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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Mann schreit herunter: "Oh, Dn bist ein Pferd, wie ich vermuthe! Na, hier
gibt's keinen Hafer für Dich, Du thätest besser weiter zu traben." Lynde
zügelt seine Entrüstung über diese Unverschämtheit und fragt so höflich wie
möglich, ob hier ein Pferd oder Fuhrwerk zu miethen sei. Darauf nur bedeut¬
sames Lächeln und gegenseitiges Zunicken der Personen am Fenster oben, als
ob Lynde etwas ganz Abgeschmacktes gesagt hätte. Der Mann namentlich
schien auf dem Punkte zu stehen, vor Heiterkeit zu ersticken. Streng fragt
Lynde, ob das nicht ein Gasthaus sei und verlangt Unterkunft als Reisender.
Die Autwort ist nur: "Traben Sie weiter." Falls er einzudringen versuche,
werde man ihm eins aufs Fell brennen. Ein Gewehr richtet sich oben auf
den jungen Mann.

Angewidert und entrüstet und gleichzeitig höchst erstaunt über diese unbe¬
greifliche Brutalität wendet Lynde sich ab, um in einem Privathaus Unter¬
kommen zu suchen. All den Spott, den er von dem jungen Mädchen und
von dem Wirth erduldet, schiebt er auf Rechnung des unglückseligen Sattels,
der ihm bei der steigenden Tageshitze ohnehin stets unerträglicher wird. Trennen
kann er sich gleichwohl nicht von ihm, da der Mantelsack all seine Fahrhabe
birgt. Er legt also in vollster Verzweiflung seine Bürde ans einem Prellstein
an einer Straßenecke ab. Da kommt ein leichenhaft aussehender, langer Mensch
von etwa vierzig Jahren, so mager wie ein Ausrufungszeichen, auf ihn los-
und versichert Lynde auf dessen Befragen, der Ort sei Konstantinopel und er,
der Knochenmann, werde Lynde Beschäftigung geben. Er baue eben ein Pas¬
sagierschiff von Marmor, welches auf einer doppelspurigen Eisenbahn, durch
zwölf Lokomotiven auf jeder Seite des Rumpfes, uach der See geschafft werden
solle. Eben wie Lynde sich der dringenden Aufforderung der Mitarbeiterschaft
an diesem Marmorschiff durch die schüchterne Bemerkung zu entziehen sucht,
daß in Bezug auf den Bau von Marmorschiffen seine Erziehung sehr ver-
nachlässigt worden sei, und wie er darüber nachdenkt, ob dieser Schiffsbauer
in einem wesentlich höheren Grade verrückt sei, als andere Menschen, die auch
an ihr Marmorschiff denken -- "die Ehe war Onkel Davids Marmorschiff, er
ließ es vom Stapel laufen" -- da ist das Gerippe plötzlich mit Sattel und
Mantelsack verschwunden und rennt mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin.
Lynde verfolgt den Menschen bergan, denselben Weg, den Lynde vorhin herge¬
kommen, bis ihm beinahe der Athem vergeht, und der Schiffsbauer jenseits des
Berggipfels verschwunden ist. Da kommt Lyude das, was Schnellläufer ihren
zweiten Athem nennen. Er macht vortreffliche Fortschritte nach dem GipfÄ
nu; hier aber befindet er sich plötzlich unter einer Menge von Menschen und
Pferden. Quer aus einem Pferde ohne Sattel sitzt die Königin von Salm,
das Pferd ist Mary. "Beim Jupiter -- .das ist meine Stute!" ruft Lynde


Mann schreit herunter: „Oh, Dn bist ein Pferd, wie ich vermuthe! Na, hier
gibt's keinen Hafer für Dich, Du thätest besser weiter zu traben." Lynde
zügelt seine Entrüstung über diese Unverschämtheit und fragt so höflich wie
möglich, ob hier ein Pferd oder Fuhrwerk zu miethen sei. Darauf nur bedeut¬
sames Lächeln und gegenseitiges Zunicken der Personen am Fenster oben, als
ob Lynde etwas ganz Abgeschmacktes gesagt hätte. Der Mann namentlich
schien auf dem Punkte zu stehen, vor Heiterkeit zu ersticken. Streng fragt
Lynde, ob das nicht ein Gasthaus sei und verlangt Unterkunft als Reisender.
Die Autwort ist nur: „Traben Sie weiter." Falls er einzudringen versuche,
werde man ihm eins aufs Fell brennen. Ein Gewehr richtet sich oben auf
den jungen Mann.

Angewidert und entrüstet und gleichzeitig höchst erstaunt über diese unbe¬
greifliche Brutalität wendet Lynde sich ab, um in einem Privathaus Unter¬
kommen zu suchen. All den Spott, den er von dem jungen Mädchen und
von dem Wirth erduldet, schiebt er auf Rechnung des unglückseligen Sattels,
der ihm bei der steigenden Tageshitze ohnehin stets unerträglicher wird. Trennen
kann er sich gleichwohl nicht von ihm, da der Mantelsack all seine Fahrhabe
birgt. Er legt also in vollster Verzweiflung seine Bürde ans einem Prellstein
an einer Straßenecke ab. Da kommt ein leichenhaft aussehender, langer Mensch
von etwa vierzig Jahren, so mager wie ein Ausrufungszeichen, auf ihn los-
und versichert Lynde auf dessen Befragen, der Ort sei Konstantinopel und er,
der Knochenmann, werde Lynde Beschäftigung geben. Er baue eben ein Pas¬
sagierschiff von Marmor, welches auf einer doppelspurigen Eisenbahn, durch
zwölf Lokomotiven auf jeder Seite des Rumpfes, uach der See geschafft werden
solle. Eben wie Lynde sich der dringenden Aufforderung der Mitarbeiterschaft
an diesem Marmorschiff durch die schüchterne Bemerkung zu entziehen sucht,
daß in Bezug auf den Bau von Marmorschiffen seine Erziehung sehr ver-
nachlässigt worden sei, und wie er darüber nachdenkt, ob dieser Schiffsbauer
in einem wesentlich höheren Grade verrückt sei, als andere Menschen, die auch
an ihr Marmorschiff denken — „die Ehe war Onkel Davids Marmorschiff, er
ließ es vom Stapel laufen" — da ist das Gerippe plötzlich mit Sattel und
Mantelsack verschwunden und rennt mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin.
Lynde verfolgt den Menschen bergan, denselben Weg, den Lynde vorhin herge¬
kommen, bis ihm beinahe der Athem vergeht, und der Schiffsbauer jenseits des
Berggipfels verschwunden ist. Da kommt Lyude das, was Schnellläufer ihren
zweiten Athem nennen. Er macht vortreffliche Fortschritte nach dem GipfÄ
nu; hier aber befindet er sich plötzlich unter einer Menge von Menschen und
Pferden. Quer aus einem Pferde ohne Sattel sitzt die Königin von Salm,
das Pferd ist Mary. „Beim Jupiter — .das ist meine Stute!" ruft Lynde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/348>, abgerufen am 23.07.2024.