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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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stellen. Es war daher auch natürlich, daß sie, da gerade ihre Hauptforderung
in den Kompaktsten nicht bewilligt war, die Annahme der Kompaktaten zu¬
rückweisen mußten.

Vielleicht aber hätten sie, wenn gerade zur Zeit der letzten Verhandlungen
mit dem Konzil, also zu Ende des Jahres 1433, ein gemäßigter Führer an
ihrer Spitze gestanden hätte, von den Katholiken und Utraquisten Mische
Duldung erlangen können, allein gerade in jener Zeit fehlte es ihnen an einer
einheitlichen und gemäßigten Leitung. Ihr bester Führer, Prokop der Große,
hatte zu jener Zeit keinen Antheil mehr an der Leitung ihrer Angelegenheiten;
wenige Wochen, nachdem er vom Besuche des Konzil zu Basel zurückgekommen
war, hatte er bei Belagerung der streng katholischen Stadt Pilsen mit seineu
Unterfeldherrn, die anscheinend seines seit zehn Jahren dauernden Oberbefehls
müde geworden waren, einen Streit bekommen und hatte in Folge dessen sein
Kommando niedergelegt und sich aufs Land zurückgezogen. Als nun aber in
Folge der Verwerfung der Prager Kompaktaten die Taboriten mit den Utra¬
quisten und Katholiken Böhmens in offenen Krieg verwickelt wurden, wandten
sich die Taboriten wieder an Prokop und baten ihn, wieder das Kommando
über sie zu übernehmen. Nur ungern und nach langer Weigerung fügte sich
Prokop diesem Verlangen. Es kam am 30. Mai 1434 unweit Böhmisch-Brod
in Böhmen zu einer entscheidenden Schlacht zwischen den Taboriten einerseits
und der vereinigten Macht der Katholiken und Utraquisten andererseits. Die
letzteren standen unter dem Oberbefehl des Meinrad von Neuhaus und waren
an Zahl den Taboriten, deren Anzahl auf 36,000 Mann angegeben wird, weit
überlegen. Gleich im Anfang der Schlacht ergriff die Reiterei der Taboriten
die Flucht, angeblich in Folge Verraths. Das Fußvolk der Taboriten hatte
uun in der Front den Angriff des überlegenen feindlichen Fußvolks, von den
Seiten und im Rücken den Angriff der feindlichen Kavallerie auszuhalten; in
dieser bedrängten Lage hielt es jedoch so lange tapfer Stand, bis Prokop und
Prokupek mit dem Schwert in der Hand gefallen waren. Erst da wandte sich
der Rest der Taboriten zur Flucht, doch nur wenigen Hunderten gelang es,
sich durch die umringenden Feinde durchzuschlagen, die übrigen mußten die
Waffen strecken. Die Leiche Prokops des Großen fand man nach der Schlacht
'nit Wunden bedeckt an einer Stelle des Schlachtfeldes, wo noch zuletzt das
ästigste Handgemenge zwischen Utraquisten und Taboriten stattgefunden hatte
Es wird behauptet, daß er, als er sah, daß die Schlacht unrettbar verloren
'"ar, gemeinsam mit einigen Freunden sich in die Kampfreihe der Utraquisten
^stürzt habe, um zu sterben. Der Anführer der Utraquisten, Ritter Kostka,
der oft unter Prokop gefochten hatte und an seiner Seite in Basel eingeritten
^'"r, erzählte nach der Schlacht, daß Prokop mit ihm selbst zum Zweikampf


stellen. Es war daher auch natürlich, daß sie, da gerade ihre Hauptforderung
in den Kompaktsten nicht bewilligt war, die Annahme der Kompaktaten zu¬
rückweisen mußten.

