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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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war es daher in Böhmen zu Kämpfen zwischen den Taboriten und der alt¬
gläubigen Partei gekommen; in diesen Kämpfen würden die Taboriten wahr¬
scheinlich in Folge ihres Mangels an Kriegskunde unterlegen sein, wenn sich
nicht zu ihnen ein erfahrener Krieger gesellt Hütte; es war der Jan Chwal
von Trvcnow, genannt Ziska, d. i. der Einäugige. Ziska war schon ein älterer
Mann, als er eine ehrenvolle Stelle im Hofhalte des Königs Wenzel aufgab,
um sich den Taboriten anzuschließen; er hatte mehr wissenschaftliche Bildung,
als damals beim Ritterstande gewöhnlich war, denu er hinterließ ein in
Böhmischer Sprache abgefaßtes Werk über die Kriegskunst; auch wird von
den Zeitgenossen neben seiner Tapferkeit seine Beredsamkeit erwähnt. Er übte
die Taboriten in den Waffen und führte eine strenge Disziplin unter ihnen
ein. Als Zufluchtsort bauten sie sich im südlichen Böhmen die Stadt Tabor,
von der die ganze Partei ihren Namen bekam.

Der Kampf zwischen ihnen und ihren Feinden nahm einen äußerst erbitterten,
zuweilen grausamen Charakter an. Die Katholiken behandelten von Anfang
an die Taboriten mit aller der Barbarei, mit der man im Mittelalter aufge¬
standene Leibeigene und Ketzer zu behandeln pflegte; die Taboriten vergalten
Gleiches mit Gleichem. Dazu kam aber, was namentlich für die spätere Zeit
des Hussiten-Krieges von viel größerer Bedeutung war, als der religiöse oder
soziale Partei-Haß, daß die Führer der Taboriten keinerlei Geldmittel hatten,
um ihre Heere zu ernähren, daß sie also gezwungen waren, durch Plünderung
und Brandschatzung den Unterhalt für ihre Heere herbeizuschaffen. Ziska und
die späteren Feldherrn der Taboriten waren in dieser Beziehung in einer
ähnlichen aber weit schlimmeren Lage, als Wallenstein während des dreißig¬
jährigen Krieges; denn Wallenstein hatte doch einige Mittel anßer Plünderung
und Brandschatzung, um seine Truppen zu ernähren, die Führer der Taboriten
aber hätten ohne Plünderungen ihre Truppen wohl kaum ein paar Monate
zusammen halten können. Die Nothwendigkeit der Ernährung des Heeres durch
Plünderung mußte aber im Hussiten-Kriege, wie später im dreißigjährigen
Kriege zu den traurigsten Folgen führen.

Wenden wir uns nun wieder zu den Ereignissen des Jahres 1420.
Der Kaiser Sigismund rückte von Breslau aus mit einem Heere, dessen Zahl
auf 100,000 Mann angegeben wird, in Böhmen ein. Schon in Breslau hatte
er einen hussitischen Priester, Johann Krache, der sich weigerte, die hussitische
Lehre zu verleugnen, lebendig verbrennen lassen; in ähnlicher Weise wüthete
er in allen Städten Böhmens, die er besetzte. Nur zwei böhmische Städte
rüsteten sich zum Widerstande, Prag und Tabor. Die Stadt Prag rief die
utraquistischen Edelleute zur Hülfe herbei; uur zwei von diesen wagten zu
kommen; davon war der eine Hinko von Waldstein, ein Vorfahre des be-


war es daher in Böhmen zu Kämpfen zwischen den Taboriten und der alt¬
gläubigen Partei gekommen; in diesen Kämpfen würden die Taboriten wahr¬
scheinlich in Folge ihres Mangels an Kriegskunde unterlegen sein, wenn sich
nicht zu ihnen ein erfahrener Krieger gesellt Hütte; es war der Jan Chwal
von Trvcnow, genannt Ziska, d. i. der Einäugige. Ziska war schon ein älterer
Mann, als er eine ehrenvolle Stelle im Hofhalte des Königs Wenzel aufgab,
um sich den Taboriten anzuschließen; er hatte mehr wissenschaftliche Bildung,
als damals beim Ritterstande gewöhnlich war, denu er hinterließ ein in
Böhmischer Sprache abgefaßtes Werk über die Kriegskunst; auch wird von
den Zeitgenossen neben seiner Tapferkeit seine Beredsamkeit erwähnt. Er übte
die Taboriten in den Waffen und führte eine strenge Disziplin unter ihnen
ein. Als Zufluchtsort bauten sie sich im südlichen Böhmen die Stadt Tabor,
von der die ganze Partei ihren Namen bekam.

