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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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neue, selbständige Behörde geschliffen wurde, die vom Minister für Vvlksnuf-
lläruug unabhängig sein sollte. Diese neue Behörde sollte ihren eigenen Chef
haben, für den sogleich eins der schönsten Häuser gekauft und zum "Hotel do
I", On?uro" eingerichtet wurde. Es ist uicht bekannt, wer- über diesen Gegen¬
stand dem Kaiser Bortrag gehalten, und inwiefern dieser seine Zustimmung
gegeben hat, nur soviel ist sicher, daß Korff sofort das nach seinem Geschmacke
eingerichtete elegante Haus des M. W. Schischmarew an der Anitschkowbrücke
sich ausersah und diesem mittheilte, daß es der Kaiser für 200,000 Rubel an¬
zukaufen befohlen habe. In der nächstfolgenden Sitzung des Staatsrathes
trat Fürst Gortschakoff an den Baron heran und sagte ihm: "Vous feütss ä
hu'Oil ein x^or ekörsment 1'inwräietio" 1a xsrolö, cieux e"ut mille
reubl"!??" Der Kauf kam übrigens wegen des Widerstandes des damaligen
Finanzministers nicht zu Stande; doch wurden Schischmarew die zur Reparatur
des Hauses gemachten Ausgaben vom Minister für Volksaufklärung Kowa-
leswski aus dem Fonds -- "zur Unterstützung armer Beamten" ausgezahlt.

In Rußland, wo ja der Kaiser auch höchster Bischof ist, denn er ist
von Amtswegen "Vorsitzender der allerheiligsten regierenden Synode", existirt
selbstverständlich auch eine geistliche Censur, welche "im Namen Gottes und
des heiligen Glaubens" den Ausdruck jeder anderen Meinung in Glaubens¬
sachen ohne Gnade und Barmherzigkeit streicht. Wenngleich vor das Forum
dieser Censur streng genommen nur Zeitschriften und Bücher gehören, welche
Glaubenssachen und kirchliche Angelegenheiten behandeln, so hat sie doch ein
wachsames Auge auch für alle audern Erscheinungen in der Presse, was fol¬
gender Vorfall beweist. Im Jahre 1864 oder 65 erschien ein Lehrbuch der
Chemie für höhere Lehranstalten, in welchem bei Besprechung des Salzes über
die im Evangelium enthaltene Parabel ungefähr Folgendes gesagt war: "Wie
mißlungen ist doch der Vergleich der Apostel und Jünger Jesu mit dem Salze!
Kann denn überhaupt das Salz verderben?" Die geistliche Censur denunzirte
sofort diese Stelle der weltlichen Censur und der Öffentlichkeit in ihrem Or¬
gane "LrrtmmK" (der Pilger) und bewirkte eine Streichung dieses glaubens-
gefährlichen Satzes. Ebenso wußte sie eine Schrift, in welcher das Gleichniß
vom "Senfkorn" und die Worte Christi über "das Stellen eiues Lichtes
unter einen Scheffel" wissenschaftlich beleuchtet wurden, unschädlich zu machen,
indem sie behauptete, daß das Evangelium sich auch in wissenschaftlichen
Dingen uicht irren könne, sondern die strenge, wissenschaftliche Wahrheit gesagt
habe, die wir mit unserm schwachen Verstände nur nicht begreifen könnten. Zur
Beleuchtung der Thätigkeit der geistlichen Censur, welche in Nußland nicht
weniger streng und leidenschaftlich ist, wie im Vatikan, stehen leider nicht die
Quellen zu Gebote, wie sie für die Beleuchtung der Thätigkeit der weltlichen


neue, selbständige Behörde geschliffen wurde, die vom Minister für Vvlksnuf-
lläruug unabhängig sein sollte. Diese neue Behörde sollte ihren eigenen Chef
haben, für den sogleich eins der schönsten Häuser gekauft und zum „Hotel do
I», On?uro" eingerichtet wurde. Es ist uicht bekannt, wer- über diesen Gegen¬
stand dem Kaiser Bortrag gehalten, und inwiefern dieser seine Zustimmung
gegeben hat, nur soviel ist sicher, daß Korff sofort das nach seinem Geschmacke
eingerichtete elegante Haus des M. W. Schischmarew an der Anitschkowbrücke
sich ausersah und diesem mittheilte, daß es der Kaiser für 200,000 Rubel an¬
zukaufen befohlen habe. In der nächstfolgenden Sitzung des Staatsrathes
trat Fürst Gortschakoff an den Baron heran und sagte ihm: „Vous feütss ä
hu'Oil ein x^or ekörsment 1'inwräietio» 1a xsrolö, cieux e«ut mille
reubl«!??" Der Kauf kam übrigens wegen des Widerstandes des damaligen
Finanzministers nicht zu Stande; doch wurden Schischmarew die zur Reparatur
des Hauses gemachten Ausgaben vom Minister für Volksaufklärung Kowa-
leswski aus dem Fonds — „zur Unterstützung armer Beamten" ausgezahlt.

In Rußland, wo ja der Kaiser auch höchster Bischof ist, denn er ist
von Amtswegen „Vorsitzender der allerheiligsten regierenden Synode", existirt
selbstverständlich auch eine geistliche Censur, welche „im Namen Gottes und
des heiligen Glaubens" den Ausdruck jeder anderen Meinung in Glaubens¬
sachen ohne Gnade und Barmherzigkeit streicht. Wenngleich vor das Forum
dieser Censur streng genommen nur Zeitschriften und Bücher gehören, welche
Glaubenssachen und kirchliche Angelegenheiten behandeln, so hat sie doch ein
wachsames Auge auch für alle audern Erscheinungen in der Presse, was fol¬
gender Vorfall beweist. Im Jahre 1864 oder 65 erschien ein Lehrbuch der
Chemie für höhere Lehranstalten, in welchem bei Besprechung des Salzes über
die im Evangelium enthaltene Parabel ungefähr Folgendes gesagt war: „Wie
mißlungen ist doch der Vergleich der Apostel und Jünger Jesu mit dem Salze!
Kann denn überhaupt das Salz verderben?" Die geistliche Censur denunzirte
sofort diese Stelle der weltlichen Censur und der Öffentlichkeit in ihrem Or¬
gane „LrrtmmK" (der Pilger) und bewirkte eine Streichung dieses glaubens-
gefährlichen Satzes. Ebenso wußte sie eine Schrift, in welcher das Gleichniß
vom „Senfkorn" und die Worte Christi über „das Stellen eiues Lichtes
unter einen Scheffel" wissenschaftlich beleuchtet wurden, unschädlich zu machen,
indem sie behauptete, daß das Evangelium sich auch in wissenschaftlichen
Dingen uicht irren könne, sondern die strenge, wissenschaftliche Wahrheit gesagt
habe, die wir mit unserm schwachen Verstände nur nicht begreifen könnten. Zur
Beleuchtung der Thätigkeit der geistlichen Censur, welche in Nußland nicht
weniger streng und leidenschaftlich ist, wie im Vatikan, stehen leider nicht die
Quellen zu Gebote, wie sie für die Beleuchtung der Thätigkeit der weltlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/303>, abgerufen am 27.09.2024.