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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Der soziale Erfolg der Hussitenkriege war also der, daß die Hauptmasse
des Grundbesitzes der Böhmischen Geistlichkeit in die Hände des Adels und
Ma Theil der Städte Böhmens überging; in kirchlicher Beziehung aber hatten
diese Kriege den Erfolg, daß die Taboriten -- welchen auch der Kaiser Sigis-
"umd freie Religionsübung gestattete -- und die Utraquisten als besondere
Sekten fortbestanden, die letztern von der Kirche anerkannt, die erster" freilich
nur eilf geduldete Sekte. Noch während des 15. Jahrhunderts hatten die
Taboriten, die übrigens den Namen Böhmische oder Mährische Brüder an¬
nahmen, blutige Verfolgungen namentlich auch dnrch die Ntraqnisten, auszu¬
stehen, sie wanderten daher größtenteils nach Ungarn und Polen aus. Die
w Böhmen und Mähren zurückgebliebenen Reste der Taboriten wandten sich
seit dem dreißigjährigen Kriege vorzugsweise uach Norddeutschland, auch nach
Holland und später nach Amerika. In den Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika besteht noch jetzt eine zahlreiche Genossenschaft der Mährischen Brüder
als besondere Sekte, in Norddeutschland haben sich die Böhmischen Brüder
überall an die Evangelischen Gemeinden oder an die Herrenhuter angeschlossen.

Man darf wohl die Frage aufwerfen: was war der Grund, daß die
Taboriten als politische Partei nach so vielen großen Siegen durch die erste
verlorene Schlacht ihren Untergang fanden? Unstreitig hatten sie während
der Zeit ihrer Macht viele politische Fehler begangen; wir rechnen dahin, daß
sie gegen den Rath des sterbenden Ziska sich sofort nach dessen Tode in Par¬
teien spalteten, daß sie ferner bei den Vergleichs-Verhandlungen des Jahres
1433 zu wenig Entgegenkommen zeigten; aber der Hauptgrund ihres Unter-
Degens war doch nur der, daß sie in ihren Religionsansichten ihrer Zeit zu
K>eit vorausgeeilt waren, daß sie eben um deswillen zu wenig Anklang mit
ihren religiösen Meinungen fanden, die nur in Böhmen und Mähren Ver¬
breitung gewonnen. Sie theilten das Schicksal mit den Waldensern und den
Wiclefiten. Daß die Taboriten politisch und militärisch eine weit glänzendere
Rolle spielten, als den Wielefiten oder Waldensern zu Theil geworden war,
das muß man wohl vorzugsweise auf Rechnung der Persönlichkeit Ziskas und
Prokop des Großen setzen. Zu verwundern ist weniger, daß die Taboriten
önletzt im Kampfe unterlagen, als daß sie sich überhaupt so lange gegen weit
überlegene Feinde gehalten haben.

Was die Utraquisten betrifft, so erregte es das Staunen und die Bewunderung
°er Zeitgenossen, daß diese vom Konzil zu Basel und demnächst vom Papste
durch die Prager Kompactaten so große Konzessionen erlangten. In der That
^ar es bei den kirchlichen Streitigkeiten, die seit der Zeit des Kaisers Kon¬
stantin so oft stattgehabt hatten, noch nicht vorgekommen, daß eine kleine Minorität,
wie die Utraquisten gegeuüber der Katholischen Mehrheit doch nur waren,


Der soziale Erfolg der Hussitenkriege war also der, daß die Hauptmasse
des Grundbesitzes der Böhmischen Geistlichkeit in die Hände des Adels und
Ma Theil der Städte Böhmens überging; in kirchlicher Beziehung aber hatten
diese Kriege den Erfolg, daß die Taboriten — welchen auch der Kaiser Sigis-
»umd freie Religionsübung gestattete — und die Utraquisten als besondere
Sekten fortbestanden, die letztern von der Kirche anerkannt, die erster« freilich
nur eilf geduldete Sekte. Noch während des 15. Jahrhunderts hatten die
Taboriten, die übrigens den Namen Böhmische oder Mährische Brüder an¬
nahmen, blutige Verfolgungen namentlich auch dnrch die Ntraqnisten, auszu¬
stehen, sie wanderten daher größtenteils nach Ungarn und Polen aus. Die
w Böhmen und Mähren zurückgebliebenen Reste der Taboriten wandten sich
seit dem dreißigjährigen Kriege vorzugsweise uach Norddeutschland, auch nach
Holland und später nach Amerika. In den Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika besteht noch jetzt eine zahlreiche Genossenschaft der Mährischen Brüder
als besondere Sekte, in Norddeutschland haben sich die Böhmischen Brüder
überall an die Evangelischen Gemeinden oder an die Herrenhuter angeschlossen.

