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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Juniwetter hineingeritten, ohne festgestellten Bestimmungsort, ohne Sorge um
das Morgen und so unabhängig von den gewöhnlichen Bedürfnissen der Ton
rihten wie ein Vogel in der Luft. Am Schwanzriemen seines Sattels -- eines
alten Kavalleriesattels, der in längstvergessenen Uebungszeiten Dienst gethan
hatte -- war ein cylinderförmiger Mantelsack von Kuhleder aufgeschnallt, der
etwas Wäsche zum Wechseln, ein paar Toilette-Gegenstände, eine Mütze von
vulkanisirtem Tuch für regnerische Tage und den ersten Band des "Irdischen
Paradieses" enthielt. Die beiden kriegerischen Halftern vorn, in denen Oberst
Eliphalet Bangs ein Paar Pistolen mit Feuerschlössern, die jetzt im historischen
Museum zu Rivermouth ruhen, mit sich zu führen pflegte, wurden die Be¬
hälter für eine schmächtige Flasche mit Cognac auf der einen und für eine
Bologneser-Wurst auf der andern Seite; denn der junge Lynde war entschlossen,
sein Leben theuer zu verkaufen, wenn er durch einen Reisezufall mit dem
Hunger Mann an Mann zu kämpfen genöthigt werden sollte. Ein breitran¬
diger Panamahut, ein Anzug von matrosenblanem Flanell und ein Paar Reit¬
stiefeln vervollständigten seine Ausrüstung. An einem Riemen hatte er sich
einen Feldstecher in einer Lederkapsel über die Schulter gehangen, und in der
Brusttasche seiner Blouse trug er eiuen kleinen Kompaß, der ihm auf seiner
Reise gerade nach Norden hinauf zum Führer dienen sollte. Die Tracht des
jungen Mannes paßte sehr gut zu seinem offenherzigen feinen Gesichte und
seinen dreiundzwanzig Jahren. Ein inattgoldner Schnurrbart, der an den Enden
spitz gedreht war und sich rechts und links in gleicher Höhe ausbreitete, wie
die Flügel einer Schwalbe, gab ihm ein etwas militärisches Wesen; auch im
Blicke seiner klaren grauen Angen, die bis jetzt noch nicht dnrch zu viel in die
Welt Sehen trübe geworden waren, lag ein martialisches Geradedranflosgehen.
Es konnte keine bessere Figur für den Sattel geben, als die Figur Lynde's,
der ein wenig über die Durchschuittsgröße, gerade wie eine Pappel und weder
zu spärlich noch zu schwerfällig gewachsen war. Dann und wenn, wenn er
ein Farmhaus passirte, hielt ein junges Mädchen, welches im Vorderhofe
Wäsche aufhing, -- denn es war Montag -- mit einem unförmigen leinenen
Schneeballen in der Hand inne, um sich neugierig die Erscheinung eines
stattlichen jungen Herrn zu betrachten, der vorüberritt. Oft geschah es, daß
sie, wenn er vorbei war, sich verstohlen nach dem rothen Pförtchen in der
stechtenbewachfenen Steinmauer schlich und ihm mit ihren von der Hand be¬
schatteten Augen die einsame Straße hinab folgte, und häufig begab sich's, daß
er über seine Schulter zurückblickte auf die uußbraune Maid, deren dichtan¬
liegende dürftige Bekleidung ihr eine bildsäulenartige Anmuth verlieh, welche
dadurch, daß sie nichts davon wußte, noch reizender wurde. Dieses Aufblitzen
leiser Anerkennung zwischen Jngend und Jngend -- diese plötzlichen stummen


Juniwetter hineingeritten, ohne festgestellten Bestimmungsort, ohne Sorge um
das Morgen und so unabhängig von den gewöhnlichen Bedürfnissen der Ton
rihten wie ein Vogel in der Luft. Am Schwanzriemen seines Sattels — eines
alten Kavalleriesattels, der in längstvergessenen Uebungszeiten Dienst gethan
hatte — war ein cylinderförmiger Mantelsack von Kuhleder aufgeschnallt, der
etwas Wäsche zum Wechseln, ein paar Toilette-Gegenstände, eine Mütze von
vulkanisirtem Tuch für regnerische Tage und den ersten Band des „Irdischen
Paradieses" enthielt. Die beiden kriegerischen Halftern vorn, in denen Oberst
Eliphalet Bangs ein Paar Pistolen mit Feuerschlössern, die jetzt im historischen
Museum zu Rivermouth ruhen, mit sich zu führen pflegte, wurden die Be¬
hälter für eine schmächtige Flasche mit Cognac auf der einen und für eine
Bologneser-Wurst auf der andern Seite; denn der junge Lynde war entschlossen,
sein Leben theuer zu verkaufen, wenn er durch einen Reisezufall mit dem
Hunger Mann an Mann zu kämpfen genöthigt werden sollte. Ein breitran¬
diger Panamahut, ein Anzug von matrosenblanem Flanell und ein Paar Reit¬
stiefeln vervollständigten seine Ausrüstung. An einem Riemen hatte er sich
einen Feldstecher in einer Lederkapsel über die Schulter gehangen, und in der
Brusttasche seiner Blouse trug er eiuen kleinen Kompaß, der ihm auf seiner
Reise gerade nach Norden hinauf zum Führer dienen sollte. Die Tracht des
jungen Mannes paßte sehr gut zu seinem offenherzigen feinen Gesichte und
seinen dreiundzwanzig Jahren. Ein inattgoldner Schnurrbart, der an den Enden
spitz gedreht war und sich rechts und links in gleicher Höhe ausbreitete, wie
die Flügel einer Schwalbe, gab ihm ein etwas militärisches Wesen; auch im
Blicke seiner klaren grauen Angen, die bis jetzt noch nicht dnrch zu viel in die
Welt Sehen trübe geworden waren, lag ein martialisches Geradedranflosgehen.
