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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Autorität zu wahrer sittlicher und individueller Freiheit war zu groß, als daß
er uiid einem Male hätte wirklich ins Leben treten können. Die neuen Kirchen
etablirten wieder die eigene Unfehlbarkeit, verlangten unbedingten Glauben.
Daß nicht uur die Sünde, sondern auch der Zweifel vom Satan herrühre,
stand bei allen fest, und damit waren die Gedanken wieder auf das Wirken
des Teufels gerichtet. Geist und Gemüth blieben dabei stehen auch des Teufels
Wirksamkeit in der Hexerei für möglich und wirklich zu halten. So konnte
die Reformation, die so Vieles reinigte und besserte, den Hexenprozessen keinen
Halt gebieten. Eher das Gegentheil.

Luther selbst sah in der Hexerei nicht die geringste Unwahrscheinlichkeit,
"ud schärfte die Pflicht ein, die Hexen zu verbrennen, wie ihm ja überhaupt
der Glaube an den leibhaftigen Teufel so geläufig war, daß er selbst erzählt,
wie er im Wittenberger Kloster den Teufel häufig habe in den Zellen poltern
hören, wie er Nachts davon erwacht sei, aber wieder eingeschlafen, als er ent¬
deckt, daß es nur der Teufel wäre. Die Geschichte oder Sage vom Tinten¬
faß auf der Wartburg ist bekannt, so wie daß er viele Geschichten von Teufels-
erscheiuuugen für wahr annahm, die uns im Lichte des Lächerlichen erscheinen
5- B. die, daß ein alter Geistlicher in seiner Andacht gestört wurde, weil der
Teufel hinter ihm wie ein Ferkel grunzte. Auch in dieser Zeit wurden noch
Narren, Krüppel, Taubstumme und dergl. Gebrechliche als vom Teufel und
seinen Handlangern den Hexen, beschädigt vorgestellt. Auch Hagel und andere
schädliche Naturerscheinungen wurden ihm zugeschrieben, besonders dann, wenn
sie einen eng begrenzten Strich, vielleicht das Besitzthum eines Einzelnen
trnfeu. Daß der Teufel die Menschen durch die Luft führen könne, galt noch
als ausgemacht, eben so, daß er der Vater verschiedener Menschenkinder sei
und da ist es höchst bezeichnend, daß Luther, trotz seiner liebenswürdigen
Aiilde, ein solches Kind erkannt haben wollte, und den Eltern rieth, es in den
Nuß zu werfen, um ihr Haus vom Teufel zu befreien.

Nicht anders dachten in der Sache die anderen Reformatoren, und Katho¬
den und Protestanten wetteiferten in Hexenverfolgungen. Es ist wahrhaft
entsetzlich zu beobachten, in welchem Grade die Phantasie von dem Gegenstand
^griffen war, wie der Wahnsinn, der überhaupt in Zeiten politischer und
religiöser Umwälzungen erfahrungsmäßig verstärkt auftritt, sich des Gegen-
standes bemächtigte, wie alle erdenklichen Leidenschaften diese Zeitrichtung aus¬
zubeuten suchten; sei es durch Betrug und Täuschung, um sich gefürchtet zu
wachen, sei es durch falsche Anklagen um sich gefährlicher Personen zu entledigen.
Wir finden da Beispiele von intriguanten Frauen, die, um sich interessant zu
wachen, sich mit dem Schein umgaben, mehr als natürliche Kräfte zu besitzen,
vou Betrügern, die durch Gaukeleien Geld zu erpressen, politische oder andere


Grenzboten IV. 1877. !!7

Autorität zu wahrer sittlicher und individueller Freiheit war zu groß, als daß
er uiid einem Male hätte wirklich ins Leben treten können. Die neuen Kirchen
etablirten wieder die eigene Unfehlbarkeit, verlangten unbedingten Glauben.
Daß nicht uur die Sünde, sondern auch der Zweifel vom Satan herrühre,
stand bei allen fest, und damit waren die Gedanken wieder auf das Wirken
des Teufels gerichtet. Geist und Gemüth blieben dabei stehen auch des Teufels
Wirksamkeit in der Hexerei für möglich und wirklich zu halten. So konnte
die Reformation, die so Vieles reinigte und besserte, den Hexenprozessen keinen
Halt gebieten. Eher das Gegentheil.

Luther selbst sah in der Hexerei nicht die geringste Unwahrscheinlichkeit,
»ud schärfte die Pflicht ein, die Hexen zu verbrennen, wie ihm ja überhaupt
der Glaube an den leibhaftigen Teufel so geläufig war, daß er selbst erzählt,
wie er im Wittenberger Kloster den Teufel häufig habe in den Zellen poltern
hören, wie er Nachts davon erwacht sei, aber wieder eingeschlafen, als er ent¬
deckt, daß es nur der Teufel wäre. Die Geschichte oder Sage vom Tinten¬
faß auf der Wartburg ist bekannt, so wie daß er viele Geschichten von Teufels-
erscheiuuugen für wahr annahm, die uns im Lichte des Lächerlichen erscheinen
5- B. die, daß ein alter Geistlicher in seiner Andacht gestört wurde, weil der
Teufel hinter ihm wie ein Ferkel grunzte. Auch in dieser Zeit wurden noch
Narren, Krüppel, Taubstumme und dergl. Gebrechliche als vom Teufel und
seinen Handlangern den Hexen, beschädigt vorgestellt. Auch Hagel und andere
schädliche Naturerscheinungen wurden ihm zugeschrieben, besonders dann, wenn
sie einen eng begrenzten Strich, vielleicht das Besitzthum eines Einzelnen
trnfeu. Daß der Teufel die Menschen durch die Luft führen könne, galt noch
als ausgemacht, eben so, daß er der Vater verschiedener Menschenkinder sei
und da ist es höchst bezeichnend, daß Luther, trotz seiner liebenswürdigen
Aiilde, ein solches Kind erkannt haben wollte, und den Eltern rieth, es in den
Nuß zu werfen, um ihr Haus vom Teufel zu befreien.