Man darf wohl die Frage aufwerfen: was war der Grund, daß die
Taboriten als politische Partei nach so vielen großen Siegen durch die erste
verlorene Schlacht ihren Untergang fanden? Unstreitig hatten sie während
der Zeit ihrer Macht viele politische Fehler begangen; wir rechnen dahin, daß
sie gegen den Rath des sterbenden Ziska sich sofort nach dessen Tode in Par¬
teien spalteten, daß sie ferner bei den Vergleichs-Verhandlungen des Jahres
1433 zu wenig Entgegenkommen zeigten; aber der Hauptgrund ihres Unter-
Degens war doch nur der, daß sie in ihren Religionsansichten ihrer Zeit zu
K>eit vorausgeeilt waren, daß sie eben um deswillen zu wenig Anklang mit
ihren religiösen Meinungen fanden, die nur in Böhmen und Mähren Ver¬
breitung gewonnen. Sie theilten das Schicksal mit den Waldensern und den
Wiclefiten. Daß die Taboriten politisch und militärisch eine weit glänzendere
Rolle spielten, als den Wielefiten oder Waldensern zu Theil geworden war,
das muß man wohl vorzugsweise auf Rechnung der Persönlichkeit Ziskas und
Prokop des Großen setzen. Zu verwundern ist weniger, daß die Taboriten
önletzt im Kampfe unterlagen, als daß sie sich überhaupt so lange gegen weit
überlegene Feinde gehalten haben.

Was die Utraquisten betrifft, so erregte es das Staunen und die Bewunderung
°er Zeitgenossen, daß diese vom Konzil zu Basel und demnächst vom Papste
durch die Prager Kompactaten so große Konzessionen erlangten. In der That
^ar es bei den kirchlichen Streitigkeiten, die seit der Zeit des Kaisers Kon¬
stantin so oft stattgehabt hatten, noch nicht vorgekommen, daß eine kleine Minorität,
wie die Utraquisten gegeuüber der Katholischen Mehrheit doch nur waren,


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[0387] Der soziale Erfolg der Hussitenkriege war also der, daß die Hauptmasse des Grundbesitzes der Böhmischen Geistlichkeit in die Hände des Adels und Ma Theil der Städte Böhmens überging; in kirchlicher Beziehung aber hatten diese Kriege den Erfolg, daß die Taboriten — welchen auch der Kaiser Sigis- »umd freie Religionsübung gestattete — und die Utraquisten als besondere Sekten fortbestanden, die letztern von der Kirche anerkannt, die erster« freilich nur eilf geduldete Sekte. Noch während des 15. Jahrhunderts hatten die Taboriten, die übrigens den Namen Böhmische oder Mährische Brüder an¬ nahmen, blutige Verfolgungen namentlich auch dnrch die Ntraqnisten, auszu¬ stehen, sie wanderten daher größtenteils nach Ungarn und Polen aus. Die w Böhmen und Mähren zurückgebliebenen Reste der Taboriten wandten sich seit dem dreißigjährigen Kriege vorzugsweise uach Norddeutschland, auch nach Holland und später nach Amerika. In den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika besteht noch jetzt eine zahlreiche Genossenschaft der Mährischen Brüder als besondere Sekte, in Norddeutschland haben sich die Böhmischen Brüder überall an die Evangelischen Gemeinden oder an die Herrenhuter angeschlossen. Man darf wohl die Frage aufwerfen: was war der Grund, daß die Taboriten als politische Partei nach so vielen großen Siegen durch die erste verlorene Schlacht ihren Untergang fanden? Unstreitig hatten sie während der Zeit ihrer Macht viele politische Fehler begangen; wir rechnen dahin, daß sie gegen den Rath des sterbenden Ziska sich sofort nach dessen Tode in Par¬ teien spalteten, daß sie ferner bei den Vergleichs-Verhandlungen des Jahres 1433 zu wenig Entgegenkommen zeigten; aber der Hauptgrund ihres Unter- Degens war doch nur der, daß sie in ihren Religionsansichten ihrer Zeit zu K>eit vorausgeeilt waren, daß sie eben um deswillen zu wenig Anklang mit ihren religiösen Meinungen fanden, die nur in Böhmen und Mähren Ver¬ breitung gewonnen. Sie theilten das Schicksal mit den Waldensern und den Wiclefiten. Daß die Taboriten politisch und militärisch eine weit glänzendere Rolle spielten, als den Wielefiten oder Waldensern zu Theil geworden war, das muß man wohl vorzugsweise auf Rechnung der Persönlichkeit Ziskas und Prokop des Großen setzen. Zu verwundern ist weniger, daß die Taboriten önletzt im Kampfe unterlagen, als daß sie sich überhaupt so lange gegen weit überlegene Feinde gehalten haben. Was die Utraquisten betrifft, so erregte es das Staunen und die Bewunderung °er Zeitgenossen, daß diese vom Konzil zu Basel und demnächst vom Papste durch die Prager Kompactaten so große Konzessionen erlangten. In der That ^ar es bei den kirchlichen Streitigkeiten, die seit der Zeit des Kaisers Kon¬ stantin so oft stattgehabt hatten, noch nicht vorgekommen, daß eine kleine Minorität, wie die Utraquisten gegeuüber der Katholischen Mehrheit doch nur waren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/387>, abgerufen am 22.07.2024.