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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Grüße beim Kummer und Gehen -- nahmen an diesem ereignißlosen Ritt
des ersten Tages beinahe die Bedeutung von kleinen Abenteuern ein. Einmal
machte Lhude vor der Veranda eines ungetüuchteu Hauses mit holländischem
Dache und grünen Papierrouleaux vor den Fenstern Halt und bat um eiuen
Trunk Milch, der ihm von der nußbrauner Maid gebracht wurde, die, so
lange der junge Mann trank, ihre schmeichelnden unschuldigen Augen keinen
Augenblick von seinem Gesicht abwandte. Sie schlürfte ihn ein, wie er die
Milch einschliirfte, und der junge Lynde ritt mit dem Gefühle von dannen, als
ob wirklich sich etwas erreiguet hätte. Mehr als einmal diesen Morgen hielt
er den Zügel an der Straßenseite an, um einem lyrisch sich ergehenden Roth-
kehlchen auf dem Zweige eines Apfelbaumes zu lauschen oder gut Freund zu
werden mit den schwarzumgürteten Durham-Kühen und den rahmfarbenen
Alderneys, die langsamen Schrittes nach dem Zaum des Weideplatzes kamen
und ihn mit großen gutmüthigen Gesichtern anstarrten. Eine Reihe von ihnen
mit ihren trcigeu Augen, ihren rothen Zungen und ihren feuchten gummiartigen
Nasen war so gut wie ein Schauspiel in der Stadt."

Die erste Nacht schläft er in dem einzigen Gasthofe eines Ortes, in dein
es fast nur Hochöfen gibt, dem "Fliegenden Adler." Er "gewann diese Be¬
lehrung einen kleinen Knaben ab, der mit Eisenstaub beschmiert war und aussah,
als ob er ebeu erst in einer benachbarten Gießerei gegossen worden wäre."
Die beiden nächsten Nächte schläft Ednard in einem Bauernhause, am dritten
Abend -- er ist schon tiefer in's Gebirge gerathen, -- "wurde er als verdächtiger
Charakter betrachtet und erlangte nur mit Mühe Erlaubniß, sich's auf einem
Heuboden bequem zu machen, wo er so glücklich war, es durchzumachen, daß
er es einmal unbegnem hatte und kaum ein Auge zuthun konnte. Der junge
Mann, der aus Liebhaberei den Strolch spielte, lag träumerisch da und beobachtete,
wie die speerartigen Silberstrahlen des Mondlichts durch das Dach der Scheune
drangen, und schöpfte aus seiner traurigen Umgebung ein Behagen, welches
einen berufsmäßigen Landstreicher in Stannen versetzt haben würde." Den
nächsten Morgen bricht er früh ans und reitet in die menschenleere Gebirgs-
wildniß hinein, tief und immer tiefer; im Schnellschritt muß Mary die letzte
steile Höhe hinan -- da reißt plötzlich der Sattelgirrt, Lynde sinkt sammt dem
Sattel vom Pferde, der Zügel entgleitet seinen Händen. Mary nickt boshaft
mit dem Kopfe nach hinten, dreht sich um und beginnt den steilen Abhang
hinunterzutraben. "Ihr Trab schlug Plötzlich in Galopp um und der Galopp
in Carriere -- man denke sich Mary und Carriere! Am Fuße des Berges
stolperte sie, fiel, überschlug sich, raffte sich wieder auf und jagte mit gestei¬
gerter Geschwindigkeit weiter. Die Straße lief hier auf eine oder ein paar
Meilen in vollkommen gerader Richtung fort. Das Pferd war bereits zu einem


Grüße beim Kummer und Gehen — nahmen an diesem ereignißlosen Ritt
des ersten Tages beinahe die Bedeutung von kleinen Abenteuern ein. Einmal
machte Lhude vor der Veranda eines ungetüuchteu Hauses mit holländischem
Dache und grünen Papierrouleaux vor den Fenstern Halt und bat um eiuen
Trunk Milch, der ihm von der nußbrauner Maid gebracht wurde, die, so
lange der junge Mann trank, ihre schmeichelnden unschuldigen Augen keinen
Augenblick von seinem Gesicht abwandte. Sie schlürfte ihn ein, wie er die
Milch einschliirfte, und der junge Lynde ritt mit dem Gefühle von dannen, als
ob wirklich sich etwas erreiguet hätte. Mehr als einmal diesen Morgen hielt
er den Zügel an der Straßenseite an, um einem lyrisch sich ergehenden Roth-
kehlchen auf dem Zweige eines Apfelbaumes zu lauschen oder gut Freund zu
werden mit den schwarzumgürteten Durham-Kühen und den rahmfarbenen
Alderneys, die langsamen Schrittes nach dem Zaum des Weideplatzes kamen
und ihn mit großen gutmüthigen Gesichtern anstarrten. Eine Reihe von ihnen
mit ihren trcigeu Augen, ihren rothen Zungen und ihren feuchten gummiartigen
Nasen war so gut wie ein Schauspiel in der Stadt."

Die erste Nacht schläft er in dem einzigen Gasthofe eines Ortes, in dein
es fast nur Hochöfen gibt, dem „Fliegenden Adler." Er „gewann diese Be¬
lehrung einen kleinen Knaben ab, der mit Eisenstaub beschmiert war und aussah,
als ob er ebeu erst in einer benachbarten Gießerei gegossen worden wäre."
Die beiden nächsten Nächte schläft Ednard in einem Bauernhause, am dritten
Abend — er ist schon tiefer in's Gebirge gerathen, — „wurde er als verdächtiger
Charakter betrachtet und erlangte nur mit Mühe Erlaubniß, sich's auf einem
Heuboden bequem zu machen, wo er so glücklich war, es durchzumachen, daß
er es einmal unbegnem hatte und kaum ein Auge zuthun konnte. Der junge
Mann, der aus Liebhaberei den Strolch spielte, lag träumerisch da und beobachtete,
wie die speerartigen Silberstrahlen des Mondlichts durch das Dach der Scheune
drangen, und schöpfte aus seiner traurigen Umgebung ein Behagen, welches
einen berufsmäßigen Landstreicher in Stannen versetzt haben würde." Den
nächsten Morgen bricht er früh ans und reitet in die menschenleere Gebirgs-
wildniß hinein, tief und immer tiefer; im Schnellschritt muß Mary die letzte
steile Höhe hinan — da reißt plötzlich der Sattelgirrt, Lynde sinkt sammt dem
Sattel vom Pferde, der Zügel entgleitet seinen Händen. Mary nickt boshaft
mit dem Kopfe nach hinten, dreht sich um und beginnt den steilen Abhang
hinunterzutraben. „Ihr Trab schlug Plötzlich in Galopp um und der Galopp
in Carriere — man denke sich Mary und Carriere! Am Fuße des Berges
stolperte sie, fiel, überschlug sich, raffte sich wieder auf und jagte mit gestei¬
gerter Geschwindigkeit weiter. Die Straße lief hier auf eine oder ein paar
Meilen in vollkommen gerader Richtung fort. Das Pferd war bereits zu einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/344>, abgerufen am 01.07.2024.