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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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vielleicht für ihr Unterfangen dnrch ihren Jahresbeitrag im Alpenkind zu
Dingsda hinreichend vorbereitet glauben, um den ewigen Schneeriesen den
Fuß auf den Nacken zu setzen, ein besonderer Vorzug dieses Buches in der
rückhaltlosen und durchaus realen Schilderung der Schwierigkeiten zu liegen,
welche eine Bergfahrt in die höchsten Höhen erfordert. Grausamer und mit
mehr Recht kann Niemand verspottet werden, als der junge Lyoner, der in
Weilenmann's Gesellschaft im August 1872 das Matterhorn besteigen will.
"Je höher wir dringen, um so größere Noth hat mein kaum über die Zwanzig
alter Gefährte, nachzukommen. Er ist furchtsam, zaghaft -- sein Schritt un¬
sicher, schwankend. Beständig sind feine Leute um thu beschäftigt, sie dürfen
ihn kaum aus den Händen lassen. Unaufhörlich klingt sein: ,,0ü taut-it amo
,j0 um'ete in zMZ? ... lei? . . . la?" in den Ohren. Ich muß mich zu¬
sammennehmen, um nicht herauszuplatzen und es ihm unter die Nase zu reiben,
daß er, mit so wenig Befähigung dazu, solche Partien unternehme. Weiter
oben, als wir der nordöstlichen Kante nahten und Kurbel seine Bedenken
äußerte, wegen des Windes, der ans ihr herrschen möchte, faßte er gierig die
Idee ans, lag bestündig damit den Leuten in den Ohren und ließ deutlich
durchblicken, wie erwünscht es ihm wäre, wenn die Befürchtung einträfe, wir
zur Umkehr genöthigt würden. Das schlug dem Fasse den Boden aus! Er
solle einmal einhalten mit seinem die Führer beeinflussen sollenden Gejammer!
-- fuhr ich empört ihn an -- was ihn aber wenig anficht. Er war in jenem
Zustande der Ermattung, wo man, zum Dickhäuter werdend, Alles über sich
ergehen läßt."

Und dann: "Mit einiger Vorsicht ist übrigens der Gang gefahrloser, denn der
an der Wand, wo man ja nie vor herabkollernden Steinen sicher ist. Intensivsten
Hochgenuß bieten seine erhabenen Schrecken dem, der sich die Fähigkeit zu
würdigen, zu genießen bewahrt hat. Wen der Schlotter packt, der kehrte besser
um. Gegenstand des Mitleids für die, die ihm zuzusehen, zuzuhören haben,
ist er so uur mit sich selbst beschäftigt, daß er gleichgültig gegen Alles, was
ihn umgiebt. Doch er muß hinauf.... der Arme! .... damit er oben
gewesen. Wie unsäglich mühsam und schwierig er den Führern ihre Aufgabe macht,
welch' schwere Verantwortlichkeit er ihnen auferlegt, kommt uicht
in Betracht." Der bedächtige Führer Weilenmann's P. Knubel erklärt, daß die
Umkehr nöthigtet, ehe der Gipfel erreicht ist, da oben Alle noch mehr der Gewalt
des Windes preisgegeben, Gefahr liefen, heruntergerissen zu werden. "Wo möglich
Noch unbeholfener, kläglicher benimmt sich jetzt mein Gefährte. Wir, nun
hinten, haben oft lange zu warten, bis er sich, uuter Zagen und nie ohne
Beistand der Führer, hinabgefunden. Längst vor Mittag sind wir wieder in
der Hütte unten, matt und hungrig, da wir fast allen Proviant unten gelassen.


vielleicht für ihr Unterfangen dnrch ihren Jahresbeitrag im Alpenkind zu
Dingsda hinreichend vorbereitet glauben, um den ewigen Schneeriesen den
Fuß auf den Nacken zu setzen, ein besonderer Vorzug dieses Buches in der
rückhaltlosen und durchaus realen Schilderung der Schwierigkeiten zu liegen,
welche eine Bergfahrt in die höchsten Höhen erfordert. Grausamer und mit
mehr Recht kann Niemand verspottet werden, als der junge Lyoner, der in
Weilenmann's Gesellschaft im August 1872 das Matterhorn besteigen will.
„Je höher wir dringen, um so größere Noth hat mein kaum über die Zwanzig
alter Gefährte, nachzukommen. Er ist furchtsam, zaghaft — sein Schritt un¬
sicher, schwankend. Beständig sind feine Leute um thu beschäftigt, sie dürfen
ihn kaum aus den Händen lassen. Unaufhörlich klingt sein: ,,0ü taut-it amo
,j0 um'ete in zMZ? ... lei? . . . la?" in den Ohren. Ich muß mich zu¬
sammennehmen, um nicht herauszuplatzen und es ihm unter die Nase zu reiben,
daß er, mit so wenig Befähigung dazu, solche Partien unternehme. Weiter
oben, als wir der nordöstlichen Kante nahten und Kurbel seine Bedenken
äußerte, wegen des Windes, der ans ihr herrschen möchte, faßte er gierig die
Idee ans, lag bestündig damit den Leuten in den Ohren und ließ deutlich
durchblicken, wie erwünscht es ihm wäre, wenn die Befürchtung einträfe, wir
zur Umkehr genöthigt würden. Das schlug dem Fasse den Boden aus! Er
solle einmal einhalten mit seinem die Führer beeinflussen sollenden Gejammer!
— fuhr ich empört ihn an — was ihn aber wenig anficht. Er war in jenem
Zustande der Ermattung, wo man, zum Dickhäuter werdend, Alles über sich
ergehen läßt."

Und dann: „Mit einiger Vorsicht ist übrigens der Gang gefahrloser, denn der
an der Wand, wo man ja nie vor herabkollernden Steinen sicher ist. Intensivsten
Hochgenuß bieten seine erhabenen Schrecken dem, der sich die Fähigkeit zu
würdigen, zu genießen bewahrt hat. Wen der Schlotter packt, der kehrte besser
um. Gegenstand des Mitleids für die, die ihm zuzusehen, zuzuhören haben,
ist er so uur mit sich selbst beschäftigt, daß er gleichgültig gegen Alles, was
ihn umgiebt. Doch er muß hinauf.... der Arme! .... damit er oben
gewesen. Wie unsäglich mühsam und schwierig er den Führern ihre Aufgabe macht,
welch' schwere Verantwortlichkeit er ihnen auferlegt, kommt uicht
in Betracht." Der bedächtige Führer Weilenmann's P. Knubel erklärt, daß die
Umkehr nöthigtet, ehe der Gipfel erreicht ist, da oben Alle noch mehr der Gewalt
des Windes preisgegeben, Gefahr liefen, heruntergerissen zu werden. „Wo möglich
Noch unbeholfener, kläglicher benimmt sich jetzt mein Gefährte. Wir, nun
hinten, haben oft lange zu warten, bis er sich, uuter Zagen und nie ohne
Beistand der Führer, hinabgefunden. Längst vor Mittag sind wir wieder in
der Hütte unten, matt und hungrig, da wir fast allen Proviant unten gelassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/311>, abgerufen am 22.07.2024.