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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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gerichtet ist, "nicht ihre Verwaltung keine großen Kosten, denn die Herden
sorgen für sich selbst und es bedarf nur einiger Menschen zur Aufsicht. Deßhalb
lebt auch der Eigenthümer nur in seltenen Fällen in der Station; die meiste"
lassen sich durch Verwalter vertreten. Das Leben ans der Station ist ein
sonderbares. Der Mensch ist hier eingeschlossen wie im Gefängnisse, ohne
Gesellschaft, ohne Zeitvertreib; es gibt nichts, womit einer sich die Zeit vertreiben
könnte. Deshalb fühlt sich auch dort nnr der kaltblütige Engländer und
Schotte in seinem Elemente. Ein Deutscher ist hier ein weißer Rabe. Das
hagere Gesicht, dessen Haut an die Knochen festgewachsen ist, die rothen Haare,
die stelzenartigen, langen Beine, die ganze wie uach einer Figur aus einen'
Romane Walter Scotts modellirte Gestalt beweist, daß der Schotte hier der
Herrscher ist. Fleisch ist natürlich hier nicht rar, was kommt es darauf an,
wenn während der Woche ans solchen Heerden ein Paar Schafe mehr oder
weniger geschlachtet werden.

Wenn der Arbeiter im Winter keine Beschäftigung hat, so wandert er
von einer Station zu der anderen, und überall erhält er Thee und Fleisch so
viel er zu genießen vermag. So wandert er während des ganzen Winters.
Nach dem Frühstücke erkundigt er sich nach der nächsten Station, und wenn
ihm der Weg dahin gemein beschrieben ist, nimmt er sein Bündel ans den Rücken
und geht seines Weges. Er kommt an dein ersten, dem zweiten und dritten Zaune
vorüber, hier laufen die Schafe schen in die Paddoks; dann trifft er immer näher
aneiunnderstehende Zäune, die nicht mehr Schafe, sondern Pferde oder Kühe
umschließen, um dann an einen weiten Hof mit Federvieh und endlich, gegen
Abend, in die Station zu gelangen. Seine ersten Schritte lenkt er der Küche
zu, welche sich gewöhnlich in einem besondern, dem Traveller sehr wohl be¬
kannten Häuschen befindet. Ein Glas Thee, das immer bereit steht, und ein
Stück Brod, reichen im ersten Momente hin, um den Hunger zu stillen n"d
ihn die nächste Mahlzeit abwarten zu lassen, bei der er nach Fleisch, Thee,
Brod -- häufig giebts auch Pudding -- ganz uach Belieben zugreifen kann.
Hier gilt der Schlachtruf: "Help ^oursölt." Kurz vor Sonnenuntergang
bittet der Gast den Verwalter der Etikette wegen um Nachquartier, das ihm
ohne Weiteres gewährt wird. Er wird in einen Shed, d. h. in ein Gebäude
geführt, in welchem sich Tausende von Schlafstellen aufgestapelt befinden; die
Schlafstätte ist ganz bequem; da hier während des Winters kein eigentlicher Frolt,
sondern höchstens leichte Nachtfröste herrschen, spürt er in seiner Nachtherberge auch
keine Kälte. Am folgenden Tage wiederholt sich das Spiel des vorigen Tages
und so vergeht der Winter ohne Noth für den Traveller. Häufig sitzen zehn
und mehr solcher Gäste an einem Tische der Station, und alle erhalten satt zu
essen. Es bleibt hier also gleich, ob man arbeitet, oder nicht, man lebt Herr-


gerichtet ist, »nicht ihre Verwaltung keine großen Kosten, denn die Herden
sorgen für sich selbst und es bedarf nur einiger Menschen zur Aufsicht. Deßhalb
lebt auch der Eigenthümer nur in seltenen Fällen in der Station; die meiste»
lassen sich durch Verwalter vertreten. Das Leben ans der Station ist ein
sonderbares. Der Mensch ist hier eingeschlossen wie im Gefängnisse, ohne
Gesellschaft, ohne Zeitvertreib; es gibt nichts, womit einer sich die Zeit vertreiben
könnte. Deshalb fühlt sich auch dort nnr der kaltblütige Engländer und
Schotte in seinem Elemente. Ein Deutscher ist hier ein weißer Rabe. Das
hagere Gesicht, dessen Haut an die Knochen festgewachsen ist, die rothen Haare,
die stelzenartigen, langen Beine, die ganze wie uach einer Figur aus einen'
Romane Walter Scotts modellirte Gestalt beweist, daß der Schotte hier der
Herrscher ist. Fleisch ist natürlich hier nicht rar, was kommt es darauf an,
wenn während der Woche ans solchen Heerden ein Paar Schafe mehr oder
weniger geschlachtet werden.