Nicht anders dachten in der Sache die anderen Reformatoren, und Katho¬
den und Protestanten wetteiferten in Hexenverfolgungen. Es ist wahrhaft
entsetzlich zu beobachten, in welchem Grade die Phantasie von dem Gegenstand
^griffen war, wie der Wahnsinn, der überhaupt in Zeiten politischer und
religiöser Umwälzungen erfahrungsmäßig verstärkt auftritt, sich des Gegen-
standes bemächtigte, wie alle erdenklichen Leidenschaften diese Zeitrichtung aus¬
zubeuten suchten; sei es durch Betrug und Täuschung, um sich gefürchtet zu
wachen, sei es durch falsche Anklagen um sich gefährlicher Personen zu entledigen.
Wir finden da Beispiele von intriguanten Frauen, die, um sich interessant zu
wachen, sich mit dem Schein umgaben, mehr als natürliche Kräfte zu besitzen,
vou Betrügern, die durch Gaukeleien Geld zu erpressen, politische oder andere


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[0293] Autorität zu wahrer sittlicher und individueller Freiheit war zu groß, als daß er uiid einem Male hätte wirklich ins Leben treten können. Die neuen Kirchen etablirten wieder die eigene Unfehlbarkeit, verlangten unbedingten Glauben. Daß nicht uur die Sünde, sondern auch der Zweifel vom Satan herrühre, stand bei allen fest, und damit waren die Gedanken wieder auf das Wirken des Teufels gerichtet. Geist und Gemüth blieben dabei stehen auch des Teufels Wirksamkeit in der Hexerei für möglich und wirklich zu halten. So konnte die Reformation, die so Vieles reinigte und besserte, den Hexenprozessen keinen Halt gebieten. Eher das Gegentheil. Luther selbst sah in der Hexerei nicht die geringste Unwahrscheinlichkeit, »ud schärfte die Pflicht ein, die Hexen zu verbrennen, wie ihm ja überhaupt der Glaube an den leibhaftigen Teufel so geläufig war, daß er selbst erzählt, wie er im Wittenberger Kloster den Teufel häufig habe in den Zellen poltern hören, wie er Nachts davon erwacht sei, aber wieder eingeschlafen, als er ent¬ deckt, daß es nur der Teufel wäre. Die Geschichte oder Sage vom Tinten¬ faß auf der Wartburg ist bekannt, so wie daß er viele Geschichten von Teufels- erscheiuuugen für wahr annahm, die uns im Lichte des Lächerlichen erscheinen 5- B. die, daß ein alter Geistlicher in seiner Andacht gestört wurde, weil der Teufel hinter ihm wie ein Ferkel grunzte. Auch in dieser Zeit wurden noch Narren, Krüppel, Taubstumme und dergl. Gebrechliche als vom Teufel und seinen Handlangern den Hexen, beschädigt vorgestellt. Auch Hagel und andere schädliche Naturerscheinungen wurden ihm zugeschrieben, besonders dann, wenn sie einen eng begrenzten Strich, vielleicht das Besitzthum eines Einzelnen trnfeu. Daß der Teufel die Menschen durch die Luft führen könne, galt noch als ausgemacht, eben so, daß er der Vater verschiedener Menschenkinder sei und da ist es höchst bezeichnend, daß Luther, trotz seiner liebenswürdigen Aiilde, ein solches Kind erkannt haben wollte, und den Eltern rieth, es in den Nuß zu werfen, um ihr Haus vom Teufel zu befreien. Nicht anders dachten in der Sache die anderen Reformatoren, und Katho¬ den und Protestanten wetteiferten in Hexenverfolgungen. Es ist wahrhaft entsetzlich zu beobachten, in welchem Grade die Phantasie von dem Gegenstand ^griffen war, wie der Wahnsinn, der überhaupt in Zeiten politischer und religiöser Umwälzungen erfahrungsmäßig verstärkt auftritt, sich des Gegen- standes bemächtigte, wie alle erdenklichen Leidenschaften diese Zeitrichtung aus¬ zubeuten suchten; sei es durch Betrug und Täuschung, um sich gefürchtet zu wachen, sei es durch falsche Anklagen um sich gefährlicher Personen zu entledigen. Wir finden da Beispiele von intriguanten Frauen, die, um sich interessant zu wachen, sich mit dem Schein umgaben, mehr als natürliche Kräfte zu besitzen, vou Betrügern, die durch Gaukeleien Geld zu erpressen, politische oder andere Grenzboten IV. 1877. !!7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/293>, abgerufen am 27.09.2024.