Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.schaftlich, und es giebt wohl kein Land, wo man so leben könnte, wie in Au¬ Tausend englische Meilen legte ich an den Ufern dieses Rieseuflnsses zurück, schaftlich, und es giebt wohl kein Land, wo man so leben könnte, wie in Au¬ Tausend englische Meilen legte ich an den Ufern dieses Rieseuflnsses zurück, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139038"/> <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> schaftlich, und es giebt wohl kein Land, wo man so leben könnte, wie in Au¬<lb/> stralien. Die Schriftsteller Europas machen den Engländern häufig den Vor¬<lb/> wurf der Gefühllosigkeit, des Mangels an Mitleid; hier lernt man einsehen,<lb/> wie mildherzig der Engländer ist! Das einzige Wölkchen am Lebenshorizonte<lb/> des Travellers ist die große Entfernung einer Station von der andern und<lb/> der Mangel guter Wege. Eine Folge hiervon ist, daß Hunderte in der Steppe<lb/> sich verirren nud umkommen. Es ist fürchterlich, in dieser Wildniß allein zu<lb/> sein, durchs Gebüsch beim Lichte des Mondes zu dringen, bei dessen schwachem<lb/> Scheine es nnr wenigen gelingt sich zurecht zu finden. Ich selber, erzählt<lb/> unser Emigrant, war einige Male in Gefahr, in der endlosen Steppe umzu¬<lb/> kommen, namentlich war dies der Fall, als ich ihm vorigen Winter genöthigt<lb/> war, mich in eine andere Gegend des Landes zu begeben nud längs der Ufer<lb/> des Murray wandern mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_833" next="#ID_834"> Tausend englische Meilen legte ich an den Ufern dieses Rieseuflnsses zurück,<lb/> an dem, wie in meiner Seele, eine unaussprechliche Trauer herrscht, die man<lb/> die echt australische nennen kann. Das gelbliche Wasser strömt geräuschlos<lb/> dem Meere zu; seit tausend Jahren angefaulte Gummibäume schauen trostlos<lb/> in dieses Wasser, das zu. trübe ist, um sie widerzuspiegeln. Seltsame Land¬<lb/> schaftsbilder stellten sich dem Wanderer dar. An der Stelle, an welcher der<lb/> Bcnrray seine westliche Richtung verläßt, um plötzlich nach Süden zu strömen,<lb/> ""d seine Ufer fünf Mal höher, als die höchsten Gummibäume und so felsig<lb/> und steil sind, daß man sie kaum betreten kann, wollte unser Wanderer seinen<lb/> Durst löschen. Er war vom Wege abgekommen und irrte wie ein Mond¬<lb/> süchtiger umher. Er mußte sich mit dem Stocke den Zutritt zum Wasser er¬<lb/> kämpfen, den ihm eine Schlange, welche ein nächtliches Bad nahm, streitig<lb/> Machte, — da erschien plötzlich ein Mann, dessen Physiognomie durchaus nicht<lb/> ""ziehend war, der aber trotzdem mit Thee den Durst des Ermatteten stillte,<lb/> ihn mit Brod sättigte und auf deu rechten Weg führte. Es war dies, wie unser<lb/> Held beim Abschiede erfuhr, der gefürchtetste aller Räuber jenseits des Aequators,<lb/> der berüchtigte Snllivan. Als der Reisende ein anderes Mal sich verirrte und<lb/> entkräftet niedergesunken? war, wie im Traume den Mond betrachtete, in der<lb/> Ueberzeugung, daß er ihn das letzte Mal sehe, fand ihn eine wandernde Neger¬<lb/> puppe, sättigte ihn und brachte ihn auf den richtigen Weg. Noch sind es<lb/> uicht dreißig Jahre, seitdem die Weißen sich am Murray anzusiedeln begannen,<lb/> und kaum zehn Jahre, seitdem Dampfer seine Fluthen durchfurchen, und schon<lb/> ^se der eingeborene Schwarze eine Seltenheit geworden; noch ein Menschen¬<lb/> alter, — und er wird verschwunden sein. Niemand rottet die Neger Australiens<lb/> "us; Niemand verfolgt sie. Ohne daß Gewalt auf sie einwirkte, gehen sie, die<lb/> seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden an ursprüngliches Naturleben gewöhnt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
