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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Euer Blut ist es, nach dein sie getrachtet haben und nach dem sie noch jetzt
trachten, denn eure Freiheit ist ihnen in den Tod verhaßt. -- Ihr sagt mir:
das sind Böhmen, Tschechen, wie wir; sie haben uns zur Stelle gestanden, als
der Kaiser mit den Deutschen uns angriff. Sie werden uns vielleicht wieder
beistehn, wenn wir wieder angegriffen werden. Liebe Brüder, ich dachte, aus
unsern bisherigen Kämpfen hättet ihr das wenigstens gelernt, daß in Zeiten
der Gefahr beim Angriffe eines übermächtigen Feindes eine kleine Schaar, die
unter sich ganz einig ist, mehr ausrichten kann, als eine größere Schaar, unter
der keiner dem andern traut. Ich fürchte nicht den Kaiser, auch nicht die
Deutschen oder die Ungarn. Was ich fürchte, ist eure Zwietracht. Diese
wird ausbrechen, wenn ich todt bin; jene Männer in Prag werden eure
Zwietracht nähren; wenn ihr dann in Folge eurer inneren Streitigkeiten
dem Kaiser nicht mehr Widerstand leisten könnt und die Hülfe der Utraquisten
anruft, dann werdet ihr von ihnen verrathen werden; ihr werdet dann er¬
kennen, wer die Männer sind, für deren Leben ihr hente so besorgt seid; ihr
werdet dann, freilich zu spät, einsetzn, wie sehr ich heute Recht gehabt habe.
Das habe ich euch sagen wollen. Wühlt euch jetzt eiuen andern Feldherrn
statt meiner! Ich bin nicht mehr euer Feldherrr, doch will ich als euer
Freund und Rathgeber bei euch bleiben, wenn ihr mich bei euch behalten wollt."

Diese Rede Ziskas bewog die sämmtlichen Führer der Taboriten, daß sie
den Ziska baten, er möge das Kommando behalten, und daß sie ihm unbedingten
Gehorsam versprachen. Er übernahm das Kommando wieder und gab den
Trilppen Befehl auf Prag zu marschieren, aber während des Marsches überzeugte
er sich, welche traurigen Folgen die Einnahme Prags mit stürmender Hand
haben mußte; er ließ vor der Stadt angekommen, diese noch einmal zur Ueber¬
gabe auffordern. Prag unterwarf sich ohne Weiteres. Ziska nahm die Unter¬
werfung an und schonte das Leben seiner Feinde. Er war nun faktisch Herr
des größeren Theils von Böhmen. Wenige Monate nach dieser Unterwerfung
der Utraquisten wurde Ziska auf einem Feldzuge, den er nach Mähren machte,
von einer Krankheit ergriffen, der er erlag. Vor seinem Tode bat und beschwor
er die Führer der Taboriten, sie möchten nach seinem Tode einig bleiben und
Prokop den Großen, den er selbst zum Heerführer gebildet hatte, zum Feld¬
herrn wühlen. Ziska hatte einen Bruder Jaroslaw, der auch auf Seiten der
Taboriten focht. Daß er nicht diesen, sondern Prokop zum Feldherrn bestimmte,
kann wohl nur den Grund gehabt haben, weil er das Interesse seiner Partei
höher stellte, als die Rücksicht auf seine Familie. In das Zelt des sterbenden
Ziska kamen noch Gesandte! des Kaisers Sigismund mit Friedensvorschlägen.
Ziska hörte sie noch an, war aber schon zu schwach, ihnen Antwort zu geben.
Die Taboriten errichteten ihm ein für damalige Zeiten glänzendes Grabmal,


Euer Blut ist es, nach dein sie getrachtet haben und nach dem sie noch jetzt
trachten, denn eure Freiheit ist ihnen in den Tod verhaßt. — Ihr sagt mir:
das sind Böhmen, Tschechen, wie wir; sie haben uns zur Stelle gestanden, als
der Kaiser mit den Deutschen uns angriff. Sie werden uns vielleicht wieder
beistehn, wenn wir wieder angegriffen werden. Liebe Brüder, ich dachte, aus
unsern bisherigen Kämpfen hättet ihr das wenigstens gelernt, daß in Zeiten
der Gefahr beim Angriffe eines übermächtigen Feindes eine kleine Schaar, die
unter sich ganz einig ist, mehr ausrichten kann, als eine größere Schaar, unter
der keiner dem andern traut. Ich fürchte nicht den Kaiser, auch nicht die
Deutschen oder die Ungarn. Was ich fürchte, ist eure Zwietracht. Diese
wird ausbrechen, wenn ich todt bin; jene Männer in Prag werden eure
Zwietracht nähren; wenn ihr dann in Folge eurer inneren Streitigkeiten
dem Kaiser nicht mehr Widerstand leisten könnt und die Hülfe der Utraquisten
anruft, dann werdet ihr von ihnen verrathen werden; ihr werdet dann er¬
kennen, wer die Männer sind, für deren Leben ihr hente so besorgt seid; ihr
werdet dann, freilich zu spät, einsetzn, wie sehr ich heute Recht gehabt habe.
Das habe ich euch sagen wollen. Wühlt euch jetzt eiuen andern Feldherrn
statt meiner! Ich bin nicht mehr euer Feldherrr, doch will ich als euer
Freund und Rathgeber bei euch bleiben, wenn ihr mich bei euch behalten wollt."

Diese Rede Ziskas bewog die sämmtlichen Führer der Taboriten, daß sie
den Ziska baten, er möge das Kommando behalten, und daß sie ihm unbedingten
Gehorsam versprachen. Er übernahm das Kommando wieder und gab den
Trilppen Befehl auf Prag zu marschieren, aber während des Marsches überzeugte
er sich, welche traurigen Folgen die Einnahme Prags mit stürmender Hand
haben mußte; er ließ vor der Stadt angekommen, diese noch einmal zur Ueber¬
gabe auffordern. Prag unterwarf sich ohne Weiteres. Ziska nahm die Unter¬
werfung an und schonte das Leben seiner Feinde. Er war nun faktisch Herr
des größeren Theils von Böhmen. Wenige Monate nach dieser Unterwerfung
der Utraquisten wurde Ziska auf einem Feldzuge, den er nach Mähren machte,
von einer Krankheit ergriffen, der er erlag. Vor seinem Tode bat und beschwor
er die Führer der Taboriten, sie möchten nach seinem Tode einig bleiben und
Prokop den Großen, den er selbst zum Heerführer gebildet hatte, zum Feld¬
herrn wühlen. Ziska hatte einen Bruder Jaroslaw, der auch auf Seiten der
Taboriten focht. Daß er nicht diesen, sondern Prokop zum Feldherrn bestimmte,
kann wohl nur den Grund gehabt haben, weil er das Interesse seiner Partei
höher stellte, als die Rücksicht auf seine Familie. In das Zelt des sterbenden
Ziska kamen noch Gesandte! des Kaisers Sigismund mit Friedensvorschlägen.
Ziska hörte sie noch an, war aber schon zu schwach, ihnen Antwort zu geben.
Die Taboriten errichteten ihm ein für damalige Zeiten glänzendes Grabmal,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/335>, abgerufen am 25.08.2024.