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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Censur zugänglich sind; jene ist, trotz ihres himmlischen Ursprunges, mehr
unterirdisch; sie schleicht im Lammfelle einher und versteckt ihre Thätigkeit der¬
maßen vor dem Sonnenlichte, daß es dem Laien schwer, oder ucchezn unmöglich
wird, hinter ihre Schliche zu kommen.

Die oben angeführten Dokumente über die Thätigkeit der weltlichen
Censur, dürfen trotzdem sie nicht neusten Datums sind, auch heilte uoch allge-
meines Interesse für sich in Anspruch nehmen, weil sich in Rußland, wie in
Central-Asien die Verhältnisse während sehr langer Perioden nicht ändern.
Die Personen wechseln, die Rollen werden von andern Tageshelden gespielt,
das System aber bleibt stabil, unveränderlich wie die Wüste Gobi, in welcher
es geboren. Wenn im Westen Europas etwas Neues geschaffen wird, so wird
in Rußland sofort echt Altrnssisches mit dem Namen der Neuschöpfung belegt,
mit europäischem gleichviel ob deutschem, französischem oder englischem Firniß
angestrichen, und nun der Welt eingeredet -- Rußland s es reitet v oro arts!
Eine solche Uebertünchung mit französischem Firniß erfuhr vor einigen Jahren
auch die Censur. Mau ließ sie bestehen, stellte jedoch den verschiedenen Zeitungen
anheim, gegen Kaution ohne Censur zu erscheinen; eine dreimalige Verwarnung
zieht in diesem Falle ein Suspension des Blattes für zwei bis drei Monate
nach sich, wie das der "Jo8ki Nir" im September vorigen Jahres und dem
"Votos" im April dieses Jahres passirte; im Wiederholungsfalle büßt der
Verleger natürlich die Kaution ein. Da die russischen Censoren nicht grade
die Buchdruckerkunst erfunden haben, so suchen gewitzte Redakteure und Schrift¬
steller häufig der Censur ein Schnippchen zu schlagen, indem sie ihnen Er¬
zählungen aus aller Herrn Länder auftischen, während sie doch echt russische Miß-
stände schildern. So sagte bespielsweise der,, (Zolo"" vom 13/25. April d. I.
(Ur. 101) nicht, daß die russische Militärverwaltung den Staatsschatz bestohlen
habe, sondern daß dies der französische .Kriegsminister Leboeuf und seine Beamten
zur Zeit Napoleons III. gethan, ja daß sie ihr Handwerk schon mehr als drei
Jahre vor Beginn des Krieges ausgeübt haben. Für den denkenden Leser
liegt ja denn die Folgerung, daß es anch in Rußland so gegangen sein könne,
sehr nahe. In diesem Falle faud auch der Censor das Analoge leicht heraus
und die Folge war eine Suspension von zwei Monaten; aber in den meisten
Fällen sind selbst die Oberinqnisitoren zu stumpf und zu gedankenlos, um
die Vergleichung rechtzeitig zu wittern. Wenn sie später bemerken, daß sie
überlistet worden siud, geben sie dem Redakteur unter vier Angen einen Verweis
und dabei hats dann sein Bewenden -- bis zum nächsten Male.

Bei so bewandten Umständen kann, wie nur bereits im Anfange unserer
Skizze erklärten, von einer politischen Farbe, voll einer Parteistellnng der Zeit¬
schriften, -- wie überhaupt der Preßerzeugnisse, -- in Rußland durchaus nicht


Censur zugänglich sind; jene ist, trotz ihres himmlischen Ursprunges, mehr
unterirdisch; sie schleicht im Lammfelle einher und versteckt ihre Thätigkeit der¬
maßen vor dem Sonnenlichte, daß es dem Laien schwer, oder ucchezn unmöglich
wird, hinter ihre Schliche zu kommen.