schaftlich, und es giebt wohl kein Land, wo man so leben könnte, wie in Au¬
stralien. Die Schriftsteller Europas machen den Engländern häufig den Vor¬
wurf der Gefühllosigkeit, des Mangels an Mitleid; hier lernt man einsehen,
wie mildherzig der Engländer ist! Das einzige Wölkchen am Lebenshorizonte
des Travellers ist die große Entfernung einer Station von der andern und
der Mangel guter Wege. Eine Folge hiervon ist, daß Hunderte in der Steppe
sich verirren nud umkommen. Es ist fürchterlich, in dieser Wildniß allein zu
sein, durchs Gebüsch beim Lichte des Mondes zu dringen, bei dessen schwachem
Scheine es nnr wenigen gelingt sich zurecht zu finden. Ich selber, erzählt
unser Emigrant, war einige Male in Gefahr, in der endlosen Steppe umzu¬
kommen, namentlich war dies der Fall, als ich ihm vorigen Winter genöthigt
war, mich in eine andere Gegend des Landes zu begeben nud längs der Ufer
des Murray wandern mußte.
Tausend englische Meilen legte ich an den Ufern dieses Rieseuflnsses zurück,
an dem, wie in meiner Seele, eine unaussprechliche Trauer herrscht, die man
die echt australische nennen kann. Das gelbliche Wasser strömt geräuschlos
dem Meere zu; seit tausend Jahren angefaulte Gummibäume schauen trostlos
in dieses Wasser, das zu. trübe ist, um sie widerzuspiegeln. Seltsame Land¬
schaftsbilder stellten sich dem Wanderer dar. An der Stelle, an welcher der
Bcnrray seine westliche Richtung verläßt, um plötzlich nach Süden zu strömen,
""d seine Ufer fünf Mal höher, als die höchsten Gummibäume und so felsig
und steil sind, daß man sie kaum betreten kann, wollte unser Wanderer seinen
Durst löschen. Er war vom Wege abgekommen und irrte wie ein Mond¬
süchtiger umher. Er mußte sich mit dem Stocke den Zutritt zum Wasser er¬
kämpfen, den ihm eine Schlange, welche ein nächtliches Bad nahm, streitig
Machte, — da erschien plötzlich ein Mann, dessen Physiognomie durchaus nicht
""ziehend war, der aber trotzdem mit Thee den Durst des Ermatteten stillte,
ihn mit Brod sättigte und auf deu rechten Weg führte. Es war dies, wie unser
Held beim Abschiede erfuhr, der gefürchtetste aller Räuber jenseits des Aequators,
der berüchtigte Snllivan. Als der Reisende ein anderes Mal sich verirrte und
entkräftet niedergesunken? war, wie im Traume den Mond betrachtete, in der
Ueberzeugung, daß er ihn das letzte Mal sehe, fand ihn eine wandernde Neger¬
puppe, sättigte ihn und brachte ihn auf den richtigen Weg. Noch sind es
uicht dreißig Jahre, seitdem die Weißen sich am Murray anzusiedeln begannen,
und kaum zehn Jahre, seitdem Dampfer seine Fluthen durchfurchen, und schon
^se der eingeborene Schwarze eine Seltenheit geworden; noch ein Menschen¬
alter, — und er wird verschwunden sein. Niemand rottet die Neger Australiens
"us; Niemand verfolgt sie. Ohne daß Gewalt auf sie einwirkte, gehen sie, die
seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden an ursprüngliches Naturleben gewöhnt
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