Vielleicht aber hätten sie, wenn gerade zur Zeit der letzten Verhandlungen
mit dem Konzil, also zu Ende des Jahres 1433, ein gemäßigter Führer an
ihrer Spitze gestanden hätte, von den Katholiken und Utraquisten Mische
Duldung erlangen können, allein gerade in jener Zeit fehlte es ihnen an einer
einheitlichen und gemäßigten Leitung. Ihr bester Führer, Prokop der Große,
hatte zu jener Zeit keinen Antheil mehr an der Leitung ihrer Angelegenheiten;
wenige Wochen, nachdem er vom Besuche des Konzil zu Basel zurückgekommen
war, hatte er bei Belagerung der streng katholischen Stadt Pilsen mit seineu
Unterfeldherrn, die anscheinend seines seit zehn Jahren dauernden Oberbefehls
müde geworden waren, einen Streit bekommen und hatte in Folge dessen sein
Kommando niedergelegt und sich aufs Land zurückgezogen. Als nun aber in
Folge der Verwerfung der Prager Kompaktaten die Taboriten mit den Utra¬
quisten und Katholiken Böhmens in offenen Krieg verwickelt wurden, wandten
sich die Taboriten wieder an Prokop und baten ihn, wieder das Kommando
über sie zu übernehmen. Nur ungern und nach langer Weigerung fügte sich
Prokop diesem Verlangen. Es kam am 30. Mai 1434 unweit Böhmisch-Brod
in Böhmen zu einer entscheidenden Schlacht zwischen den Taboriten einerseits
und der vereinigten Macht der Katholiken und Utraquisten andererseits. Die
letzteren standen unter dem Oberbefehl des Meinrad von Neuhaus und waren
an Zahl den Taboriten, deren Anzahl auf 36,000 Mann angegeben wird, weit
überlegen. Gleich im Anfang der Schlacht ergriff die Reiterei der Taboriten
die Flucht, angeblich in Folge Verraths. Das Fußvolk der Taboriten hatte
uun in der Front den Angriff des überlegenen feindlichen Fußvolks, von den
Seiten und im Rücken den Angriff der feindlichen Kavallerie auszuhalten; in
dieser bedrängten Lage hielt es jedoch so lange tapfer Stand, bis Prokop und
Prokupek mit dem Schwert in der Hand gefallen waren. Erst da wandte sich
der Rest der Taboriten zur Flucht, doch nur wenigen Hunderten gelang es,
sich durch die umringenden Feinde durchzuschlagen, die übrigen mußten die
Waffen strecken. Die Leiche Prokops des Großen fand man nach der Schlacht
'nit Wunden bedeckt an einer Stelle des Schlachtfeldes, wo noch zuletzt das
ästigste Handgemenge zwischen Utraquisten und Taboriten stattgefunden hatte
Es wird behauptet, daß er, als er sah, daß die Schlacht unrettbar verloren
'"ar, gemeinsam mit einigen Freunden sich in die Kampfreihe der Utraquisten
^stürzt habe, um zu sterben. Der Anführer der Utraquisten, Ritter Kostka,
der oft unter Prokop gefochten hatte und an seiner Seite in Basel eingeritten
^'"r, erzählte nach der Schlacht, daß Prokop mit ihm selbst zum Zweikampf


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[0385] stellen. Es war daher auch natürlich, daß sie, da gerade ihre Hauptforderung in den Kompaktsten nicht bewilligt war, die Annahme der Kompaktaten zu¬ rückweisen mußten. Vielleicht aber hätten sie, wenn gerade zur Zeit der letzten Verhandlungen mit dem Konzil, also zu Ende des Jahres 1433, ein gemäßigter Führer an ihrer Spitze gestanden hätte, von den Katholiken und Utraquisten Mische Duldung erlangen können, allein gerade in jener Zeit fehlte es ihnen an einer einheitlichen und gemäßigten Leitung. Ihr bester Führer, Prokop der Große, hatte zu jener Zeit keinen Antheil mehr an der Leitung ihrer Angelegenheiten; wenige Wochen, nachdem er vom Besuche des Konzil zu Basel zurückgekommen war, hatte er bei Belagerung der streng katholischen Stadt Pilsen mit seineu Unterfeldherrn, die anscheinend seines seit zehn Jahren dauernden Oberbefehls müde geworden waren, einen Streit bekommen und hatte in Folge dessen sein Kommando niedergelegt und sich aufs Land zurückgezogen. Als nun aber in Folge der Verwerfung der Prager Kompaktaten die Taboriten mit den Utra¬ quisten und Katholiken Böhmens in offenen Krieg verwickelt wurden, wandten sich die Taboriten wieder an Prokop und baten ihn, wieder das Kommando über sie zu übernehmen. Nur ungern und nach langer Weigerung fügte sich Prokop diesem Verlangen. Es kam am 30. Mai 1434 unweit Böhmisch-Brod in Böhmen zu einer entscheidenden Schlacht zwischen den Taboriten einerseits und der vereinigten Macht der Katholiken und Utraquisten andererseits. Die letzteren standen unter dem Oberbefehl des Meinrad von Neuhaus und waren an Zahl den Taboriten, deren Anzahl auf 36,000 Mann angegeben wird, weit überlegen. Gleich im Anfang der Schlacht ergriff die Reiterei der Taboriten die Flucht, angeblich in Folge Verraths. Das Fußvolk der Taboriten hatte uun in der Front den Angriff des überlegenen feindlichen Fußvolks, von den Seiten und im Rücken den Angriff der feindlichen Kavallerie auszuhalten; in dieser bedrängten Lage hielt es jedoch so lange tapfer Stand, bis Prokop und Prokupek mit dem Schwert in der Hand gefallen waren. Erst da wandte sich der Rest der Taboriten zur Flucht, doch nur wenigen Hunderten gelang es, sich durch die umringenden Feinde durchzuschlagen, die übrigen mußten die Waffen strecken. Die Leiche Prokops des Großen fand man nach der Schlacht 'nit Wunden bedeckt an einer Stelle des Schlachtfeldes, wo noch zuletzt das ästigste Handgemenge zwischen Utraquisten und Taboriten stattgefunden hatte Es wird behauptet, daß er, als er sah, daß die Schlacht unrettbar verloren '"ar, gemeinsam mit einigen Freunden sich in die Kampfreihe der Utraquisten ^stürzt habe, um zu sterben. Der Anführer der Utraquisten, Ritter Kostka, der oft unter Prokop gefochten hatte und an seiner Seite in Basel eingeritten ^'"r, erzählte nach der Schlacht, daß Prokop mit ihm selbst zum Zweikampf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/385>, abgerufen am 24.08.2024.