Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.Lin Kapitel user die russische Presse. Die russische Presse dürfte dein Westeuropäer kaum anders als durch Lin Kapitel user die russische Presse. Die russische Presse dürfte dein Westeuropäer kaum anders als durch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139058"/> </div> <div n="1"> <head> Lin Kapitel user die russische Presse.</head><lb/> <p xml:id="ID_881" next="#ID_882"> Die russische Presse dürfte dein Westeuropäer kaum anders als durch<lb/> einige gelegentliche Citate aus dem „solos" (die Stimme), dem ni>"<lb/> (die russische Welt), den „NosKovsIcho 'VVMomoLti" (Moskaner Nachrichten)<lb/> und einigen wenigen andern Blättern bekannt sein, obwohl in Petersburg allein<lb/> neun große politische Zeitungen in russischer, zwei in deutscher und eine in<lb/> französischer Sprache erscheinen. Außerdem erscheinen aber anch noch in<lb/> Moskau, Riga, Kronstäbe, Odessa und andern Städten des ungeheuren Reiches<lb/> Politische Zeitungen; von den sogenannten „Gouvernements-Zeitungen", die nur<lb/> Makulaturwerth haben, wollen wir hierbei ganz absehen. Diese Unbekannt-<lb/> schaft mit der russischen Presse ist natürlich. Die politische Presse Rußlands<lb/> ist ans doppelten Gründen machtlos: weil ihre Leiter einflußlos und von<lb/> Polizeilicher Winken abhängig sind, und weil die ungeheure Masse des russi¬<lb/> schen Volkes eine ruäis inäigsstacinö molss ist, welche keine Meinung hat und<lb/> nach den Ansichten der herrschenden und regierenden Klasse. auch keine eigene<lb/> Meinung haben darf. Besitzt doch außerdem nnr ein geringer Prozentsatz<lb/> des russischen Volkes — ganz abgesehen von den halbwilden und den in den<lb/> sibirischen Urwäldern und Steppen lebenden oder dahinziehenden Volksstümmen<lb/> — die bei uns allgemeine Kunst des Lesens. Ein noch viel geringerer Bruch¬<lb/> theil sehnt sich nach dem Lesen eines profanen Zeitungsblattes. Es gibt in<lb/> deu Hauptstädten des riesigen Landes Tausende, welche zwar lesen können,<lb/> aber das ganze Jahr anßer den Evangelien oder der Apokalypse Johannis<lb/> kein bedrucktes Blatt Papier in die Hand nehmen. Wieder andere lesen zwar<lb/> Zeitungen; es ist ihnen jedoch sehr gleichgültig, ob sie von heute, oder vom<lb/> vorigen: Jahre sind. Ein solcher Freund alter Zeitungsnachrichten — von<lb/> dein durchaus nicht vorauszusetzen war, daß er sich dem historischen Quellen¬<lb/> studium widme — antwortete auf die Frage, weshalb er dem: zu so alten<lb/> Blättern greife, da er doch frische Zeitungen lesen könnte, mit eiuer gewissen<lb/> Resignation: „Ist es denn nicht ganz gleich, ob ich alte Lügen lese oder neue?<lb/> Was in diesen alten Blättern steht, haben eben so gut IscikMonniKi (die Beamten)<lb/> geschrieben, wie das, was in den neuesten steht. Der „MtLonalniK" (vorge¬<lb/> setzte Beamte) befiehlt, und was er befohlen hat, wird geschrieben und gedruckt."<lb/> So falsch namentlich der letzte Theil dieser Antwort ist, so kann man ihr im<lb/> Ganzen eine gewisse Begründung doch uicht absprechen. Das Volk keunt die<lb/> Censur nicht, aber es weiß oder ahnt instinktmäßig, daß in seinem Vaterlande<lb/> nur das veröffentlicht werden darf, was die Behörde erlaubt, und welche Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Lin Kapitel user die russische Presse.
Die russische Presse dürfte dein Westeuropäer kaum anders als durch
einige gelegentliche Citate aus dem „solos" (die Stimme), dem ni>"
(die russische Welt), den „NosKovsIcho 'VVMomoLti" (Moskaner Nachrichten)
und einigen wenigen andern Blättern bekannt sein, obwohl in Petersburg allein
neun große politische Zeitungen in russischer, zwei in deutscher und eine in
französischer Sprache erscheinen. Außerdem erscheinen aber anch noch in
Moskau, Riga, Kronstäbe, Odessa und andern Städten des ungeheuren Reiches
Politische Zeitungen; von den sogenannten „Gouvernements-Zeitungen", die nur
Makulaturwerth haben, wollen wir hierbei ganz absehen. Diese Unbekannt-
schaft mit der russischen Presse ist natürlich. Die politische Presse Rußlands
ist ans doppelten Gründen machtlos: weil ihre Leiter einflußlos und von
Polizeilicher Winken abhängig sind, und weil die ungeheure Masse des russi¬
schen Volkes eine ruäis inäigsstacinö molss ist, welche keine Meinung hat und
nach den Ansichten der herrschenden und regierenden Klasse. auch keine eigene
Meinung haben darf. Besitzt doch außerdem nnr ein geringer Prozentsatz
des russischen Volkes — ganz abgesehen von den halbwilden und den in den
sibirischen Urwäldern und Steppen lebenden oder dahinziehenden Volksstümmen
— die bei uns allgemeine Kunst des Lesens. Ein noch viel geringerer Bruch¬
theil sehnt sich nach dem Lesen eines profanen Zeitungsblattes. Es gibt in
deu Hauptstädten des riesigen Landes Tausende, welche zwar lesen können,
aber das ganze Jahr anßer den Evangelien oder der Apokalypse Johannis
kein bedrucktes Blatt Papier in die Hand nehmen. Wieder andere lesen zwar
Zeitungen; es ist ihnen jedoch sehr gleichgültig, ob sie von heute, oder vom
vorigen: Jahre sind. Ein solcher Freund alter Zeitungsnachrichten — von
dein durchaus nicht vorauszusetzen war, daß er sich dem historischen Quellen¬
studium widme — antwortete auf die Frage, weshalb er dem: zu so alten
Blättern greife, da er doch frische Zeitungen lesen könnte, mit eiuer gewissen
Resignation: „Ist es denn nicht ganz gleich, ob ich alte Lügen lese oder neue?
Was in diesen alten Blättern steht, haben eben so gut IscikMonniKi (die Beamten)
geschrieben, wie das, was in den neuesten steht. Der „MtLonalniK" (vorge¬
setzte Beamte) befiehlt, und was er befohlen hat, wird geschrieben und gedruckt."
So falsch namentlich der letzte Theil dieser Antwort ist, so kann man ihr im
Ganzen eine gewisse Begründung doch uicht absprechen. Das Volk keunt die
Censur nicht, aber es weiß oder ahnt instinktmäßig, daß in seinem Vaterlande
nur das veröffentlicht werden darf, was die Behörde erlaubt, und welche Be-
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