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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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deutung die Censur unter russischer Regierung hat, dafür siud Jedermann
eklatante Beispiele längst bekannt.

Man könnte, um das Gegentheil der Bedeutungslosigkeit der russischen
Presse zu beweisen, die Kottkvw'schen "NnsKovsIcijk ^V,j<za0in"sri" ^Moskaner
Nachrichten) von 1863 und 1864 vorhalten, und zeigen, welchen Einfluß dieses
Blatt aus die Unterdrückung des polnischen Aufstandes geübt hat. Dieser
Einfluß ist indeß nur für denjenigen von Bedeutung, der die russischen Ver¬
hältnisse nicht kennt. Auch in Rußland genießt die Presse eine unbegrenzte
Freiheit; sie darf die Regierung und ihre Organe loben und preisen, sie darf
fogar die Regierung zu etwas drängen -- jedoch nur zu dem, wozu sie gerne
gedrängt sein mochte, um die Verantwortung von sich auf die sogenannte
öffentliche Meinung zu wälzen. So verfuhr sie im Jahre 1863 gegenüber
dem polnischen Aufstande, so verfuhr sie im Laufe des vorigen und dieses
Jahres gegenüber der Türkei und Europa. Die Regierung ließ sich damals
wie jetzt drängen, das zu thun, was sie thun wollte, aber gewissermaßen des
Dekorums wegen, nicht ohne eigne Anregung.

Bei so bewandten Umständen ist von vornherein eine Klassifizirung der
russischen politischen Presse in konservative, mehr oder weniger liberale und
radikale Zeitungen unmöglich. Kein russisches Blatt ist konservativ, keins ist
liberal, und keins, -- mit Ausnahme der im' Auslande erscheinenden, --- ist
radikal, sondern alle sind, wie sie die Regierung eben braucht; sie unterscheiden
sich von einander im Wesentlichen nur durch die hellere oder dunklere Farbe und
durch die Größe des zu ihnen verwendeten Papiers. In dieser Beziehung
rivalisiren, oder konkurriren sie mit einander. Daher finden wir in ihnen spalten¬
lange amtliche Verfügungen, die so recht eigentlich Gegenstand der Besprechung
sein sollten, ohne den geringsten Kommentar, an den hervorragenden Stellen
aller Blätter Paradiren; deshalb wird dem Theater, den Hofhallen und den
kirchlichen und militärische" Paraden ein so großer Raum gewidmet, wie wir
ihn nur den wichtigsten Angelegenheiten des Volkes, etwa den Parlaments¬
und Landtagsverhandlungeu, zu widmen gewohnt sind, und deßhalb wird eine
Unmasse Raum den wahrhaft Byzantinischen Titulaturen des Kaisers, der
kaiserlichen Familie und Großwürdenträger gewidmet, denen man zu nahe
treten, die man beleidigen würde, wenn man eine Silbe zu viel oder zu wenig
von ihren Titeln schreiben und drucken würde. Eigentliche Zugkraft übt bei
allen Blättern nur das Feuilleton, dem auch alle einen unverhältnismäßig
großen Raum widmen. Das große Loos hat immer das Blatt gewonnen,
das die Arbeit eines berühmteren Schriftstellers im Feuilleton bringt, denn
nun ist es sicher, daß es den Konkurrenten so und soviel Leser nehmen, und
für sich gewinnen wird. Doch muß auch hier der Schreiber vorsichtig zu


deutung die Censur unter russischer Regierung hat, dafür siud Jedermann
eklatante Beispiele längst bekannt.

Man könnte, um das Gegentheil der Bedeutungslosigkeit der russischen
Presse zu beweisen, die Kottkvw'schen „NnsKovsIcijk ^V,j<za0in»sri" ^Moskaner
Nachrichten) von 1863 und 1864 vorhalten, und zeigen, welchen Einfluß dieses
Blatt aus die Unterdrückung des polnischen Aufstandes geübt hat. Dieser
Einfluß ist indeß nur für denjenigen von Bedeutung, der die russischen Ver¬
hältnisse nicht kennt. Auch in Rußland genießt die Presse eine unbegrenzte
Freiheit; sie darf die Regierung und ihre Organe loben und preisen, sie darf
fogar die Regierung zu etwas drängen — jedoch nur zu dem, wozu sie gerne
gedrängt sein mochte, um die Verantwortung von sich auf die sogenannte
öffentliche Meinung zu wälzen. So verfuhr sie im Jahre 1863 gegenüber
dem polnischen Aufstande, so verfuhr sie im Laufe des vorigen und dieses
Jahres gegenüber der Türkei und Europa. Die Regierung ließ sich damals
wie jetzt drängen, das zu thun, was sie thun wollte, aber gewissermaßen des
Dekorums wegen, nicht ohne eigne Anregung.

Bei so bewandten Umständen ist von vornherein eine Klassifizirung der
russischen politischen Presse in konservative, mehr oder weniger liberale und
radikale Zeitungen unmöglich. Kein russisches Blatt ist konservativ, keins ist
liberal, und keins, — mit Ausnahme der im' Auslande erscheinenden, -— ist
radikal, sondern alle sind, wie sie die Regierung eben braucht; sie unterscheiden
sich von einander im Wesentlichen nur durch die hellere oder dunklere Farbe und
durch die Größe des zu ihnen verwendeten Papiers. In dieser Beziehung
rivalisiren, oder konkurriren sie mit einander. Daher finden wir in ihnen spalten¬
lange amtliche Verfügungen, die so recht eigentlich Gegenstand der Besprechung
sein sollten, ohne den geringsten Kommentar, an den hervorragenden Stellen
aller Blätter Paradiren; deshalb wird dem Theater, den Hofhallen und den
kirchlichen und militärische» Paraden ein so großer Raum gewidmet, wie wir
ihn nur den wichtigsten Angelegenheiten des Volkes, etwa den Parlaments¬
und Landtagsverhandlungeu, zu widmen gewohnt sind, und deßhalb wird eine
Unmasse Raum den wahrhaft Byzantinischen Titulaturen des Kaisers, der
kaiserlichen Familie und Großwürdenträger gewidmet, denen man zu nahe
treten, die man beleidigen würde, wenn man eine Silbe zu viel oder zu wenig
von ihren Titeln schreiben und drucken würde. Eigentliche Zugkraft übt bei
allen Blättern nur das Feuilleton, dem auch alle einen unverhältnismäßig
großen Raum widmen. Das große Loos hat immer das Blatt gewonnen,
das die Arbeit eines berühmteren Schriftstellers im Feuilleton bringt, denn
nun ist es sicher, daß es den Konkurrenten so und soviel Leser nehmen, und
für sich gewinnen wird. Doch muß auch hier der Schreiber vorsichtig zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/300>, abgerufen am 19.10.2024.