Es konnte keine bessere Figur für den Sattel geben, als die Figur Lynde's,
der ein wenig über die Durchschuittsgröße, gerade wie eine Pappel und weder
zu spärlich noch zu schwerfällig gewachsen war. Dann und wenn, wenn er
ein Farmhaus passirte, hielt ein junges Mädchen, welches im Vorderhofe
Wäsche aufhing, — denn es war Montag — mit einem unförmigen leinenen
Schneeballen in der Hand inne, um sich neugierig die Erscheinung eines
stattlichen jungen Herrn zu betrachten, der vorüberritt. Oft geschah es, daß
sie, wenn er vorbei war, sich verstohlen nach dem rothen Pförtchen in der
stechtenbewachfenen Steinmauer schlich und ihm mit ihren von der Hand be¬
schatteten Augen die einsame Straße hinab folgte, und häufig begab sich's, daß
er über seine Schulter zurückblickte auf die uußbraune Maid, deren dichtan¬
liegende dürftige Bekleidung ihr eine bildsäulenartige Anmuth verlieh, welche
dadurch, daß sie nichts davon wußte, noch reizender wurde. Dieses Aufblitzen
leiser Anerkennung zwischen Jngend und Jngend — diese plötzlichen stummen


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[0343] Juniwetter hineingeritten, ohne festgestellten Bestimmungsort, ohne Sorge um das Morgen und so unabhängig von den gewöhnlichen Bedürfnissen der Ton rihten wie ein Vogel in der Luft. Am Schwanzriemen seines Sattels — eines alten Kavalleriesattels, der in längstvergessenen Uebungszeiten Dienst gethan hatte — war ein cylinderförmiger Mantelsack von Kuhleder aufgeschnallt, der etwas Wäsche zum Wechseln, ein paar Toilette-Gegenstände, eine Mütze von vulkanisirtem Tuch für regnerische Tage und den ersten Band des „Irdischen Paradieses" enthielt. Die beiden kriegerischen Halftern vorn, in denen Oberst Eliphalet Bangs ein Paar Pistolen mit Feuerschlössern, die jetzt im historischen Museum zu Rivermouth ruhen, mit sich zu führen pflegte, wurden die Be¬ hälter für eine schmächtige Flasche mit Cognac auf der einen und für eine Bologneser-Wurst auf der andern Seite; denn der junge Lynde war entschlossen, sein Leben theuer zu verkaufen, wenn er durch einen Reisezufall mit dem Hunger Mann an Mann zu kämpfen genöthigt werden sollte. Ein breitran¬ diger Panamahut, ein Anzug von matrosenblanem Flanell und ein Paar Reit¬ stiefeln vervollständigten seine Ausrüstung. An einem Riemen hatte er sich einen Feldstecher in einer Lederkapsel über die Schulter gehangen, und in der Brusttasche seiner Blouse trug er eiuen kleinen Kompaß, der ihm auf seiner Reise gerade nach Norden hinauf zum Führer dienen sollte. Die Tracht des jungen Mannes paßte sehr gut zu seinem offenherzigen feinen Gesichte und seinen dreiundzwanzig Jahren. Ein inattgoldner Schnurrbart, der an den Enden spitz gedreht war und sich rechts und links in gleicher Höhe ausbreitete, wie die Flügel einer Schwalbe, gab ihm ein etwas militärisches Wesen; auch im Blicke seiner klaren grauen Angen, die bis jetzt noch nicht dnrch zu viel in die Welt Sehen trübe geworden waren, lag ein martialisches Geradedranflosgehen. Es konnte keine bessere Figur für den Sattel geben, als die Figur Lynde's, der ein wenig über die Durchschuittsgröße, gerade wie eine Pappel und weder zu spärlich noch zu schwerfällig gewachsen war. Dann und wenn, wenn er ein Farmhaus passirte, hielt ein junges Mädchen, welches im Vorderhofe Wäsche aufhing, — denn es war Montag — mit einem unförmigen leinenen Schneeballen in der Hand inne, um sich neugierig die Erscheinung eines stattlichen jungen Herrn zu betrachten, der vorüberritt. Oft geschah es, daß sie, wenn er vorbei war, sich verstohlen nach dem rothen Pförtchen in der stechtenbewachfenen Steinmauer schlich und ihm mit ihren von der Hand be¬ schatteten Augen die einsame Straße hinab folgte, und häufig begab sich's, daß er über seine Schulter zurückblickte auf die uußbraune Maid, deren dichtan¬ liegende dürftige Bekleidung ihr eine bildsäulenartige Anmuth verlieh, welche dadurch, daß sie nichts davon wußte, noch reizender wurde. Dieses Aufblitzen leiser Anerkennung zwischen Jngend und Jngend — diese plötzlichen stummen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/343>, abgerufen am 29.06.2024.