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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Beim Angriffe auf eine Burg verlor er durch einen Pfeilschuß das eine
Auge, das er noch hatte; allem seine Blindheit hinderte ihn nicht, das Kom¬
mando über seine Leute zu behalten. Im Jahre 1423 brach auch ein Zwie¬
spalt zwischen ihm und den Utraquisten aus. Die letztern hatten einen pol¬
nischen Prinzen Coribert zum Könige von Böhmen machen Wollen. Ziska
wollte diesen König nicht anerkennen und antwortete den Utraqnisten auf die
Frage, was er gegen die Wahl des Coribert zum Könige habe: Ein freies
Volk braucht überhaupt telum König. Die Utraqnisten, längst erbittert über
die Eigenmächtigkeit Ziskas, griffen gegen ihn zu den Waffen und belagerten
ihn in Tabor, als er die Hauptmacht seiner Anhänger unter Prokop, einem
Mönche, den er zum Feldherrn ausgebildet hatte, und der den Beinamen
Prokop des Großen führte, nach Mähren geschickt hatte. Ziska gerieth in große
Vedrängniß, doch zur rechten Zeit kam Prokop aus Mähren herbei und ent¬
setzte ihn.

Bald darauf kam es bei Prag zu einer Schlacht, in der Ziska die Utra¬
qnisten besiegte. Sofort nach Beendigung dieses Kampfes befahl er, die
Truppen zu scunmelu, sie nach Prag zu führen nud diese Stadt zu stürmen.
Sein Uuterfeldherr, der schon genannte Prokop, stellte ihm vor, daß Prag, im
Falle es mit Sturm genommen würde, wahrscheinlich zu Grunde gehen würde,
denn die Taboriten waren gewohnt, in Burgen oder Städten, die sie erstürmten,
alle waffenfähige Mannschaft niederzuhauen, und was sie fanden, als Beute
zu betrachten; sie würden es in Prag gewiß nicht anders gemacht haben. Ziska
wiederholte seinen Befehl. Prokop theilte ihn darauf den Unterbefehlshabern
mit, eröffnete ihnen zugleich aber auch, welche Bedenken er gegen die Ausfüb/
rung dieses Befehls habe. Die sämmtlichen Unterbefehlshaber theilten die
Ansicht Prokops und verweigerten daher dem Ziska den Gehorsam. Dieser
hielt darauf an diese Führer der Taboriten folgende Rede:

"Liebe Brüder" -- (denn die Taboriten nannten sich untereinander
Brüder, 'ganz wie jetzt noch die Herrnhuter thun), ihr wollt mir nicht länger
gehorchen, ich lege daher mein Kommando nieder; wählt euch einen andern
Feldherrn , statt meiner! So lange ich euch geführt habe, sind wir immer
Sieger gewesen; wohin wir zogen, sind wir mit Ruhm und Beute zurückgekehrt.
Mein Kommando hat nun aufgehört, ich will euch aber noch die Gründe sagen,
weshalb ich Prag habe stürmen lassen wollen. Ihr glaubt^, daß ich jene
Männer in Prag hasse; das ist aber nicht der Fall, weshalb sollte ich sie
auch hassen? Ihr glaubt doch nicht, daß jene Männer die Waffen ergriffen
haben, um mich umzubringen, mich, einen alten blinden Mann, der doch nur
noch wenige Monate zu leben hat! Nein, fo thöricht sind jene Männer nicht;
nicht um meinetwillen haben sie die Waffen ergriffen, sondern um euretwegen.


Beim Angriffe auf eine Burg verlor er durch einen Pfeilschuß das eine
Auge, das er noch hatte; allem seine Blindheit hinderte ihn nicht, das Kom¬
mando über seine Leute zu behalten. Im Jahre 1423 brach auch ein Zwie¬
spalt zwischen ihm und den Utraquisten aus. Die letztern hatten einen pol¬
nischen Prinzen Coribert zum Könige von Böhmen machen Wollen. Ziska
wollte diesen König nicht anerkennen und antwortete den Utraqnisten auf die
Frage, was er gegen die Wahl des Coribert zum Könige habe: Ein freies
Volk braucht überhaupt telum König. Die Utraqnisten, längst erbittert über
die Eigenmächtigkeit Ziskas, griffen gegen ihn zu den Waffen und belagerten
ihn in Tabor, als er die Hauptmacht seiner Anhänger unter Prokop, einem
Mönche, den er zum Feldherrn ausgebildet hatte, und der den Beinamen
Prokop des Großen führte, nach Mähren geschickt hatte. Ziska gerieth in große
Vedrängniß, doch zur rechten Zeit kam Prokop aus Mähren herbei und ent¬
setzte ihn.