Die oben angeführten Dokumente über die Thätigkeit der weltlichen
Censur, dürfen trotzdem sie nicht neusten Datums sind, auch heilte uoch allge-
meines Interesse für sich in Anspruch nehmen, weil sich in Rußland, wie in
Central-Asien die Verhältnisse während sehr langer Perioden nicht ändern.
Die Personen wechseln, die Rollen werden von andern Tageshelden gespielt,
das System aber bleibt stabil, unveränderlich wie die Wüste Gobi, in welcher
es geboren. Wenn im Westen Europas etwas Neues geschaffen wird, so wird
in Rußland sofort echt Altrnssisches mit dem Namen der Neuschöpfung belegt,
mit europäischem gleichviel ob deutschem, französischem oder englischem Firniß
angestrichen, und nun der Welt eingeredet — Rußland s es reitet v oro arts!
Eine solche Uebertünchung mit französischem Firniß erfuhr vor einigen Jahren
auch die Censur. Mau ließ sie bestehen, stellte jedoch den verschiedenen Zeitungen
anheim, gegen Kaution ohne Censur zu erscheinen; eine dreimalige Verwarnung
zieht in diesem Falle ein Suspension des Blattes für zwei bis drei Monate
nach sich, wie das der „Jo8ki Nir" im September vorigen Jahres und dem
„Votos" im April dieses Jahres passirte; im Wiederholungsfalle büßt der
Verleger natürlich die Kaution ein. Da die russischen Censoren nicht grade
die Buchdruckerkunst erfunden haben, so suchen gewitzte Redakteure und Schrift¬
steller häufig der Censur ein Schnippchen zu schlagen, indem sie ihnen Er¬
zählungen aus aller Herrn Länder auftischen, während sie doch echt russische Miß-
stände schildern. So sagte bespielsweise der,, (Zolo«" vom 13/25. April d. I.
(Ur. 101) nicht, daß die russische Militärverwaltung den Staatsschatz bestohlen
habe, sondern daß dies der französische .Kriegsminister Leboeuf und seine Beamten
zur Zeit Napoleons III. gethan, ja daß sie ihr Handwerk schon mehr als drei
Jahre vor Beginn des Krieges ausgeübt haben. Für den denkenden Leser
liegt ja denn die Folgerung, daß es anch in Rußland so gegangen sein könne,
sehr nahe. In diesem Falle faud auch der Censor das Analoge leicht heraus
und die Folge war eine Suspension von zwei Monaten; aber in den meisten
Fällen sind selbst die Oberinqnisitoren zu stumpf und zu gedankenlos, um
die Vergleichung rechtzeitig zu wittern. Wenn sie später bemerken, daß sie
überlistet worden siud, geben sie dem Redakteur unter vier Angen einen Verweis
und dabei hats dann sein Bewenden — bis zum nächsten Male.

Bei so bewandten Umständen kann, wie nur bereits im Anfange unserer
Skizze erklärten, von einer politischen Farbe, voll einer Parteistellnng der Zeit¬
schriften, — wie überhaupt der Preßerzeugnisse, — in Rußland durchaus nicht


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[0304] Censur zugänglich sind; jene ist, trotz ihres himmlischen Ursprunges, mehr unterirdisch; sie schleicht im Lammfelle einher und versteckt ihre Thätigkeit der¬ maßen vor dem Sonnenlichte, daß es dem Laien schwer, oder ucchezn unmöglich wird, hinter ihre Schliche zu kommen. Die oben angeführten Dokumente über die Thätigkeit der weltlichen Censur, dürfen trotzdem sie nicht neusten Datums sind, auch heilte uoch allge- meines Interesse für sich in Anspruch nehmen, weil sich in Rußland, wie in Central-Asien die Verhältnisse während sehr langer Perioden nicht ändern. Die Personen wechseln, die Rollen werden von andern Tageshelden gespielt, das System aber bleibt stabil, unveränderlich wie die Wüste Gobi, in welcher es geboren. Wenn im Westen Europas etwas Neues geschaffen wird, so wird in Rußland sofort echt Altrnssisches mit dem Namen der Neuschöpfung belegt, mit europäischem gleichviel ob deutschem, französischem oder englischem Firniß angestrichen, und nun der Welt eingeredet — Rußland s es reitet v oro arts! Eine solche Uebertünchung mit französischem Firniß erfuhr vor einigen Jahren auch die Censur. Mau ließ sie bestehen, stellte jedoch den verschiedenen Zeitungen anheim, gegen Kaution ohne Censur zu erscheinen; eine dreimalige Verwarnung zieht in diesem Falle ein Suspension des Blattes für zwei bis drei Monate nach sich, wie das der „Jo8ki Nir" im September vorigen Jahres und dem „Votos" im April dieses Jahres passirte; im Wiederholungsfalle büßt der Verleger natürlich die Kaution ein. Da die russischen Censoren nicht grade die Buchdruckerkunst erfunden haben, so suchen gewitzte Redakteure und Schrift¬ steller häufig der Censur ein Schnippchen zu schlagen, indem sie ihnen Er¬ zählungen aus aller Herrn Länder auftischen, während sie doch echt russische Miß- stände schildern. So sagte bespielsweise der,, (Zolo«" vom 13/25. April d. I. (Ur. 101) nicht, daß die russische Militärverwaltung den Staatsschatz bestohlen habe, sondern daß dies der französische .Kriegsminister Leboeuf und seine Beamten zur Zeit Napoleons III. gethan, ja daß sie ihr Handwerk schon mehr als drei Jahre vor Beginn des Krieges ausgeübt haben. Für den denkenden Leser liegt ja denn die Folgerung, daß es anch in Rußland so gegangen sein könne, sehr nahe. In diesem Falle faud auch der Censor das Analoge leicht heraus und die Folge war eine Suspension von zwei Monaten; aber in den meisten Fällen sind selbst die Oberinqnisitoren zu stumpf und zu gedankenlos, um die Vergleichung rechtzeitig zu wittern. Wenn sie später bemerken, daß sie überlistet worden siud, geben sie dem Redakteur unter vier Angen einen Verweis und dabei hats dann sein Bewenden — bis zum nächsten Male. Bei so bewandten Umständen kann, wie nur bereits im Anfange unserer Skizze erklärten, von einer politischen Farbe, voll einer Parteistellnng der Zeit¬ schriften, — wie überhaupt der Preßerzeugnisse, — in Rußland durchaus nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/304>, abgerufen am 05.02.2025.