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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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gelben Punkte in der Ferne geworden. Es war offenbar auf dem Rückwege
nach Rivermvuth! Lynde beobachtete Mary, bis sie nur noch ein Tüpfelchen
auf der grauen Landstraße war, dann drehte er sich um und warf einen betrübten
Blick auf den Sattel, der plötzlich, als er so dahingespreizt vor seinen Füßen
lag, ein satirisches Aussehen annahm. Red hatte gewünscht, daß ihm etwas
Passire, und jetzt war ihm etwas passirt. Ohne Pferd und allein befand er
sich mitten im-Herzen des Berglandes -- allein in einer ihm unbekannten,
und wie es Lynde, als er sich umschaute, vorkam, unbewohnten Gegend."

Das Erste, was Eduard Lynde über dieses Mißgeschick und die Aussicht
tröstet, einen Sattel von etwa vierzig Pfund Gewicht vier bis fünf Meilen
bis zur nächsten von Menschen bewohnten Stätte schleppen zu müssen, ist
der Anblick der im Halfter verwahrten bologneser Wurst, die dem verhungerten
jungen Manne so köstlich mundet, daß er sich gelobt: "wenn ichs erlebe, nach
Nivermonth zurückzukehren, so will ich den Rest meines Lebens hindurch jeden
Tag dreimal bologneser Wurst essen." Dann eilt er aber, sich in der Gegend
zu orientiren. Zu diesem Zwecke steigt er ans den Gipfel eines Berges, nur
etwa sechzig Ruthen von der Stelle, wo er gefrüstückt hat und gewahrt hier
zu seinem Entzücken unten im Thale in einer fruchtbaren, auf allen Seiten
lon den smaragdgrünen Hngelhängen eingeschlossenen Ebene das reizendste
kleine Dorf, das er je gesehen. Die Hauptstraße des Ortes mochte aus zwei-
bis dreihundert Häusern bestehen, meist Landhäuschen mit steil ansteigenden
Dächern. Zur Linken des Dorfes und etwa den achten Theil einer Meile
entfernt von ihm war ein imposantes rothes Ziegelgebäude mit Flügeln und
Zwei achteckige,: Thürmen. Es stand in einem Wäldchen von Fichten und
Ahorubünmeu und schien von einer hohen Mauer aus Bruchsteinen umgeben
zu sein. Es war zu anspruchsvoll, um ein Armenhaus zu sein, zu elegant
Zu einem Gefängniß; es war augenscheinlich kein Schulhaus, und es konnte
kein Zeughaus sein. Lynde wußte einen Augenblick nicht, was er aus ihm
wachen sollte, daun kehrte er zu seinem Sattel zurück, den er sich über den
Rücken warf, indem er ihn an den Steigbügelriemen hielt, die er sich über die
Schultern gezogen hatte. "Menn Mary ein Gewissen besitzt," murmelte Lynde,
"so würde es ihr eiuen Stich geben, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Es
wuß ein rührender Anblick sein. Im Dorfe unten werden sie nicht wissen, ob
ich die obere oder die untere Hälfte eines Centauren bin. Sie werden nicht
wissen,'ob sie mich striegeln und mir ein Maß Hafer geben oder mich zum
Frühstück einladen sollen."

Nachdem Lynde etwa den dritten Theil des Weges nach dem Flecken
Zurückgelegt, machte er Halt -- die Schwere des Sattels zwang ihn dazu -
und betrachtete durch sein Glas den Ort von neuem. Das rothe Ziegelgebünde


gelben Punkte in der Ferne geworden. Es war offenbar auf dem Rückwege
nach Rivermvuth! Lynde beobachtete Mary, bis sie nur noch ein Tüpfelchen
auf der grauen Landstraße war, dann drehte er sich um und warf einen betrübten
Blick auf den Sattel, der plötzlich, als er so dahingespreizt vor seinen Füßen
lag, ein satirisches Aussehen annahm. Red hatte gewünscht, daß ihm etwas
Passire, und jetzt war ihm etwas passirt. Ohne Pferd und allein befand er
sich mitten im-Herzen des Berglandes — allein in einer ihm unbekannten,
und wie es Lynde, als er sich umschaute, vorkam, unbewohnten Gegend."

