Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zusammengetroffen sei und von ihm den Todesstoß erhalten habe. -- Unter den
Feldherrn der Hussiten ist Prokop nächst Ziska unstreitig der Hervorragendste.
Nach Ziska's Tode hatte er zehn Jahre lang das Ober-Kommando über die
Taboriten und war in dieser Zeit, abgesehen von dieser letzten Schlacht, in der
er den Tod fand, in allen Schlachten, auch gegen weit überlegene Feinde,
Sieger gewesen. An Bemühungen, den Frieden herzustellen, hatte er es in
dieser Zeit nicht fehlen lassen. Es war ihm mehr, wie einmal gelungen, den
zwischen Utraquisten und Taboriten hauptsächlich in Folge des fanatischen
Eifers der Partei Prokupeks ausbrechenden Streit gütlich beizulegen; auel mit
den Katholiken und dem Kaiser hatte er wiederholt Beilegung des Streits ge¬
sucht und zu dem Ende die Reisen nach Ungarn und nach Basel nicht gescheut.

Daß er bei seinen Feldzügen Plünderungen und Verwüstungen nicht ver¬
hüten konnte, lag im Charakter der Zeit und des Heerwesens der Hussiten; er
selbst war nach allen Nachrichten von jeder Grausamkeit weit entfernt und
weit mehr zur Milde geneigt als Ziska.

Zu den Gefangenen, die in der Schlacht bei Böhmisch-Brod in die Hände
der Sieger fielen, gehörten auch die drei Geistlichen, welche ein Jahr vorher
mit Rokyczana zusammen in Basel verhandelt hatten. Mehrere unter den
Führern der siegenden Partei schlugen vor, diese Geistlichen in Säcke zu stecken,
und zu ersäufen. Doch Kopka, der Anführer der Utraquisten, setzte es durch/
daß mau diese Männer unbeschädigt frei ließ. Die gefangenen Taboritischett
Krieger dagegen wurden nnter die Sieger vertheilt, die Stadt Prag und die
Katholischen Edelleute siedelte" die ihnen überwiesenen Gefangenen auf ihren
Ländereien als Leibeigene an; die Einwohner der eifrig katholischen Stadt
Pilsen dagegen, welche durch die Taboriten oft schwer beschädigt und bedroht
waren, sperrten die ihnen zugefallenen Kriegsgefangenen in eine Scheune und
verbrannten fie in dieser, ein Verfahren, was auch in jener vielfach noch so
rohen Zeit als grausam und barbarisch allgemein getadelt wurde. Das Heer
der Katholiken und Utraquisten zog nun vor die Stadt Tabor, in der fast nur
Weiber, Kinder und Greise zurückgeblieben wcireu; doch auch jetzt ergaben sich
die Einwohner dieser Heldenstadt nur, nachdem ihnen Meinrad von Neuhaus
Religionsfreiheit zugesichert hatte. Nach der Eiuncchme von Tabor schickten
nun die Führer der Katholiken und Utraquisten eine Gesandtschaft nach Ungarn
an den Kaiser Sigismund mit der Botschaft ihres Sieges. Als König hul¬
digten sie dem Sigismund aber erst, nachdem er die Rechte der Stände, na¬
mentlich auch die Prager Kompaktaten, anerkannt und zugleich versprochen
hatte, die böhmischen Edelleute im Besitze der Güter der Geistlichkeit zu lassen,
welche sie vor oder nach der Niederlage der Taboriten während der langen
Kriegsunruhen in Besitz genommen hatten.


zusammengetroffen sei und von ihm den Todesstoß erhalten habe. — Unter den
Feldherrn der Hussiten ist Prokop nächst Ziska unstreitig der Hervorragendste.
Nach Ziska's Tode hatte er zehn Jahre lang das Ober-Kommando über die
Taboriten und war in dieser Zeit, abgesehen von dieser letzten Schlacht, in der
er den Tod fand, in allen Schlachten, auch gegen weit überlegene Feinde,
Sieger gewesen. An Bemühungen, den Frieden herzustellen, hatte er es in
dieser Zeit nicht fehlen lassen. Es war ihm mehr, wie einmal gelungen, den
zwischen Utraquisten und Taboriten hauptsächlich in Folge des fanatischen
Eifers der Partei Prokupeks ausbrechenden Streit gütlich beizulegen; auel mit
den Katholiken und dem Kaiser hatte er wiederholt Beilegung des Streits ge¬
sucht und zu dem Ende die Reisen nach Ungarn und nach Basel nicht gescheut.

Daß er bei seinen Feldzügen Plünderungen und Verwüstungen nicht ver¬
hüten konnte, lag im Charakter der Zeit und des Heerwesens der Hussiten; er
selbst war nach allen Nachrichten von jeder Grausamkeit weit entfernt und
weit mehr zur Milde geneigt als Ziska.