Der Kampf zwischen ihnen und ihren Feinden nahm einen äußerst erbitterten,
zuweilen grausamen Charakter an. Die Katholiken behandelten von Anfang
an die Taboriten mit aller der Barbarei, mit der man im Mittelalter aufge¬
standene Leibeigene und Ketzer zu behandeln pflegte; die Taboriten vergalten
Gleiches mit Gleichem. Dazu kam aber, was namentlich für die spätere Zeit
des Hussiten-Krieges von viel größerer Bedeutung war, als der religiöse oder
soziale Partei-Haß, daß die Führer der Taboriten keinerlei Geldmittel hatten,
um ihre Heere zu ernähren, daß sie also gezwungen waren, durch Plünderung
und Brandschatzung den Unterhalt für ihre Heere herbeizuschaffen. Ziska und
die späteren Feldherrn der Taboriten waren in dieser Beziehung in einer
ähnlichen aber weit schlimmeren Lage, als Wallenstein während des dreißig¬
jährigen Krieges; denn Wallenstein hatte doch einige Mittel anßer Plünderung
und Brandschatzung, um seine Truppen zu ernähren, die Führer der Taboriten
aber hätten ohne Plünderungen ihre Truppen wohl kaum ein paar Monate
zusammen halten können. Die Nothwendigkeit der Ernährung des Heeres durch
Plünderung mußte aber im Hussiten-Kriege, wie später im dreißigjährigen
Kriege zu den traurigsten Folgen führen.

Wenden wir uns nun wieder zu den Ereignissen des Jahres 1420.
Der Kaiser Sigismund rückte von Breslau aus mit einem Heere, dessen Zahl
auf 100,000 Mann angegeben wird, in Böhmen ein. Schon in Breslau hatte
er einen hussitischen Priester, Johann Krache, der sich weigerte, die hussitische
Lehre zu verleugnen, lebendig verbrennen lassen; in ähnlicher Weise wüthete
er in allen Städten Böhmens, die er besetzte. Nur zwei böhmische Städte
rüsteten sich zum Widerstande, Prag und Tabor. Die Stadt Prag rief die
utraquistischen Edelleute zur Hülfe herbei; uur zwei von diesen wagten zu
kommen; davon war der eine Hinko von Waldstein, ein Vorfahre des be-


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[0332] war es daher in Böhmen zu Kämpfen zwischen den Taboriten und der alt¬ gläubigen Partei gekommen; in diesen Kämpfen würden die Taboriten wahr¬ scheinlich in Folge ihres Mangels an Kriegskunde unterlegen sein, wenn sich nicht zu ihnen ein erfahrener Krieger gesellt Hütte; es war der Jan Chwal von Trvcnow, genannt Ziska, d. i. der Einäugige. Ziska war schon ein älterer Mann, als er eine ehrenvolle Stelle im Hofhalte des Königs Wenzel aufgab, um sich den Taboriten anzuschließen; er hatte mehr wissenschaftliche Bildung, als damals beim Ritterstande gewöhnlich war, denu er hinterließ ein in Böhmischer Sprache abgefaßtes Werk über die Kriegskunst; auch wird von den Zeitgenossen neben seiner Tapferkeit seine Beredsamkeit erwähnt. Er übte die Taboriten in den Waffen und führte eine strenge Disziplin unter ihnen ein. Als Zufluchtsort bauten sie sich im südlichen Böhmen die Stadt Tabor, von der die ganze Partei ihren Namen bekam. Der Kampf zwischen ihnen und ihren Feinden nahm einen äußerst erbitterten, zuweilen grausamen Charakter an. Die Katholiken behandelten von Anfang an die Taboriten mit aller der Barbarei, mit der man im Mittelalter aufge¬ standene Leibeigene und Ketzer zu behandeln pflegte; die Taboriten vergalten Gleiches mit Gleichem. Dazu kam aber, was namentlich für die spätere Zeit des Hussiten-Krieges von viel größerer Bedeutung war, als der religiöse oder soziale Partei-Haß, daß die Führer der Taboriten keinerlei Geldmittel hatten, um ihre Heere zu ernähren, daß sie also gezwungen waren, durch Plünderung und Brandschatzung den Unterhalt für ihre Heere herbeizuschaffen. Ziska und die späteren Feldherrn der Taboriten waren in dieser Beziehung in einer ähnlichen aber weit schlimmeren Lage, als Wallenstein während des dreißig¬ jährigen Krieges; denn Wallenstein hatte doch einige Mittel anßer Plünderung und Brandschatzung, um seine Truppen zu ernähren, die Führer der Taboriten aber hätten ohne Plünderungen ihre Truppen wohl kaum ein paar Monate zusammen halten können. Die Nothwendigkeit der Ernährung des Heeres durch Plünderung mußte aber im Hussiten-Kriege, wie später im dreißigjährigen Kriege zu den traurigsten Folgen führen. Wenden wir uns nun wieder zu den Ereignissen des Jahres 1420. Der Kaiser Sigismund rückte von Breslau aus mit einem Heere, dessen Zahl auf 100,000 Mann angegeben wird, in Böhmen ein. Schon in Breslau hatte er einen hussitischen Priester, Johann Krache, der sich weigerte, die hussitische Lehre zu verleugnen, lebendig verbrennen lassen; in ähnlicher Weise wüthete er in allen Städten Böhmens, die er besetzte. Nur zwei böhmische Städte rüsteten sich zum Widerstande, Prag und Tabor. Die Stadt Prag rief die utraquistischen Edelleute zur Hülfe herbei; uur zwei von diesen wagten zu kommen; davon war der eine Hinko von Waldstein, ein Vorfahre des be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/332>, abgerufen am 24.08.2024.