Das Erste, was Eduard Lynde über dieses Mißgeschick und die Aussicht
tröstet, einen Sattel von etwa vierzig Pfund Gewicht vier bis fünf Meilen
bis zur nächsten von Menschen bewohnten Stätte schleppen zu müssen, ist
der Anblick der im Halfter verwahrten bologneser Wurst, die dem verhungerten
jungen Manne so köstlich mundet, daß er sich gelobt: „wenn ichs erlebe, nach
Nivermonth zurückzukehren, so will ich den Rest meines Lebens hindurch jeden
Tag dreimal bologneser Wurst essen." Dann eilt er aber, sich in der Gegend
zu orientiren. Zu diesem Zwecke steigt er ans den Gipfel eines Berges, nur
etwa sechzig Ruthen von der Stelle, wo er gefrüstückt hat und gewahrt hier
zu seinem Entzücken unten im Thale in einer fruchtbaren, auf allen Seiten
lon den smaragdgrünen Hngelhängen eingeschlossenen Ebene das reizendste
kleine Dorf, das er je gesehen. Die Hauptstraße des Ortes mochte aus zwei-
bis dreihundert Häusern bestehen, meist Landhäuschen mit steil ansteigenden
Dächern. Zur Linken des Dorfes und etwa den achten Theil einer Meile
entfernt von ihm war ein imposantes rothes Ziegelgebäude mit Flügeln und
Zwei achteckige,: Thürmen. Es stand in einem Wäldchen von Fichten und
Ahorubünmeu und schien von einer hohen Mauer aus Bruchsteinen umgeben
zu sein. Es war zu anspruchsvoll, um ein Armenhaus zu sein, zu elegant
Zu einem Gefängniß; es war augenscheinlich kein Schulhaus, und es konnte
kein Zeughaus sein. Lynde wußte einen Augenblick nicht, was er aus ihm
wachen sollte, daun kehrte er zu seinem Sattel zurück, den er sich über den
Rücken warf, indem er ihn an den Steigbügelriemen hielt, die er sich über die
Schultern gezogen hatte. „Menn Mary ein Gewissen besitzt," murmelte Lynde,
»so würde es ihr eiuen Stich geben, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Es
wuß ein rührender Anblick sein. Im Dorfe unten werden sie nicht wissen, ob
ich die obere oder die untere Hälfte eines Centauren bin. Sie werden nicht
wissen,'ob sie mich striegeln und mir ein Maß Hafer geben oder mich zum
Frühstück einladen sollen."

Nachdem Lynde etwa den dritten Theil des Weges nach dem Flecken
Zurückgelegt, machte er Halt — die Schwere des Sattels zwang ihn dazu -
und betrachtete durch sein Glas den Ort von neuem. Das rothe Ziegelgebünde


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[0345] gelben Punkte in der Ferne geworden. Es war offenbar auf dem Rückwege nach Rivermvuth! Lynde beobachtete Mary, bis sie nur noch ein Tüpfelchen auf der grauen Landstraße war, dann drehte er sich um und warf einen betrübten Blick auf den Sattel, der plötzlich, als er so dahingespreizt vor seinen Füßen lag, ein satirisches Aussehen annahm. Red hatte gewünscht, daß ihm etwas Passire, und jetzt war ihm etwas passirt. Ohne Pferd und allein befand er sich mitten im-Herzen des Berglandes — allein in einer ihm unbekannten, und wie es Lynde, als er sich umschaute, vorkam, unbewohnten Gegend." Das Erste, was Eduard Lynde über dieses Mißgeschick und die Aussicht tröstet, einen Sattel von etwa vierzig Pfund Gewicht vier bis fünf Meilen bis zur nächsten von Menschen bewohnten Stätte schleppen zu müssen, ist der Anblick der im Halfter verwahrten bologneser Wurst, die dem verhungerten jungen Manne so köstlich mundet, daß er sich gelobt: „wenn ichs erlebe, nach Nivermonth zurückzukehren, so will ich den Rest meines Lebens hindurch jeden Tag dreimal bologneser Wurst essen." Dann eilt er aber, sich in der Gegend zu orientiren. Zu diesem Zwecke steigt er ans den Gipfel eines Berges, nur etwa sechzig Ruthen von der Stelle, wo er gefrüstückt hat und gewahrt hier zu seinem Entzücken unten im Thale in einer fruchtbaren, auf allen Seiten lon den smaragdgrünen Hngelhängen eingeschlossenen Ebene das reizendste kleine Dorf, das er je gesehen. Die Hauptstraße des Ortes mochte aus zwei- bis dreihundert Häusern bestehen, meist Landhäuschen mit steil ansteigenden Dächern. Zur Linken des Dorfes und etwa den achten Theil einer Meile entfernt von ihm war ein imposantes rothes Ziegelgebäude mit Flügeln und Zwei achteckige,: Thürmen. Es stand in einem Wäldchen von Fichten und Ahorubünmeu und schien von einer hohen Mauer aus Bruchsteinen umgeben zu sein. Es war zu anspruchsvoll, um ein Armenhaus zu sein, zu elegant Zu einem Gefängniß; es war augenscheinlich kein Schulhaus, und es konnte kein Zeughaus sein. Lynde wußte einen Augenblick nicht, was er aus ihm wachen sollte, daun kehrte er zu seinem Sattel zurück, den er sich über den Rücken warf, indem er ihn an den Steigbügelriemen hielt, die er sich über die Schultern gezogen hatte. „Menn Mary ein Gewissen besitzt," murmelte Lynde, »so würde es ihr eiuen Stich geben, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Es wuß ein rührender Anblick sein. Im Dorfe unten werden sie nicht wissen, ob ich die obere oder die untere Hälfte eines Centauren bin. Sie werden nicht wissen,'ob sie mich striegeln und mir ein Maß Hafer geben oder mich zum Frühstück einladen sollen." Nachdem Lynde etwa den dritten Theil des Weges nach dem Flecken Zurückgelegt, machte er Halt — die Schwere des Sattels zwang ihn dazu - und betrachtete durch sein Glas den Ort von neuem. Das rothe Ziegelgebünde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/345>, abgerufen am 03.07.2024.