Zu den Gefangenen, die in der Schlacht bei Böhmisch-Brod in die Hände
der Sieger fielen, gehörten auch die drei Geistlichen, welche ein Jahr vorher
mit Rokyczana zusammen in Basel verhandelt hatten. Mehrere unter den
Führern der siegenden Partei schlugen vor, diese Geistlichen in Säcke zu stecken,
und zu ersäufen. Doch Kopka, der Anführer der Utraquisten, setzte es durch/
daß mau diese Männer unbeschädigt frei ließ. Die gefangenen Taboritischett
Krieger dagegen wurden nnter die Sieger vertheilt, die Stadt Prag und die
Katholischen Edelleute siedelte» die ihnen überwiesenen Gefangenen auf ihren
Ländereien als Leibeigene an; die Einwohner der eifrig katholischen Stadt
Pilsen dagegen, welche durch die Taboriten oft schwer beschädigt und bedroht
waren, sperrten die ihnen zugefallenen Kriegsgefangenen in eine Scheune und
verbrannten fie in dieser, ein Verfahren, was auch in jener vielfach noch so
rohen Zeit als grausam und barbarisch allgemein getadelt wurde. Das Heer
der Katholiken und Utraquisten zog nun vor die Stadt Tabor, in der fast nur
Weiber, Kinder und Greise zurückgeblieben wcireu; doch auch jetzt ergaben sich
die Einwohner dieser Heldenstadt nur, nachdem ihnen Meinrad von Neuhaus
Religionsfreiheit zugesichert hatte. Nach der Eiuncchme von Tabor schickten
nun die Führer der Katholiken und Utraquisten eine Gesandtschaft nach Ungarn
an den Kaiser Sigismund mit der Botschaft ihres Sieges. Als König hul¬
digten sie dem Sigismund aber erst, nachdem er die Rechte der Stände, na¬
mentlich auch die Prager Kompaktaten, anerkannt und zugleich versprochen
hatte, die böhmischen Edelleute im Besitze der Güter der Geistlichkeit zu lassen,
welche sie vor oder nach der Niederlage der Taboriten während der langen
Kriegsunruhen in Besitz genommen hatten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139145"/>
          <p xml:id="ID_1123" prev="#ID_1122"> zusammengetroffen sei und von ihm den Todesstoß erhalten habe. &#x2014; Unter den<lb/>
Feldherrn der Hussiten ist Prokop nächst Ziska unstreitig der Hervorragendste.<lb/>
Nach Ziska's Tode hatte er zehn Jahre lang das Ober-Kommando über die<lb/>
Taboriten und war in dieser Zeit, abgesehen von dieser letzten Schlacht, in der<lb/>
er den Tod fand, in allen Schlachten, auch gegen weit überlegene Feinde,<lb/>
Sieger gewesen. An Bemühungen, den Frieden herzustellen, hatte er es in<lb/>
dieser Zeit nicht fehlen lassen. Es war ihm mehr, wie einmal gelungen, den<lb/>
zwischen Utraquisten und Taboriten hauptsächlich in Folge des fanatischen<lb/>
Eifers der Partei Prokupeks ausbrechenden Streit gütlich beizulegen; auel mit<lb/>
den Katholiken und dem Kaiser hatte er wiederholt Beilegung des Streits ge¬<lb/>
sucht und zu dem Ende die Reisen nach Ungarn und nach Basel nicht gescheut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1124"> Daß er bei seinen Feldzügen Plünderungen und Verwüstungen nicht ver¬<lb/>
hüten konnte, lag im Charakter der Zeit und des Heerwesens der Hussiten; er<lb/>
selbst war nach allen Nachrichten von jeder Grausamkeit weit entfernt und<lb/>
weit mehr zur Milde geneigt als Ziska.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125"> Zu den Gefangenen, die in der Schlacht bei Böhmisch-Brod in die Hände<lb/>
der Sieger fielen, gehörten auch die drei Geistlichen, welche ein Jahr vorher<lb/>
mit Rokyczana zusammen in Basel verhandelt hatten. Mehrere unter den<lb/>
Führern der siegenden Partei schlugen vor, diese Geistlichen in Säcke zu stecken,<lb/>
und zu ersäufen. Doch Kopka, der Anführer der Utraquisten, setzte es durch/<lb/>
daß mau diese Männer unbeschädigt frei ließ. Die gefangenen Taboritischett<lb/>
Krieger dagegen wurden nnter die Sieger vertheilt, die Stadt Prag und die<lb/>
Katholischen Edelleute siedelte» die ihnen überwiesenen Gefangenen auf ihren<lb/>
Ländereien als Leibeigene an; die Einwohner der eifrig katholischen Stadt<lb/>
Pilsen dagegen, welche durch die Taboriten oft schwer beschädigt und bedroht<lb/>
waren, sperrten die ihnen zugefallenen Kriegsgefangenen in eine Scheune und<lb/>