Wenn der Arbeiter im Winter keine Beschäftigung hat, so wandert er
von einer Station zu der anderen, und überall erhält er Thee und Fleisch so
viel er zu genießen vermag. So wandert er während des ganzen Winters.
Nach dem Frühstücke erkundigt er sich nach der nächsten Station, und wenn
ihm der Weg dahin gemein beschrieben ist, nimmt er sein Bündel ans den Rücken
und geht seines Weges. Er kommt an dein ersten, dem zweiten und dritten Zaune
vorüber, hier laufen die Schafe schen in die Paddoks; dann trifft er immer näher
aneiunnderstehende Zäune, die nicht mehr Schafe, sondern Pferde oder Kühe
umschließen, um dann an einen weiten Hof mit Federvieh und endlich, gegen
Abend, in die Station zu gelangen. Seine ersten Schritte lenkt er der Küche
zu, welche sich gewöhnlich in einem besondern, dem Traveller sehr wohl be¬
kannten Häuschen befindet. Ein Glas Thee, das immer bereit steht, und ein
Stück Brod, reichen im ersten Momente hin, um den Hunger zu stillen n»d
ihn die nächste Mahlzeit abwarten zu lassen, bei der er nach Fleisch, Thee,
Brod — häufig giebts auch Pudding — ganz uach Belieben zugreifen kann.
Hier gilt der Schlachtruf: „Help ^oursölt." Kurz vor Sonnenuntergang
bittet der Gast den Verwalter der Etikette wegen um Nachquartier, das ihm
ohne Weiteres gewährt wird. Er wird in einen Shed, d. h. in ein Gebäude
geführt, in welchem sich Tausende von Schlafstellen aufgestapelt befinden; die
Schlafstätte ist ganz bequem; da hier während des Winters kein eigentlicher Frolt,
sondern höchstens leichte Nachtfröste herrschen, spürt er in seiner Nachtherberge auch
keine Kälte. Am folgenden Tage wiederholt sich das Spiel des vorigen Tages
und so vergeht der Winter ohne Noth für den Traveller. Häufig sitzen zehn
und mehr solcher Gäste an einem Tische der Station, und alle erhalten satt zu
essen. Es bleibt hier also gleich, ob man arbeitet, oder nicht, man lebt Herr-


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[0278] gerichtet ist, »nicht ihre Verwaltung keine großen Kosten, denn die Herden sorgen für sich selbst und es bedarf nur einiger Menschen zur Aufsicht. Deßhalb lebt auch der Eigenthümer nur in seltenen Fällen in der Station; die meiste» lassen sich durch Verwalter vertreten. Das Leben ans der Station ist ein sonderbares. Der Mensch ist hier eingeschlossen wie im Gefängnisse, ohne Gesellschaft, ohne Zeitvertreib; es gibt nichts, womit einer sich die Zeit vertreiben könnte. Deshalb fühlt sich auch dort nnr der kaltblütige Engländer und Schotte in seinem Elemente. Ein Deutscher ist hier ein weißer Rabe. Das hagere Gesicht, dessen Haut an die Knochen festgewachsen ist, die rothen Haare, die stelzenartigen, langen Beine, die ganze wie uach einer Figur aus einen' Romane Walter Scotts modellirte Gestalt beweist, daß der Schotte hier der Herrscher ist. Fleisch ist natürlich hier nicht rar, was kommt es darauf an, wenn während der Woche ans solchen Heerden ein Paar Schafe mehr oder weniger geschlachtet werden. Wenn der Arbeiter im Winter keine Beschäftigung hat, so wandert er von einer Station zu der anderen, und überall erhält er Thee und Fleisch so viel er zu genießen vermag. So wandert er während des ganzen Winters. Nach dem Frühstücke erkundigt er sich nach der nächsten Station, und wenn ihm der Weg dahin gemein beschrieben ist, nimmt er sein Bündel ans den Rücken und geht seines Weges. Er kommt an dein ersten, dem zweiten und dritten Zaune vorüber, hier laufen die Schafe schen in die Paddoks; dann trifft er immer näher aneiunnderstehende Zäune, die nicht mehr Schafe, sondern Pferde oder Kühe umschließen, um dann an einen weiten Hof mit Federvieh und endlich, gegen Abend, in die Station zu gelangen. Seine ersten Schritte lenkt er der Küche zu, welche sich gewöhnlich in einem besondern, dem Traveller sehr wohl be¬ kannten Häuschen befindet. Ein Glas Thee, das immer bereit steht, und ein Stück Brod, reichen im ersten Momente hin, um den Hunger zu stillen n»d ihn die nächste Mahlzeit abwarten zu lassen, bei der er nach Fleisch, Thee, Brod — häufig giebts auch Pudding — ganz uach Belieben zugreifen kann. Hier gilt der Schlachtruf: „Help ^oursölt." Kurz vor Sonnenuntergang bittet der Gast den Verwalter der Etikette wegen um Nachquartier, das ihm ohne Weiteres gewährt wird. Er wird in einen Shed, d. h. in ein Gebäude geführt, in welchem sich Tausende von Schlafstellen aufgestapelt befinden; die Schlafstätte ist ganz bequem; da hier während des Winters kein eigentlicher Frolt, sondern höchstens leichte Nachtfröste herrschen, spürt er in seiner Nachtherberge auch keine Kälte. Am folgenden Tage wiederholt sich das Spiel des vorigen Tages und so vergeht der Winter ohne Noth für den Traveller. Häufig sitzen zehn und mehr solcher Gäste an einem Tische der Station, und alle erhalten satt zu essen. Es bleibt hier also gleich, ob man arbeitet, oder nicht, man lebt Herr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/278>, abgerufen am 27.09.2024.