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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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rühmten Wallenstein, der im dreißigjährigen Kriege eine so große Rolle
spielte.

Sigismund schickte einen Theil seines Heeres gegen Tabor, mit seiner
Hauptmacht wandte er sich nach Prag. Ziska ging von Tabor aus mit seinen
Anhängern, deren Zahl wenige Tausende betrug, den gegen Tabor gesandten
Truppen des Kaisers entgegen, schlug sie und kam dann mit seiner Heerschciar
der Stadt Prag zu Hülfe. Er schlug sein Lager vor dieser Stadt ans einem
Hügel auf, der uoch jetzt den Namen des Ziska-Bergs führt. Der Kaiser ließ ihn
dort durch die besten seiner Truppen angreifen, aber Ziska ging den Angreifern
bis zum Fuße des Hügels entgegen und jagte sie mit großem Verluste in die
Flucht. Als Ursache dieses Sieges der Taboriten sowie ihrer zahlreichen spä-
tern Siege, die sie oft über weit zahlreichere Feinde erfochten, wird angegeben
einmal die Begeisterung, von der sie beseelt waren, da sie glaubten, für den
wahren Glauben und zugleich sür ihre eigne Freiheit zu kämpfen, und sodann
der Umstand, daß Ziska nnter ihnen eine eigenthümliche strenge Taktik einge¬
führt hatte, namentlich gleichmäßiges Vorgehn der Krieger in genauester Ord¬
nung, eine Taktik, die mehr mit der Kriegsordnnng der alten Römer oder
unserer neuern Armeen als mit der militärischen Gewohnheit des Mittelalters
übereinstimmt.

Nach jenem vergeblichen Angriffe auf Ziska's Stellung ließ sich der Kaiser
auf Unterhandlungen mit den Hussiten ein. Sie versprachen Unterwerfung,
wenn ihnen vier Forderungen bewilligt würden; diese Forderungen, welche auch
bei den späteren Friedens-Verhandlungen mit den Hussiten immer wieder auf¬
tauchen, warm folgende: l) das Wort Gottes sollte von den Predigern der
Hussiten in böhmischer Sprache frei und ungehindert in Böhmen und Mähren
"^predigt werden dürfen. 2) Die Prediger sollten das Abendmahl uuter bei¬
derlei Gestalt austheilen dürfen. 3) Die Geistlichkeit sollte keine Grundstücke
besitzen und keine obrigkeitliche Gewalt ausüben; 4) alle Verbrechen und Laster
auch der Geistlichen sollten von der weltlichen Obrigkeit bestraft werden.

Sigismund verweigerte die Bewilligung dieser Forderungen. Er mußte
die Belagerung von Prag aufgeben und sich aus Böhmen zurückziehen. Wie¬
derholte abermalige Angriffe, die hiernüchst in den folgenden Jahren von
dentschen und ungarischen Heeren auf die Hussiten gemacht wurden, wurden
von Ziska siegreich zurückgeschlagen. Während dessen ruhten aber auch die
inneren Kämpfe der Hussiten nicht. Ziska griff eine Anzahl Burgen und
Städte der Katholiken an, von denen aus die Taboriten belästigt wurden,
und eroberte sie. Auch besiegte und unterdrückte er die Sekte der Adamiter,
welche sich von den Taboriten trennen wollte und durch ihre Ausschweifungen
an die z,l Luthers Zeit auftauchenden Wiedertäufer von Münster erinnert.


Grenzl'oder IV. 1"77. 42

rühmten Wallenstein, der im dreißigjährigen Kriege eine so große Rolle
spielte.

Sigismund schickte einen Theil seines Heeres gegen Tabor, mit seiner
Hauptmacht wandte er sich nach Prag. Ziska ging von Tabor aus mit seinen
Anhängern, deren Zahl wenige Tausende betrug, den gegen Tabor gesandten
Truppen des Kaisers entgegen, schlug sie und kam dann mit seiner Heerschciar
der Stadt Prag zu Hülfe. Er schlug sein Lager vor dieser Stadt ans einem
Hügel auf, der uoch jetzt den Namen des Ziska-Bergs führt. Der Kaiser ließ ihn
dort durch die besten seiner Truppen angreifen, aber Ziska ging den Angreifern
bis zum Fuße des Hügels entgegen und jagte sie mit großem Verluste in die
Flucht. Als Ursache dieses Sieges der Taboriten sowie ihrer zahlreichen spä-
tern Siege, die sie oft über weit zahlreichere Feinde erfochten, wird angegeben
einmal die Begeisterung, von der sie beseelt waren, da sie glaubten, für den
wahren Glauben und zugleich sür ihre eigne Freiheit zu kämpfen, und sodann
der Umstand, daß Ziska nnter ihnen eine eigenthümliche strenge Taktik einge¬
führt hatte, namentlich gleichmäßiges Vorgehn der Krieger in genauester Ord¬
nung, eine Taktik, die mehr mit der Kriegsordnnng der alten Römer oder
unserer neuern Armeen als mit der militärischen Gewohnheit des Mittelalters
übereinstimmt.

