Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Des Franzosen Lebensgeister thauen wieder beim Wein, seine Zunge löst sich,
gelinde blciguirt er schon wieder. Von seinem Gebühren ist ihm kaum
die Ahnung geblieben, von seiner Zuneigung habe ich nichts eingebüßt.
Ja! -- kaum traue ich meinen Ohren: schon wieder bringt er für nächstes
Jahr die gemeinsame Besteigung des Weißdorn anf's Tnpet. Derselbe Mangel
an Selbsterkenntniß, dieselbe Unfähigkeit in Euch zu gehen, die im großen
Ganzen Euch kennzeichnet! dachte ich, mitleidig den Kopf schüttelnd. ,Mus i>on>'--
Moi IM?" erwiderte er -- worauf ich, so herausfordernd die Frage, voll Ueber-
drusses die Antwort schuldig blieb." Endlich: "Unten an den harmlosen Weid¬
hängen findet der Gallier seine ganze Kühnheit und Behendigkeit wieder. Er
hat's darauf abgesehen, hat seine kindliche Freude dran, seinen Gefährten, der sich
Zeit läßt auf dein Rückweg und bummelt, weit hinter sich zu lasse". Sie sei
ihm gegönnt! -- scheint es doch die einzige Befriedigung zu sein, die ihm die Fahrt
gelassen. Wer ihn so alert in Zermatt einrücke" sieht, den Andern im Nach¬
trab, der macht sich seine Gedanken. "steck's auf, Alter.... überlass' es deu
Jungen!" sagen sprechend die ihnen folgenden Blicke. Am folgenden Morgen sehen
wir den Franzosen in lebhaftem t,se<z-g>-t,so mit einem Engländer beim Frühstück-
Dieser, ein stehender Charakter des Ortes, der Einem ans Schritt und Tritt be¬
gegnet, zeichnet sich aus vor seinen wortkargen Landsleuten durch sein abvrdables
Wesen, dnrch seine geräuschvolle Beredsamkeit. Ju lautem Diskurs beherrschen
die Beiden den noch leeren Saal. Jeder will es dem Andern zuvorthun. Mit
imponirender Ruhe, mit unnachahmlichen Schick, der jeden Zweifel ausschließt,
läßt der Franzose -- ebeu bis zur Greuze, wo sie zu greifbar würde -- der
Blague die Zügel schießen, so daß ich ihm meine stille, von etwas Neid an¬
gehauchte Bewunderung nicht versagen kann. Ja, grollen möchte ich Mutter
Natur, daß sie mir die werthvolle Gabe vorenthalten. "Ein wahrer Schwere¬
nöther! .... der es verschmäht, sich ganz zu geben, zu zeigen, was in ihm
steckt!" -- den Eindruck macht auf arglose Ohren sein Auftreten, Ueber¬
glücklich sind die Beiden in der sich gefundenen Congenialität, eine hohe Mei¬
nung haben sie sich gegenseitiig beigebracht von ihrer Kühnheit! "Bagatelle
dies! .... nicht der Rede werth Jenes! ... für Leute wie wir!" - Gott
weiß, was für halsbrechende Passagen es sein müßten, bis sie Gefahr sähen,
zauberten. Furcht ist ihnen ein unbekannter Begriff.

Gewissenhafte Führer werden mit solchen Menschen freilich kaum eine
so lebensgefährliche Partie unternehmen. So hatte Kurbel im Jahre 1871,
als Weilenmann ihn brieflich anfragte, ob er mit dem berühmten Bergsteiger
das Matterhorn erklimmen wolle, nur ausweichend geantwortet. Ohne je mit
W. gegangen zu sein, ohne ihn zu kennen oder ihn uur gesehen zu haben,
durfte er als gewissenhafter Führer keine derartige Zusage geben. Das furcht-


Des Franzosen Lebensgeister thauen wieder beim Wein, seine Zunge löst sich,
gelinde blciguirt er schon wieder. Von seinem Gebühren ist ihm kaum
die Ahnung geblieben, von seiner Zuneigung habe ich nichts eingebüßt.
