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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Schulter hing -- wobei sie eine Coiffüre übertrieb, die später einmal in die
Mode kam. Sie bewegte sich langsam und in der Weise jemandes, der des
Gehens nicht gewohnt ist. Sie war eine Dame -- Lynde bemerkte das auf
den ersten Blick -- vielleicht ein in der Stadt erzogener Zugvogel, der sich
den Sommer über in diesem gesunden Thale ausruhte. Seine jugendliche
Eitelkeit gerieth in Unruhe, als er sich überlegte, was für ein komisches Bild
er mit diesem alten Sattel auf dem Rücken vorstellen mußte. Er würde ihn
in die Berberitzenbüsche geschleudert haben, wenn er es unbemerkt Hütte thun
tonnen. Aber es war zu spät. Als das Mädchen seiner gewahr wurde, unter¬
brach sie ihre Schritte und blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, und
dann kam sie direkt auf ihn zu. Als sie sich ihm näherte, wurde Lynde sich
wie geblendet bewußt, daß er ein Paar schwer bewimperte große und hell-
leuchtende Augen vor sich habe, die einem ovalen Gesichte von feinster Blässe
angehörten. Das Mädchen hielt einen Stengel Löwenzahn in der Hand und
drehte, als sie näher herankam, den langen schlangenartigen Stiel in der Hand.
Sie war jetzt dicht bei ihm, einen Augenblick roch er den Duft der Blume,
als sie eiuen Zoll von seiner Wange rasch einen Kreis beschrieb. Das Mädchen
blieb vor ihm stehen und sagte, indem sie sich ihrer ganzen Länge nach vor
ihm aufrichtete, mit stolzer Miene: "Ich bin die Königin von Saba." Dann
glitt sie beschleunigten Schrittes und mit einer plötzlich schüchtern gewordenen
Miene an ihm vorüber. Lynde brauchte diesmal längere Zeit, um sich zu er¬
holen. Er stand wie eingewurzelt an der Stelle und beobachtete mit verblüfftem
Gesicht die laugsam sich zurückziehende anmuthige Gestalt des Mädchens, die
sich einmal halb umwendete und sich nach ihm umsah. Dann verschwand sie
Wer den Kamm des Hügels. Folgte sie dem Alten? Bestand irgend eine
Verbindung zwischen ihnen? Vielleicht war er doch der Geistliche des Dorfes.
Konnte sie seine Tochter sein? Was für eine ungewöhnliche Tracht für eine
junge Dame, um darin spazieren zu gehn -- denn eine Dame war sie bis
5" ihren Fingernägeln herab. Und was für ein sonderbarer Gruß!"

Der Wunsch, eine Aufklärung dieser Räthsel zu erhalten, treibt Lynde,
immer den Sattel auf dem Rücken, rasch dem Flecken zu. Als er denselben
Reicht, findet er die Straßen menschenleer, von Festlichkeiten keine Anzeichen,
selbst die Sommerläden geschlossen. Hie und da nur ein Gesicht, welches sich
°n das Glas eines obern Fensters drückt. Auch sie zogen sich augenblicklich
Zurück, wenn er hinaussah. Auch entferntes Lachen, Gesang unter freiem
Himmel wie von Trunkenen glaubt er wiederholt zu vernehmen. Lynde eilt
mit seinem Sattel auf das Wirthshaus zu. Dessen massive Läden sind jedoch
gleichfalls verschlossen, die Thür nicht minder. Ein Mann und zwei Weiber
Zeigen sich plötzlich an einem offenei: Fenster des zweiten Stockwerks und der


Schulter hing — wobei sie eine Coiffüre übertrieb, die später einmal in die
Mode kam. Sie bewegte sich langsam und in der Weise jemandes, der des
Gehens nicht gewohnt ist. Sie war eine Dame — Lynde bemerkte das auf
den ersten Blick — vielleicht ein in der Stadt erzogener Zugvogel, der sich
den Sommer über in diesem gesunden Thale ausruhte. Seine jugendliche
Eitelkeit gerieth in Unruhe, als er sich überlegte, was für ein komisches Bild
er mit diesem alten Sattel auf dem Rücken vorstellen mußte. Er würde ihn
in die Berberitzenbüsche geschleudert haben, wenn er es unbemerkt Hütte thun
tonnen. Aber es war zu spät. Als das Mädchen seiner gewahr wurde, unter¬
brach sie ihre Schritte und blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, und
dann kam sie direkt auf ihn zu. Als sie sich ihm näherte, wurde Lynde sich
wie geblendet bewußt, daß er ein Paar schwer bewimperte große und hell-
leuchtende Augen vor sich habe, die einem ovalen Gesichte von feinster Blässe
angehörten. Das Mädchen hielt einen Stengel Löwenzahn in der Hand und
drehte, als sie näher herankam, den langen schlangenartigen Stiel in der Hand.
Sie war jetzt dicht bei ihm, einen Augenblick roch er den Duft der Blume,
als sie eiuen Zoll von seiner Wange rasch einen Kreis beschrieb. Das Mädchen
blieb vor ihm stehen und sagte, indem sie sich ihrer ganzen Länge nach vor
ihm aufrichtete, mit stolzer Miene: „Ich bin die Königin von Saba." Dann
glitt sie beschleunigten Schrittes und mit einer plötzlich schüchtern gewordenen
Miene an ihm vorüber. Lynde brauchte diesmal längere Zeit, um sich zu er¬
holen. Er stand wie eingewurzelt an der Stelle und beobachtete mit verblüfftem
Gesicht die laugsam sich zurückziehende anmuthige Gestalt des Mädchens, die
sich einmal halb umwendete und sich nach ihm umsah. Dann verschwand sie
Wer den Kamm des Hügels. Folgte sie dem Alten? Bestand irgend eine
Verbindung zwischen ihnen? Vielleicht war er doch der Geistliche des Dorfes.
Konnte sie seine Tochter sein? Was für eine ungewöhnliche Tracht für eine
junge Dame, um darin spazieren zu gehn — denn eine Dame war sie bis
5» ihren Fingernägeln herab. Und was für ein sonderbarer Gruß!"

Der Wunsch, eine Aufklärung dieser Räthsel zu erhalten, treibt Lynde,
immer den Sattel auf dem Rücken, rasch dem Flecken zu. Als er denselben
Reicht, findet er die Straßen menschenleer, von Festlichkeiten keine Anzeichen,
selbst die Sommerläden geschlossen. Hie und da nur ein Gesicht, welches sich
°n das Glas eines obern Fensters drückt. Auch sie zogen sich augenblicklich
Zurück, wenn er hinaussah. Auch entferntes Lachen, Gesang unter freiem
Himmel wie von Trunkenen glaubt er wiederholt zu vernehmen. Lynde eilt
mit seinem Sattel auf das Wirthshaus zu. Dessen massive Läden sind jedoch
gleichfalls verschlossen, die Thür nicht minder. Ein Mann und zwei Weiber
Zeigen sich plötzlich an einem offenei: Fenster des zweiten Stockwerks und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/347>, abgerufen am 22.07.2024.