Nach jenem vergeblichen Angriffe auf Ziska's Stellung ließ sich der Kaiser
auf Unterhandlungen mit den Hussiten ein. Sie versprachen Unterwerfung,
wenn ihnen vier Forderungen bewilligt würden; diese Forderungen, welche auch
bei den späteren Friedens-Verhandlungen mit den Hussiten immer wieder auf¬
tauchen, warm folgende: l) das Wort Gottes sollte von den Predigern der
Hussiten in böhmischer Sprache frei und ungehindert in Böhmen und Mähren
»^predigt werden dürfen. 2) Die Prediger sollten das Abendmahl uuter bei¬
derlei Gestalt austheilen dürfen. 3) Die Geistlichkeit sollte keine Grundstücke
besitzen und keine obrigkeitliche Gewalt ausüben; 4) alle Verbrechen und Laster
auch der Geistlichen sollten von der weltlichen Obrigkeit bestraft werden.

Sigismund verweigerte die Bewilligung dieser Forderungen. Er mußte
die Belagerung von Prag aufgeben und sich aus Böhmen zurückziehen. Wie¬
derholte abermalige Angriffe, die hiernüchst in den folgenden Jahren von
dentschen und ungarischen Heeren auf die Hussiten gemacht wurden, wurden
von Ziska siegreich zurückgeschlagen. Während dessen ruhten aber auch die
inneren Kämpfe der Hussiten nicht. Ziska griff eine Anzahl Burgen und
Städte der Katholiken an, von denen aus die Taboriten belästigt wurden,
und eroberte sie. Auch besiegte und unterdrückte er die Sekte der Adamiter,
welche sich von den Taboriten trennen wollte und durch ihre Ausschweifungen
an die z,l Luthers Zeit auftauchenden Wiedertäufer von Münster erinnert.


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[0333] rühmten Wallenstein, der im dreißigjährigen Kriege eine so große Rolle spielte. Sigismund schickte einen Theil seines Heeres gegen Tabor, mit seiner Hauptmacht wandte er sich nach Prag. Ziska ging von Tabor aus mit seinen Anhängern, deren Zahl wenige Tausende betrug, den gegen Tabor gesandten Truppen des Kaisers entgegen, schlug sie und kam dann mit seiner Heerschciar der Stadt Prag zu Hülfe. Er schlug sein Lager vor dieser Stadt ans einem Hügel auf, der uoch jetzt den Namen des Ziska-Bergs führt. Der Kaiser ließ ihn dort durch die besten seiner Truppen angreifen, aber Ziska ging den Angreifern bis zum Fuße des Hügels entgegen und jagte sie mit großem Verluste in die Flucht. Als Ursache dieses Sieges der Taboriten sowie ihrer zahlreichen spä- tern Siege, die sie oft über weit zahlreichere Feinde erfochten, wird angegeben einmal die Begeisterung, von der sie beseelt waren, da sie glaubten, für den wahren Glauben und zugleich sür ihre eigne Freiheit zu kämpfen, und sodann der Umstand, daß Ziska nnter ihnen eine eigenthümliche strenge Taktik einge¬ führt hatte, namentlich gleichmäßiges Vorgehn der Krieger in genauester Ord¬ nung, eine Taktik, die mehr mit der Kriegsordnnng der alten Römer oder unserer neuern Armeen als mit der militärischen Gewohnheit des Mittelalters übereinstimmt. Nach jenem vergeblichen Angriffe auf Ziska's Stellung ließ sich der Kaiser auf Unterhandlungen mit den Hussiten ein. Sie versprachen Unterwerfung, wenn ihnen vier Forderungen bewilligt würden; diese Forderungen, welche auch bei den späteren Friedens-Verhandlungen mit den Hussiten immer wieder auf¬ tauchen, warm folgende: l) das Wort Gottes sollte von den Predigern der Hussiten in böhmischer Sprache frei und ungehindert in Böhmen und Mähren »^predigt werden dürfen. 2) Die Prediger sollten das Abendmahl uuter bei¬ derlei Gestalt austheilen dürfen. 3) Die Geistlichkeit sollte keine Grundstücke besitzen und keine obrigkeitliche Gewalt ausüben; 4) alle Verbrechen und Laster auch der Geistlichen sollten von der weltlichen Obrigkeit bestraft werden. Sigismund verweigerte die Bewilligung dieser Forderungen. Er mußte die Belagerung von Prag aufgeben und sich aus Böhmen zurückziehen. Wie¬ derholte abermalige Angriffe, die hiernüchst in den folgenden Jahren von dentschen und ungarischen Heeren auf die Hussiten gemacht wurden, wurden von Ziska siegreich zurückgeschlagen. Während dessen ruhten aber auch die inneren Kämpfe der Hussiten nicht. Ziska griff eine Anzahl Burgen und Städte der Katholiken an, von denen aus die Taboriten belästigt wurden, und eroberte sie. Auch besiegte und unterdrückte er die Sekte der Adamiter, welche sich von den Taboriten trennen wollte und durch ihre Ausschweifungen an die z,l Luthers Zeit auftauchenden Wiedertäufer von Münster erinnert. Grenzl'oder IV. 1»77. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/333>, abgerufen am 25.08.2024.