Ja! — kaum traue ich meinen Ohren: schon wieder bringt er für nächstes
Jahr die gemeinsame Besteigung des Weißdorn anf's Tnpet. Derselbe Mangel
an Selbsterkenntniß, dieselbe Unfähigkeit in Euch zu gehen, die im großen
Ganzen Euch kennzeichnet! dachte ich, mitleidig den Kopf schüttelnd. ,Mus i>on>'--
Moi IM?" erwiderte er — worauf ich, so herausfordernd die Frage, voll Ueber-
drusses die Antwort schuldig blieb." Endlich: „Unten an den harmlosen Weid¬
hängen findet der Gallier seine ganze Kühnheit und Behendigkeit wieder. Er
hat's darauf abgesehen, hat seine kindliche Freude dran, seinen Gefährten, der sich
Zeit läßt auf dein Rückweg und bummelt, weit hinter sich zu lasse». Sie sei
ihm gegönnt! — scheint es doch die einzige Befriedigung zu sein, die ihm die Fahrt
gelassen. Wer ihn so alert in Zermatt einrücke» sieht, den Andern im Nach¬
trab, der macht sich seine Gedanken. „steck's auf, Alter.... überlass' es deu
Jungen!" sagen sprechend die ihnen folgenden Blicke. Am folgenden Morgen sehen
wir den Franzosen in lebhaftem t,se<z-g>-t,so mit einem Engländer beim Frühstück-
Dieser, ein stehender Charakter des Ortes, der Einem ans Schritt und Tritt be¬
gegnet, zeichnet sich aus vor seinen wortkargen Landsleuten durch sein abvrdables
Wesen, dnrch seine geräuschvolle Beredsamkeit. Ju lautem Diskurs beherrschen
die Beiden den noch leeren Saal. Jeder will es dem Andern zuvorthun. Mit
imponirender Ruhe, mit unnachahmlichen Schick, der jeden Zweifel ausschließt,
läßt der Franzose — ebeu bis zur Greuze, wo sie zu greifbar würde — der
Blague die Zügel schießen, so daß ich ihm meine stille, von etwas Neid an¬
gehauchte Bewunderung nicht versagen kann. Ja, grollen möchte ich Mutter
Natur, daß sie mir die werthvolle Gabe vorenthalten. „Ein wahrer Schwere¬
nöther! .... der es verschmäht, sich ganz zu geben, zu zeigen, was in ihm
steckt!" — den Eindruck macht auf arglose Ohren sein Auftreten, Ueber¬
glücklich sind die Beiden in der sich gefundenen Congenialität, eine hohe Mei¬
nung haben sie sich gegenseitiig beigebracht von ihrer Kühnheit! „Bagatelle
dies! .... nicht der Rede werth Jenes! ... für Leute wie wir!" - Gott
weiß, was für halsbrechende Passagen es sein müßten, bis sie Gefahr sähen,
zauberten. Furcht ist ihnen ein unbekannter Begriff.