Bald darauf kam es bei Prag zu einer Schlacht, in der Ziska die Utra¬
qnisten besiegte. Sofort nach Beendigung dieses Kampfes befahl er, die
Truppen zu scunmelu, sie nach Prag zu führen nud diese Stadt zu stürmen.
Sein Uuterfeldherr, der schon genannte Prokop, stellte ihm vor, daß Prag, im
Falle es mit Sturm genommen würde, wahrscheinlich zu Grunde gehen würde,
denn die Taboriten waren gewohnt, in Burgen oder Städten, die sie erstürmten,
alle waffenfähige Mannschaft niederzuhauen, und was sie fanden, als Beute
zu betrachten; sie würden es in Prag gewiß nicht anders gemacht haben. Ziska
wiederholte seinen Befehl. Prokop theilte ihn darauf den Unterbefehlshabern
mit, eröffnete ihnen zugleich aber auch, welche Bedenken er gegen die Ausfüb/
rung dieses Befehls habe. Die sämmtlichen Unterbefehlshaber theilten die
Ansicht Prokops und verweigerten daher dem Ziska den Gehorsam. Dieser
hielt darauf an diese Führer der Taboriten folgende Rede:

„Liebe Brüder" — (denn die Taboriten nannten sich untereinander
Brüder, 'ganz wie jetzt noch die Herrnhuter thun), ihr wollt mir nicht länger
gehorchen, ich lege daher mein Kommando nieder; wählt euch einen andern
Feldherrn , statt meiner! So lange ich euch geführt habe, sind wir immer
Sieger gewesen; wohin wir zogen, sind wir mit Ruhm und Beute zurückgekehrt.
Mein Kommando hat nun aufgehört, ich will euch aber noch die Gründe sagen,
weshalb ich Prag habe stürmen lassen wollen. Ihr glaubt^, daß ich jene
Männer in Prag hasse; das ist aber nicht der Fall, weshalb sollte ich sie
auch hassen? Ihr glaubt doch nicht, daß jene Männer die Waffen ergriffen
haben, um mich umzubringen, mich, einen alten blinden Mann, der doch nur
noch wenige Monate zu leben hat! Nein, fo thöricht sind jene Männer nicht;
nicht um meinetwillen haben sie die Waffen ergriffen, sondern um euretwegen.


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[0334] Beim Angriffe auf eine Burg verlor er durch einen Pfeilschuß das eine Auge, das er noch hatte; allem seine Blindheit hinderte ihn nicht, das Kom¬ mando über seine Leute zu behalten. Im Jahre 1423 brach auch ein Zwie¬ spalt zwischen ihm und den Utraquisten aus. Die letztern hatten einen pol¬ nischen Prinzen Coribert zum Könige von Böhmen machen Wollen. Ziska wollte diesen König nicht anerkennen und antwortete den Utraqnisten auf die Frage, was er gegen die Wahl des Coribert zum Könige habe: Ein freies Volk braucht überhaupt telum König. Die Utraqnisten, längst erbittert über die Eigenmächtigkeit Ziskas, griffen gegen ihn zu den Waffen und belagerten ihn in Tabor, als er die Hauptmacht seiner Anhänger unter Prokop, einem Mönche, den er zum Feldherrn ausgebildet hatte, und der den Beinamen Prokop des Großen führte, nach Mähren geschickt hatte. Ziska gerieth in große Vedrängniß, doch zur rechten Zeit kam Prokop aus Mähren herbei und ent¬ setzte ihn. Bald darauf kam es bei Prag zu einer Schlacht, in der Ziska die Utra¬ qnisten besiegte. Sofort nach Beendigung dieses Kampfes befahl er, die Truppen zu scunmelu, sie nach Prag zu führen nud diese Stadt zu stürmen. Sein Uuterfeldherr, der schon genannte Prokop, stellte ihm vor, daß Prag, im Falle es mit Sturm genommen würde, wahrscheinlich zu Grunde gehen würde, denn die Taboriten waren gewohnt, in Burgen oder Städten, die sie erstürmten, alle waffenfähige Mannschaft niederzuhauen, und was sie fanden, als Beute zu betrachten; sie würden es in Prag gewiß nicht anders gemacht haben. Ziska wiederholte seinen Befehl. Prokop theilte ihn darauf den Unterbefehlshabern mit, eröffnete ihnen zugleich aber auch, welche Bedenken er gegen die Ausfüb/ rung dieses Befehls habe. Die sämmtlichen Unterbefehlshaber theilten die Ansicht Prokops und verweigerten daher dem Ziska den Gehorsam. Dieser hielt darauf an diese Führer der Taboriten folgende Rede: „Liebe Brüder" — (denn die Taboriten nannten sich untereinander Brüder, 'ganz wie jetzt noch die Herrnhuter thun), ihr wollt mir nicht länger gehorchen, ich lege daher mein Kommando nieder; wählt euch einen andern Feldherrn , statt meiner! So lange ich euch geführt habe, sind wir immer Sieger gewesen; wohin wir zogen, sind wir mit Ruhm und Beute zurückgekehrt. Mein Kommando hat nun aufgehört, ich will euch aber noch die Gründe sagen, weshalb ich Prag habe stürmen lassen wollen. Ihr glaubt^, daß ich jene Männer in Prag hasse; das ist aber nicht der Fall, weshalb sollte ich sie auch hassen? Ihr glaubt doch nicht, daß jene Männer die Waffen ergriffen haben, um mich umzubringen, mich, einen alten blinden Mann, der doch nur noch wenige Monate zu leben hat! Nein, fo thöricht sind jene Männer nicht; nicht um meinetwillen haben sie die Waffen ergriffen, sondern um euretwegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/334>, abgerufen am 25.08.2024.