verbrannten fie in dieser, ein Verfahren, was auch in jener vielfach noch so<lb/>
rohen Zeit als grausam und barbarisch allgemein getadelt wurde. Das Heer<lb/>
der Katholiken und Utraquisten zog nun vor die Stadt Tabor, in der fast nur<lb/>
Weiber, Kinder und Greise zurückgeblieben wcireu; doch auch jetzt ergaben sich<lb/>
die Einwohner dieser Heldenstadt nur, nachdem ihnen Meinrad von Neuhaus<lb/>
Religionsfreiheit zugesichert hatte. Nach der Eiuncchme von Tabor schickten<lb/>
nun die Führer der Katholiken und Utraquisten eine Gesandtschaft nach Ungarn<lb/>
an den Kaiser Sigismund mit der Botschaft ihres Sieges. Als König hul¬<lb/>
digten sie dem Sigismund aber erst, nachdem er die Rechte der Stände, na¬<lb/>
mentlich auch die Prager Kompaktaten, anerkannt und zugleich versprochen<lb/>
hatte, die böhmischen Edelleute im Besitze der Güter der Geistlichkeit zu lassen,<lb/>
welche sie vor oder nach der Niederlage der Taboriten während der langen<lb/>
Kriegsunruhen in Besitz genommen hatten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] zusammengetroffen sei und von ihm den Todesstoß erhalten habe. — Unter den Feldherrn der Hussiten ist Prokop nächst Ziska unstreitig der Hervorragendste. Nach Ziska's Tode hatte er zehn Jahre lang das Ober-Kommando über die Taboriten und war in dieser Zeit, abgesehen von dieser letzten Schlacht, in der er den Tod fand, in allen Schlachten, auch gegen weit überlegene Feinde, Sieger gewesen. An Bemühungen, den Frieden herzustellen, hatte er es in dieser Zeit nicht fehlen lassen. Es war ihm mehr, wie einmal gelungen, den zwischen Utraquisten und Taboriten hauptsächlich in Folge des fanatischen Eifers der Partei Prokupeks ausbrechenden Streit gütlich beizulegen; auel mit den Katholiken und dem Kaiser hatte er wiederholt Beilegung des Streits ge¬ sucht und zu dem Ende die Reisen nach Ungarn und nach Basel nicht gescheut. Daß er bei seinen Feldzügen Plünderungen und Verwüstungen nicht ver¬ hüten konnte, lag im Charakter der Zeit und des Heerwesens der Hussiten; er selbst war nach allen Nachrichten von jeder Grausamkeit weit entfernt und weit mehr zur Milde geneigt als Ziska. Zu den Gefangenen, die in der Schlacht bei Böhmisch-Brod in die Hände der Sieger fielen, gehörten auch die drei Geistlichen, welche ein Jahr vorher mit Rokyczana zusammen in Basel verhandelt hatten. Mehrere unter den Führern der siegenden Partei schlugen vor, diese Geistlichen in Säcke zu stecken, und zu ersäufen. Doch Kopka, der Anführer der Utraquisten, setzte es durch/ daß mau diese Männer unbeschädigt frei ließ. Die gefangenen Taboritischett Krieger dagegen wurden nnter die Sieger vertheilt, die Stadt Prag und die Katholischen Edelleute siedelte» die ihnen überwiesenen Gefangenen auf ihren Ländereien als Leibeigene an; die Einwohner der eifrig katholischen Stadt Pilsen dagegen, welche durch die Taboriten oft schwer beschädigt und bedroht waren, sperrten die ihnen zugefallenen Kriegsgefangenen in eine Scheune und verbrannten fie in dieser, ein Verfahren, was auch in jener vielfach noch so rohen Zeit als grausam und barbarisch allgemein getadelt wurde. Das Heer der Katholiken und Utraquisten zog nun vor die Stadt Tabor, in der fast nur Weiber, Kinder und Greise zurückgeblieben wcireu; doch auch jetzt ergaben sich die Einwohner dieser Heldenstadt nur, nachdem ihnen Meinrad von Neuhaus Religionsfreiheit zugesichert hatte. Nach der Eiuncchme von Tabor schickten nun die Führer der Katholiken und Utraquisten eine Gesandtschaft nach Ungarn an den Kaiser Sigismund mit der Botschaft ihres Sieges. Als König hul¬ digten sie dem Sigismund aber erst, nachdem er die Rechte der Stände, na¬ mentlich auch die Prager Kompaktaten, anerkannt und zugleich versprochen hatte, die böhmischen Edelleute im Besitze der Güter der Geistlichkeit zu lassen, welche sie vor oder nach der Niederlage der Taboriten während der langen Kriegsunruhen in Besitz genommen hatten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/386>, abgerufen am 22.07.2024.