Gewissenhafte Führer werden mit solchen Menschen freilich kaum eine
so lebensgefährliche Partie unternehmen. So hatte Kurbel im Jahre 1871,
als Weilenmann ihn brieflich anfragte, ob er mit dem berühmten Bergsteiger
das Matterhorn erklimmen wolle, nur ausweichend geantwortet. Ohne je mit
W. gegangen zu sein, ohne ihn zu kennen oder ihn uur gesehen zu haben,
durfte er als gewissenhafter Führer keine derartige Zusage geben. Das furcht-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139071"/>
          <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915"> Des Franzosen Lebensgeister thauen wieder beim Wein, seine Zunge löst sich,<lb/>
gelinde blciguirt er schon wieder. Von seinem Gebühren ist ihm kaum<lb/>
die Ahnung geblieben, von seiner Zuneigung habe ich nichts eingebüßt.<lb/>
Ja! &#x2014; kaum traue ich meinen Ohren: schon wieder bringt er für nächstes<lb/>
Jahr die gemeinsame Besteigung des Weißdorn anf's Tnpet. Derselbe Mangel<lb/>
an Selbsterkenntniß, dieselbe Unfähigkeit in Euch zu gehen, die im großen<lb/>
Ganzen Euch kennzeichnet! dachte ich, mitleidig den Kopf schüttelnd. ,Mus i&gt;on&gt;'--<lb/>
Moi IM?" erwiderte er &#x2014; worauf ich, so herausfordernd die Frage, voll Ueber-<lb/>
drusses die Antwort schuldig blieb." Endlich: &#x201E;Unten an den harmlosen Weid¬<lb/>
hängen findet der Gallier seine ganze Kühnheit und Behendigkeit wieder. Er<lb/>
hat's darauf abgesehen, hat seine kindliche Freude dran, seinen Gefährten, der sich<lb/>
Zeit läßt auf dein Rückweg und bummelt, weit hinter sich zu lasse». Sie sei<lb/>
ihm gegönnt! &#x2014; scheint es doch die einzige Befriedigung zu sein, die ihm die Fahrt<lb/>
gelassen. Wer ihn so alert in Zermatt einrücke» sieht, den Andern im Nach¬<lb/>
trab, der macht sich seine Gedanken. &#x201E;steck's auf, Alter.... überlass' es deu<lb/>
Jungen!" sagen sprechend die ihnen folgenden Blicke. Am folgenden Morgen sehen<lb/>
wir den Franzosen in lebhaftem t,se&lt;z-g&gt;-t,so mit einem Engländer beim Frühstück-<lb/>
Dieser, ein stehender Charakter des Ortes, der Einem ans Schritt und Tritt be¬<lb/>
gegnet, zeichnet sich aus vor seinen wortkargen Landsleuten durch sein abvrdables<lb/>
Wesen, dnrch seine geräuschvolle Beredsamkeit. Ju lautem Diskurs beherrschen<lb/>
die Beiden den noch leeren Saal. Jeder will es dem Andern zuvorthun. Mit<lb/>
imponirender Ruhe, mit unnachahmlichen Schick, der jeden Zweifel ausschließt,<lb/>
läßt der Franzose &#x2014; ebeu bis zur Greuze, wo sie zu greifbar würde &#x2014; der<lb/>
Blague die Zügel schießen, so daß ich ihm meine stille, von etwas Neid an¬<lb/>
gehauchte Bewunderung nicht versagen kann. Ja, grollen möchte ich Mutter<lb/>
Natur, daß sie mir die werthvolle Gabe vorenthalten. &#x201E;Ein wahrer Schwere¬<lb/>
nöther! .... der es verschmäht, sich ganz zu geben, zu zeigen, was in ihm<lb/>
steckt!" &#x2014; den Eindruck macht auf arglose Ohren sein Auftreten, Ueber¬<lb/>
glücklich sind die Beiden in der sich gefundenen Congenialität, eine hohe Mei¬<lb/>
nung haben sie sich gegenseitiig beigebracht von ihrer Kühnheit! &#x201E;Bagatelle<lb/>
dies! .... nicht der Rede werth Jenes! ... für Leute wie wir!" - Gott<lb/>
weiß, was für halsbrechende Passagen es sein müßten, bis sie Gefahr sähen,<lb/>
zauberten. Furcht ist ihnen ein unbekannter Begriff.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917" next="#ID_918"> Gewissenhafte Führer werden mit solchen Menschen freilich kaum eine<lb/>
