbüchse, an der Seite die „Schaschka" (Suhel ohne
Gefäß und Garde). Der Kopf wird mit einer ungeheuren Papacha (Pudel¬
mütze) aus Schaffell bedeckt und während eines Unwetters eine Burka (kurzer
Mantel) über den Anzug geworfen. Die Kleidung der Frauen, besonders der
reichen, ist eben so originell wie die der Männer. Die ärmeren begnügen sich
mit einem Hemde, das in der Taille umgürtet ist, einem seidenen Tuche, das
um den Kopf gewunden ist, und Meschten. Gegen die Unbill des Wetters
schützen auch sie sich durch eine Bnrka.

Es würde uns zu weit führen, wenn wir auch die übrigen Völkerstämme,
auch nur in gedrängter Kürze erwähnen wollten. Wir müssen uns daher be¬
gnügen, zum Schluß dieses ethnographischen Kapitels unserer Skizze die
Armenier zu nennen, welche von den Türken charakteristisch „Boktschy", d. h.
Düngerfresser, genannt werden, weil eines ihrer Hauptcharaktermerkmale ein
aufs höchste getriebener Geiz ist. Die Armenier Knnkastens sind nicht Autoch-
thonen, sondern Emigranten aus Armenien, das ihre Vorfahren im 2. und 4.
Jahrhundert verlassen haben, um den religiösen Verfolgungen der Perser zu


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[0396] Rindviehs und der Schweine, dem bis heutigen Tages Thiere dieser Art geopfert werden; 8) Jemech, der Gott der Schafe, dessen Fest im Herbste begangen wird. Nach den Glaubensansichten der Tscherkessen hält sich der Teufel in Menschen und Thieren auf, und zwar heißen diejenigen, in welchen der Teufel seine Residenz aufgeschlagen, „Abbas"; sie können sich unsichtbar machen und sind schuld an allem Unglück, welches die übrigen Menschen trifft. Die Abbas begeben sich im Frühjahr auf den Berg „Föhr. Oachch", welcher im Gebiete der Schapsugen liegt. Sie machen die Reise dahin ans verschiedenen wilden und zahmen Thieren. Die Tschetschenzen behaupten, daß sie von den Kisten abstammen, unterscheiden sich jedoch in vieler Hinsicht vou ihnen. Denn während der Charakter der Letzteren ein sehr milder und gutmüthiger ist, sind jene rauh, schroff, wild und unbändig. Auch die Tschetschenzen zeichnen sich durch hohen, schlanken Wuchs und Schönheit der Körperformen aus. Ihre Kleidung ist der der Tscherkessen ähnlich und besteht aus einer Tschucha (Ueberrock) aus schwarzem Tuche, mit schmalen silbernen Tressen und einer Patrontasche an der Brust. Die Aermel sind aufgeschlitzt und werden über die Schultern ge¬ worfen. Das Beschmet (Kamisvl) besteht aus Wollen- oder Seidenstoff von schreienden Farben, breiten zweifarbigen Hosen, welche von den Waden ab sehr eng anliegen. Die Füße sind mit „Meschten" oder Stiefeln bekleidet, den Leib umschließt ein reich mit ciselirten Silber- oder Stahlplättchen verzierter Ledergurt, an welchem rechts das Pulverhorn, links der Kindschal hängt, wäh¬ rend hinten zwei Pistolen stecken, die gewöhnlich mit Tuch umnäht sind. Auf dem Rücken hängt die Stntzbüchse, an der Seite die „Schaschka" (Suhel ohne Gefäß und Garde). Der Kopf wird mit einer ungeheuren Papacha (Pudel¬ mütze) aus Schaffell bedeckt und während eines Unwetters eine Burka (kurzer Mantel) über den Anzug geworfen. Die Kleidung der Frauen, besonders der reichen, ist eben so originell wie die der Männer. Die ärmeren begnügen sich mit einem Hemde, das in der Taille umgürtet ist, einem seidenen Tuche, das um den Kopf gewunden ist, und Meschten. Gegen die Unbill des Wetters schützen auch sie sich durch eine Bnrka. Es würde uns zu weit führen, wenn wir auch die übrigen Völkerstämme, auch nur in gedrängter Kürze erwähnen wollten. Wir müssen uns daher be¬ gnügen, zum Schluß dieses ethnographischen Kapitels unserer Skizze die Armenier zu nennen, welche von den Türken charakteristisch „Boktschy", d. h. Düngerfresser, genannt werden, weil eines ihrer Hauptcharaktermerkmale ein aufs höchste getriebener Geiz ist. Die Armenier Knnkastens sind nicht Autoch- thonen, sondern Emigranten aus Armenien, das ihre Vorfahren im 2. und 4. Jahrhundert verlassen haben, um den religiösen Verfolgungen der Perser zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/396>, abgerufen am 05.02.2025.