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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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bare Schicksal der ersten Besteigen des Matterhvrus, von denen vier in die
grausige Tiefe stürzten und deren Tod der eitle, völlig bergnntüchtige mit ver¬
unglückte Hadvw, ans dein Gewissen hat -- wie man selbst aus dem schön¬
färbenden Bericht des überlebenden Mr. Whymper erkennt -- gemahnt jeden
Bergführer noch heute an höchste Vorsicht. "Der Ungeschickte, der wie ein
Betrüger in eine Gesellschaft gewiegter Gänger sich einschmuggelt, gefährdet
aufs Leichtfertigste, Gewissenloseste die ganze" -- mit dem Seil zu Gedeih
und Verderb zusammengebundene -- "Gesellschaft." So schließt Weilenmann
sein Urtheil ab.

Wenn Weilenmann einerseits in der oben zitirteu kräftigen Weise die
Unfähigen aümnhut, sich an die höchsten Proben der Kraft, Ausdauer und
Sicherheit zu wagen, die der geübte Bergsteiger sich stellen kann, so vermag
er dagegen andererseits wie kaum ein Anderer die Seele des Muthigen und
Tüchtigen mit dem wägenden Entschluß des Vollbringeus zu erfüllen. Es ist
eine berechtigte Eigenthümlichkeit des Schweizer Charakters, überall uur das
Wirkliche zu sehe". Keine Uebertreibung kommt dem Schweizer voll Schrot
und Korn über die Lippen. Die Schrecknisse, mit welchen oft frühere Be-
steiger hoher Alpenspitzen, nicht selten auch bedenkliche Führer, den Berg und
ihre Fahrt phantastisch umwoben, löst Weilenmann wo er nur kann, mit be¬
sonderem Behagen in ihr Nichts auf. Immer weist er mit Nachdruck darauf
hiu, wie viele früher für unüberwindlich gehaltene Gipfel nun in Mode ge¬
kommen sind nud selbst von Damen erreicht werden. Aber darum ist seine
Darstellung doch nichts weniger als blastrt. Bei jeder neuen Besteigung die
volle Begeisterung des ewig jugendfrischem Gemüthes, mit den steigenden Jcchreu
sogar eine immer innigere Versenkung in den Hochgenuß, den die erreichte
Spitze bietet, ein immer wehmüthigeres Zaudern in dem schmerzlichen Augen-
blick, wo der alternde Mann sich losreißen muß von der hehren Zinne über
der Welt, vielleicht zum letzte" Mal in seinem Leben ausschauend von dort
oben, um wieder hinabzusteigen in die gemeine Tiefe.

Die Kraft der Schilderung, die Vielseitigkeit der Beobachtung der ganzen
Szenerie, welche ein solcher königlicher Fernblick bietet, wird man bei wenig
anderen Schriftstellern in gleichem Maße finden. Unebenheiten der Sprache,
die ans Gewohnheiten des heimathlichen Dialektes stammen, eine seltsame
Häufung der Partizipalformen, zu Allem was gesagt werden soll zur Hand,
Wie auch bei dem Züricher Gottfried Keller, dann Worte, an deren spezifischen
Sinn oder Mißbrauch man sich erst Heralllesen muß -- so das Wort "eins-
Ulals" für plötzlich, das sehr häufig wiederkehrt -- thun der ergreifenden
Wahrheit und Größe der Schilderung wenig Eintrag. Es ist schwer, besouders
mächtige Stellen herauszuholen ans so vielen gleich anziehenden. Zitiren wir


bare Schicksal der ersten Besteigen des Matterhvrus, von denen vier in die
grausige Tiefe stürzten und deren Tod der eitle, völlig bergnntüchtige mit ver¬
unglückte Hadvw, ans dein Gewissen hat — wie man selbst aus dem schön¬
färbenden Bericht des überlebenden Mr. Whymper erkennt — gemahnt jeden
Bergführer noch heute an höchste Vorsicht. „Der Ungeschickte, der wie ein
Betrüger in eine Gesellschaft gewiegter Gänger sich einschmuggelt, gefährdet
aufs Leichtfertigste, Gewissenloseste die ganze" — mit dem Seil zu Gedeih
und Verderb zusammengebundene — „Gesellschaft." So schließt Weilenmann
sein Urtheil ab.

Wenn Weilenmann einerseits in der oben zitirteu kräftigen Weise die
Unfähigen aümnhut, sich an die höchsten Proben der Kraft, Ausdauer und
Sicherheit zu wagen, die der geübte Bergsteiger sich stellen kann, so vermag
er dagegen andererseits wie kaum ein Anderer die Seele des Muthigen und
Tüchtigen mit dem wägenden Entschluß des Vollbringeus zu erfüllen. Es ist
eine berechtigte Eigenthümlichkeit des Schweizer Charakters, überall uur das
Wirkliche zu sehe». Keine Uebertreibung kommt dem Schweizer voll Schrot
und Korn über die Lippen. Die Schrecknisse, mit welchen oft frühere Be-
steiger hoher Alpenspitzen, nicht selten auch bedenkliche Führer, den Berg und
ihre Fahrt phantastisch umwoben, löst Weilenmann wo er nur kann, mit be¬
sonderem Behagen in ihr Nichts auf. Immer weist er mit Nachdruck darauf
hiu, wie viele früher für unüberwindlich gehaltene Gipfel nun in Mode ge¬
kommen sind nud selbst von Damen erreicht werden. Aber darum ist seine
Darstellung doch nichts weniger als blastrt. Bei jeder neuen Besteigung die
volle Begeisterung des ewig jugendfrischem Gemüthes, mit den steigenden Jcchreu
sogar eine immer innigere Versenkung in den Hochgenuß, den die erreichte
Spitze bietet, ein immer wehmüthigeres Zaudern in dem schmerzlichen Augen-
blick, wo der alternde Mann sich losreißen muß von der hehren Zinne über
der Welt, vielleicht zum letzte» Mal in seinem Leben ausschauend von dort
oben, um wieder hinabzusteigen in die gemeine Tiefe.