so lebensgefährliche Partie unternehmen. So hatte Kurbel im Jahre 1871,<lb/>
als Weilenmann ihn brieflich anfragte, ob er mit dem berühmten Bergsteiger<lb/>
das Matterhorn erklimmen wolle, nur ausweichend geantwortet. Ohne je mit<lb/>
W. gegangen zu sein, ohne ihn zu kennen oder ihn uur gesehen zu haben,<lb/>
durfte er als gewissenhafter Führer keine derartige Zusage geben. Das furcht-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Des Franzosen Lebensgeister thauen wieder beim Wein, seine Zunge löst sich, gelinde blciguirt er schon wieder. Von seinem Gebühren ist ihm kaum die Ahnung geblieben, von seiner Zuneigung habe ich nichts eingebüßt. Ja! — kaum traue ich meinen Ohren: schon wieder bringt er für nächstes Jahr die gemeinsame Besteigung des Weißdorn anf's Tnpet. Derselbe Mangel an Selbsterkenntniß, dieselbe Unfähigkeit in Euch zu gehen, die im großen Ganzen Euch kennzeichnet! dachte ich, mitleidig den Kopf schüttelnd. ,Mus i>on>'-- Moi IM?" erwiderte er — worauf ich, so herausfordernd die Frage, voll Ueber- drusses die Antwort schuldig blieb." Endlich: „Unten an den harmlosen Weid¬ hängen findet der Gallier seine ganze Kühnheit und Behendigkeit wieder. Er hat's darauf abgesehen, hat seine kindliche Freude dran, seinen Gefährten, der sich Zeit läßt auf dein Rückweg und bummelt, weit hinter sich zu lasse». Sie sei ihm gegönnt! — scheint es doch die einzige Befriedigung zu sein, die ihm die Fahrt gelassen. Wer ihn so alert in Zermatt einrücke» sieht, den Andern im Nach¬ trab, der macht sich seine Gedanken. „steck's auf, Alter.... überlass' es deu Jungen!" sagen sprechend die ihnen folgenden Blicke. Am folgenden Morgen sehen wir den Franzosen in lebhaftem t,se<z-g>-t,so mit einem Engländer beim Frühstück- Dieser, ein stehender Charakter des Ortes, der Einem ans Schritt und Tritt be¬ gegnet, zeichnet sich aus vor seinen wortkargen Landsleuten durch sein abvrdables Wesen, dnrch seine geräuschvolle Beredsamkeit. Ju lautem Diskurs beherrschen die Beiden den noch leeren Saal. Jeder will es dem Andern zuvorthun. Mit imponirender Ruhe, mit unnachahmlichen Schick, der jeden Zweifel ausschließt, läßt der Franzose — ebeu bis zur Greuze, wo sie zu greifbar würde — der Blague die Zügel schießen, so daß ich ihm meine stille, von etwas Neid an¬ gehauchte Bewunderung nicht versagen kann. Ja, grollen möchte ich Mutter Natur, daß sie mir die werthvolle Gabe vorenthalten. „Ein wahrer Schwere¬ nöther! .... der es verschmäht, sich ganz zu geben, zu zeigen, was in ihm steckt!" — den Eindruck macht auf arglose Ohren sein Auftreten, Ueber¬ glücklich sind die Beiden in der sich gefundenen Congenialität, eine hohe Mei¬ nung haben sie sich gegenseitiig beigebracht von ihrer Kühnheit! „Bagatelle dies! .... nicht der Rede werth Jenes! ... für Leute wie wir!" - Gott weiß, was für halsbrechende Passagen es sein müßten, bis sie Gefahr sähen, zauberten. Furcht ist ihnen ein unbekannter Begriff. Gewissenhafte Führer werden mit solchen Menschen freilich kaum eine so lebensgefährliche Partie unternehmen. So hatte Kurbel im Jahre 1871, als Weilenmann ihn brieflich anfragte, ob er mit dem berühmten Bergsteiger das Matterhorn erklimmen wolle, nur ausweichend geantwortet. Ohne je mit W. gegangen zu sein, ohne ihn zu kennen oder ihn uur gesehen zu haben, durfte er als gewissenhafter Führer keine derartige Zusage geben. Das furcht-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/312>, abgerufen am 24.08.2024.