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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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sich nun auf eiuen Brief im Monat, den Edward absendete und stets telegra¬
phisch beantwortet erhielt mit der Zeile: "Dein Werthes erhalten. Gott segne
Dich, Edward." Die Erklärung dieser seltsamen Art der Beantwortung gab
Flemming: Tante Violen hatte dem alten Herrn das feierliche Versprechen
abgepreßt, nicht an seinen Neffen zu schreiben.

Zu Beginn unserer Erzählung, Monat Juni 1872, hat nun Edward
Lynde einen dreiwöchentlicher Urlaub zu einer Erholungsreise erhalten. Er
macht den Ausflug zu Pferde nach dem nördlichen Theil des Staates New-
hampshire. Seine Rosinante heißt Mary und gehört dem uns aus Prudeuce
Palfrey schon bekannten kinderreichen Diakon Twombley in Rivermouth. Das
Pferd besitzt einige berechtigte Eigenthümlichkeiten, welche dem Helden keine
allzu weite Reise in Aussicht stellen "Die Stute Mary war von gelber Farbe
und mit einem Haar bekleidet, das an einen der zottigen Koffer unsrer Vor¬
väter erinnerte, und besaß einen plebejischen Kopf und eine geheimnißvolle
Entwickelung der Muskeln an den Hinterbeinen." Nach einem Ritte von zwei
Meilen (also noch nicht fünfzig Minuten vom Städtchen) "hielt Mary plötzlich
an und begann überlegt und systematisch, wie nach langsamer Musik in einer
Kunstreiterbude zurückzutreten. Indem Lynde sich von der Ueberraschung durch
das plötzliche Anhalten, das ihm ganz unvermuthet gekommen war, erholte
faßte er die schlaff herabhängenden Zügel fest in die Hand und drückte der
Stute die Sporen in die Flanken, aber mit keinem andern Erfolg, als daß er
die Rückwärtsbewegung ein wenig beschleunigte." Als Alles nichts hilft, beweist
der junge Mann, daß er Anlagen zum Diplomaten besitzt. Er läßt die Stute
ganze Wendung machen, so daß sie ihr Gesicht Rivermouth zukehrt und nun
geht sie rückwärts in der Richtung, in welcher Lynde reiten will. Dieser un¬
ausrottbare Hang zum Rückwärtsgehen ergreift die Stute nach gewissen Unter¬
brechungen immer wieder einmal, hält aber nur von fünf bis fünfzehn Minuten,
so daß der junge Lynde nicht gezwungen ist "den Sattel in anderer Richtung
aufzuschnallen", sondern die eigenthümliche Gangart nur als angenehme Ab¬
wechslung empfindet, zumal er bald feststellte, daß das Maximum der Schnel¬
ligkeit Mary's fünf englische Meilen in der Stunde war.

Die Reise des jungen, naiven und mit einer tüchtigen Dosis Humor
ausgestatteten Mannes ist sehr anziehend geschildert. In den ersten Tagen
passirt absolut nichts, was ein anderer Schriftsteller vielleicht der Erwähnung
werth fände. Aber das freudige Staunen, mit welchem Edward Lynde jedes
Wolkenbild, jedes frische Gesicht, das ihm auf seinem Ritt über Laud begegnet,
jeden Flecken, den er berührt, begrüßt, zeichnet uns besser als irgend etwas den
weltfremden, kindlichen Sinn des Helden. "Der entzückendste Zug von Lynde's
Plan war, daß es eben gar kein Plan war. Er war einfach in das rosige


sich nun auf eiuen Brief im Monat, den Edward absendete und stets telegra¬
phisch beantwortet erhielt mit der Zeile: „Dein Werthes erhalten. Gott segne
Dich, Edward." Die Erklärung dieser seltsamen Art der Beantwortung gab
Flemming: Tante Violen hatte dem alten Herrn das feierliche Versprechen
abgepreßt, nicht an seinen Neffen zu schreiben.

Zu Beginn unserer Erzählung, Monat Juni 1872, hat nun Edward
Lynde einen dreiwöchentlicher Urlaub zu einer Erholungsreise erhalten. Er
macht den Ausflug zu Pferde nach dem nördlichen Theil des Staates New-
hampshire. Seine Rosinante heißt Mary und gehört dem uns aus Prudeuce
Palfrey schon bekannten kinderreichen Diakon Twombley in Rivermouth. Das
Pferd besitzt einige berechtigte Eigenthümlichkeiten, welche dem Helden keine
allzu weite Reise in Aussicht stellen „Die Stute Mary war von gelber Farbe
und mit einem Haar bekleidet, das an einen der zottigen Koffer unsrer Vor¬
väter erinnerte, und besaß einen plebejischen Kopf und eine geheimnißvolle
Entwickelung der Muskeln an den Hinterbeinen." Nach einem Ritte von zwei
Meilen (also noch nicht fünfzig Minuten vom Städtchen) „hielt Mary plötzlich
an und begann überlegt und systematisch, wie nach langsamer Musik in einer
Kunstreiterbude zurückzutreten. Indem Lynde sich von der Ueberraschung durch
das plötzliche Anhalten, das ihm ganz unvermuthet gekommen war, erholte
faßte er die schlaff herabhängenden Zügel fest in die Hand und drückte der
Stute die Sporen in die Flanken, aber mit keinem andern Erfolg, als daß er
die Rückwärtsbewegung ein wenig beschleunigte." Als Alles nichts hilft, beweist
der junge Mann, daß er Anlagen zum Diplomaten besitzt. Er läßt die Stute
ganze Wendung machen, so daß sie ihr Gesicht Rivermouth zukehrt und nun
geht sie rückwärts in der Richtung, in welcher Lynde reiten will. Dieser un¬
ausrottbare Hang zum Rückwärtsgehen ergreift die Stute nach gewissen Unter¬
brechungen immer wieder einmal, hält aber nur von fünf bis fünfzehn Minuten,
so daß der junge Lynde nicht gezwungen ist „den Sattel in anderer Richtung
aufzuschnallen", sondern die eigenthümliche Gangart nur als angenehme Ab¬
wechslung empfindet, zumal er bald feststellte, daß das Maximum der Schnel¬
ligkeit Mary's fünf englische Meilen in der Stunde war.

Die Reise des jungen, naiven und mit einer tüchtigen Dosis Humor
ausgestatteten Mannes ist sehr anziehend geschildert. In den ersten Tagen
passirt absolut nichts, was ein anderer Schriftsteller vielleicht der Erwähnung
werth fände. Aber das freudige Staunen, mit welchem Edward Lynde jedes
Wolkenbild, jedes frische Gesicht, das ihm auf seinem Ritt über Laud begegnet,
jeden Flecken, den er berührt, begrüßt, zeichnet uns besser als irgend etwas den
weltfremden, kindlichen Sinn des Helden. „Der entzückendste Zug von Lynde's
Plan war, daß es eben gar kein Plan war. Er war einfach in das rosige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/342>, abgerufen am 26.06.2024.