Die Kraft der Schilderung, die Vielseitigkeit der Beobachtung der ganzen
Szenerie, welche ein solcher königlicher Fernblick bietet, wird man bei wenig
anderen Schriftstellern in gleichem Maße finden. Unebenheiten der Sprache,
die ans Gewohnheiten des heimathlichen Dialektes stammen, eine seltsame
Häufung der Partizipalformen, zu Allem was gesagt werden soll zur Hand,
Wie auch bei dem Züricher Gottfried Keller, dann Worte, an deren spezifischen
Sinn oder Mißbrauch man sich erst Heralllesen muß — so das Wort „eins-
Ulals" für plötzlich, das sehr häufig wiederkehrt — thun der ergreifenden
Wahrheit und Größe der Schilderung wenig Eintrag. Es ist schwer, besouders
mächtige Stellen herauszuholen ans so vielen gleich anziehenden. Zitiren wir


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[0313] bare Schicksal der ersten Besteigen des Matterhvrus, von denen vier in die grausige Tiefe stürzten und deren Tod der eitle, völlig bergnntüchtige mit ver¬ unglückte Hadvw, ans dein Gewissen hat — wie man selbst aus dem schön¬ färbenden Bericht des überlebenden Mr. Whymper erkennt — gemahnt jeden Bergführer noch heute an höchste Vorsicht. „Der Ungeschickte, der wie ein Betrüger in eine Gesellschaft gewiegter Gänger sich einschmuggelt, gefährdet aufs Leichtfertigste, Gewissenloseste die ganze" — mit dem Seil zu Gedeih und Verderb zusammengebundene — „Gesellschaft." So schließt Weilenmann sein Urtheil ab. Wenn Weilenmann einerseits in der oben zitirteu kräftigen Weise die Unfähigen aümnhut, sich an die höchsten Proben der Kraft, Ausdauer und Sicherheit zu wagen, die der geübte Bergsteiger sich stellen kann, so vermag er dagegen andererseits wie kaum ein Anderer die Seele des Muthigen und Tüchtigen mit dem wägenden Entschluß des Vollbringeus zu erfüllen. Es ist eine berechtigte Eigenthümlichkeit des Schweizer Charakters, überall uur das Wirkliche zu sehe». Keine Uebertreibung kommt dem Schweizer voll Schrot und Korn über die Lippen. Die Schrecknisse, mit welchen oft frühere Be- steiger hoher Alpenspitzen, nicht selten auch bedenkliche Führer, den Berg und ihre Fahrt phantastisch umwoben, löst Weilenmann wo er nur kann, mit be¬ sonderem Behagen in ihr Nichts auf. Immer weist er mit Nachdruck darauf hiu, wie viele früher für unüberwindlich gehaltene Gipfel nun in Mode ge¬ kommen sind nud selbst von Damen erreicht werden. Aber darum ist seine Darstellung doch nichts weniger als blastrt. Bei jeder neuen Besteigung die volle Begeisterung des ewig jugendfrischem Gemüthes, mit den steigenden Jcchreu sogar eine immer innigere Versenkung in den Hochgenuß, den die erreichte Spitze bietet, ein immer wehmüthigeres Zaudern in dem schmerzlichen Augen- blick, wo der alternde Mann sich losreißen muß von der hehren Zinne über der Welt, vielleicht zum letzte» Mal in seinem Leben ausschauend von dort oben, um wieder hinabzusteigen in die gemeine Tiefe. Die Kraft der Schilderung, die Vielseitigkeit der Beobachtung der ganzen Szenerie, welche ein solcher königlicher Fernblick bietet, wird man bei wenig anderen Schriftstellern in gleichem Maße finden. Unebenheiten der Sprache, die ans Gewohnheiten des heimathlichen Dialektes stammen, eine seltsame Häufung der Partizipalformen, zu Allem was gesagt werden soll zur Hand, Wie auch bei dem Züricher Gottfried Keller, dann Worte, an deren spezifischen Sinn oder Mißbrauch man sich erst Heralllesen muß — so das Wort „eins- Ulals" für plötzlich, das sehr häufig wiederkehrt — thun der ergreifenden Wahrheit und Größe der Schilderung wenig Eintrag. Es ist schwer, besouders mächtige Stellen herauszuholen ans so vielen gleich anziehenden. Zitiren wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/313>, abgerufen am 24.08.2024.