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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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geheime Ziele zu erreichen suchten; von treulosen Ehemännern, die, namentlich
in katholischen Bezirken, sich dnrch Anklage auf Zauberei, von ihren Frauen
zu befreien wußten; von schlauen Verbrechern, die sich durch dasselbe Mittel
ihrer Ankläger entledigten. Und diese Mittel waren gefahrlos und gelangen
meistens, deun die Geistlichkeit brannte vor Verlangen Zauberei aufzuspüren,
und wer in ihre Hände fiel, hatte nur geringe Aussicht seine Unschuld zu be¬
weisen, da nur Wenige die Kraft besaßen den Qualen der Tortur zu wider¬
stehen. Denn diese wurde bei den Hexen um so schonungsloser angewandt, da
man glaubte, daß sie Mittel besüßen, sich gegen Schmerzen unempfindlich zu
machen. Die bei Weitem größere Mehrzahl verfiel unter den Qualen in mehr"
oder minderem Grade dem Wahnsinn anheim, in dessen Hallucinationen sie
das zu erleben, oder erlebt zu haben glaubten, dessen man sie anklagte. Die
Menge der Opfer jener Zeit übersteigt jeden Glauben. Rühmte doch ein
Schriftsteller, daß in der einen Provinz Como die Zahl der Gerichteten auf
tausend gestiegen sei, und in den folgenden Jahren immer einige hundert be¬
tragen habe. In Toulouse wurden 400 auf ein Mal hingerichtet, in Trier
sollen 7000 Hexen verbrannt worden sein. In Nancy verkündete ein Richter Remy
mit Selbstgefälligkeit, er habe in 16 Jahren 800 Hexen dem Tode überliefert.
In Deutschland, der Schweiz, Schottland und besonders Spanien ging es
ähnlich her, und überall war es der Klerus, welcher die Verfolgungen scmk-
tionirte und zu Anzeigen ermunterte. Bei den Predigten wurden Zauberer
und Hexen exkommnnieirt, eine Geisterbannungsfvrmel wurde dem Ritual bei¬
gefügt, der Glaube an Hexerei galt durchaus für einen Theil der Kirchenlehre.
Alle Bücher zu Gunsten der Hexenverfolguug sind von Geistlichen geschrieben
oder ihnen gewidmet, und die Zahl solcher Bücher wuchs zu staunenswerther
Höhe; und wenn mal ein Arzt erklärte, daß Stummheit, Blindheit ze. aus
natürlichen Ursachen stamme, so ward er für einen Dummkopf und Atheisten
erklärt, der die Macht des Satans uur nicht kenne.

Es ist nicht uninteressant, einen Blick in die damalige Literatur zu werfen.
Wir finden darin die verschiedenen Arten der Hexerei förmlich klassifizirt und
ordentlich in eine Philosophie des Satanischen eingeordnet, die in zahlreichen
Traktaten verbreitet wurde, um davor zu warnen. Das hatte natürlich den
entgegengesetzten Erfolg, indem es die Lüsternheit erweckte, in diese geheimniß-
reichen Regionen einzudringen, allenfalls auch dnrch Versuche der Sache näher
zu kommen, und so gab es neue Opfer für die Inquisition. Bedeutende Geister
machten sich diesen Zweig des Studiums zu ihrer Aufgabe. Thomas von
Aquino, vielleicht der bedeutendste Schriftsteller des dreizehnten Jahrhunderts,
behauptete mit der größten Entschiedenheit, daß der Teufel die Ursache um
Krankheit und Unwettern wäre, daß er Menschen dnrch die Luft führen und


geheime Ziele zu erreichen suchten; von treulosen Ehemännern, die, namentlich
in katholischen Bezirken, sich dnrch Anklage auf Zauberei, von ihren Frauen
zu befreien wußten; von schlauen Verbrechern, die sich durch dasselbe Mittel
ihrer Ankläger entledigten. Und diese Mittel waren gefahrlos und gelangen
meistens, deun die Geistlichkeit brannte vor Verlangen Zauberei aufzuspüren,
und wer in ihre Hände fiel, hatte nur geringe Aussicht seine Unschuld zu be¬
weisen, da nur Wenige die Kraft besaßen den Qualen der Tortur zu wider¬
stehen. Denn diese wurde bei den Hexen um so schonungsloser angewandt, da
man glaubte, daß sie Mittel besüßen, sich gegen Schmerzen unempfindlich zu
machen. Die bei Weitem größere Mehrzahl verfiel unter den Qualen in mehr"
oder minderem Grade dem Wahnsinn anheim, in dessen Hallucinationen sie
das zu erleben, oder erlebt zu haben glaubten, dessen man sie anklagte. Die
Menge der Opfer jener Zeit übersteigt jeden Glauben. Rühmte doch ein
Schriftsteller, daß in der einen Provinz Como die Zahl der Gerichteten auf
tausend gestiegen sei, und in den folgenden Jahren immer einige hundert be¬
tragen habe. In Toulouse wurden 400 auf ein Mal hingerichtet, in Trier
sollen 7000 Hexen verbrannt worden sein. In Nancy verkündete ein Richter Remy
mit Selbstgefälligkeit, er habe in 16 Jahren 800 Hexen dem Tode überliefert.
In Deutschland, der Schweiz, Schottland und besonders Spanien ging es
ähnlich her, und überall war es der Klerus, welcher die Verfolgungen scmk-
tionirte und zu Anzeigen ermunterte. Bei den Predigten wurden Zauberer
und Hexen exkommnnieirt, eine Geisterbannungsfvrmel wurde dem Ritual bei¬
gefügt, der Glaube an Hexerei galt durchaus für einen Theil der Kirchenlehre.
Alle Bücher zu Gunsten der Hexenverfolguug sind von Geistlichen geschrieben
oder ihnen gewidmet, und die Zahl solcher Bücher wuchs zu staunenswerther
Höhe; und wenn mal ein Arzt erklärte, daß Stummheit, Blindheit ze. aus
natürlichen Ursachen stamme, so ward er für einen Dummkopf und Atheisten
erklärt, der die Macht des Satans uur nicht kenne.

Es ist nicht uninteressant, einen Blick in die damalige Literatur zu werfen.
Wir finden darin die verschiedenen Arten der Hexerei förmlich klassifizirt und
ordentlich in eine Philosophie des Satanischen eingeordnet, die in zahlreichen
Traktaten verbreitet wurde, um davor zu warnen. Das hatte natürlich den
entgegengesetzten Erfolg, indem es die Lüsternheit erweckte, in diese geheimniß-
reichen Regionen einzudringen, allenfalls auch dnrch Versuche der Sache näher
zu kommen, und so gab es neue Opfer für die Inquisition. Bedeutende Geister
machten sich diesen Zweig des Studiums zu ihrer Aufgabe. Thomas von
Aquino, vielleicht der bedeutendste Schriftsteller des dreizehnten Jahrhunderts,
behauptete mit der größten Entschiedenheit, daß der Teufel die Ursache um
Krankheit und Unwettern wäre, daß er Menschen dnrch die Luft führen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/294>, abgerufen am 27.09.2024.